SPOX: Herr Köppel, es ist der 33. Spieltag der Saison 1970/1971. Bayern München und Borussia Mönchengladbach stehen mit jeweils 48:18 Zählern an der Tabellenspitze. Bayerns Tordifferenz: 74:34. Gladbachs Tordifferenz: 73:34. Und Sie fahren mit der Borussia gegen Schlusslicht Rot-Weiss Essen nach einer 4:1-Führung nur noch ein 4:3 ein. Die Bayern siegen mit 4:1 gegen Eintracht Braunschweig...
Horst Köppel: Jaja, ich weiß. Wir haben da noch zwei blöde Tore kassiert. Es gab kein Handy oder eine Ergebnisanzeige im Stadion. Uns war also nicht klar, dass die Bayern plötzlich so im Vorteil liegen würden. Der Glaube an die Titelverteidigung war trotzdem noch da. Wir waren selbstbewusst genug und uns sicher, dass wir am letzten Spieltag in Frankfurt gewinnen würden. Andererseits waren wir uns genauso sicher, dass die Bayern das Ding beim MSV Duisburg schon schaukeln werden.
SPOX: Am 5. Juni 1971 kam es dann zum Fernduell.
Köppel: Die Ausgangslage für die Bayern war deutlich besser: Duisburg war längst gerettet, für die ging es nur noch ums Prestige. Frankfurt dagegen kämpfte noch gegen den Abstieg, hat es am Ende dann aber doch geschafft.
SPOX: Und zwar trotz der 1:4-Pleite gegen Ihre Gladbacher, die Sie mit dem Treffer zum 2:1 in der 70. Minute auf die Siegerstraße brachten. Die Bayern verloren überraschend 0:2 in Meiderich. Ihre Erinnerungen bitte!
Köppel: Ich weiß leider nicht mehr detailliert, wie das genau ablief. Wir wurden aber von der Bank aus informiert, dass die Bayern zurück liegen. Da wird wohl jemand draußen gestanden haben, der eine Telefonleitung nach Duisburg gelegt hatte. Fast zeitgleich mit meinem Tor zum 2:1 ist im Wedaustadion der zweite Treffer für Duisburg gefallen. Ab dann wussten wir, dass uns der Titel nicht mehr zu nehmen sein wird.
SPOX: Beide Buden für den MSV markierte Rainer Budde. Was gab's für ihn als Dankeschön?
Köppel: Ich habe ihn erst einmal angerufen und mich bedankt. Ich glaube, ich habe ihm auch bei der nächsten Gelegenheit einen Sekt spendiert. Champagner konnten wir uns damals noch nicht leisten (lacht). Das Lustige war, dass wir 1963 zusammen in der deutschen Schülerauswahl gespielt haben und uns kennen, seit wir 15 Jahre alt sind. Wir waren richtig gute Kumpels.
SPOX: Es war die erste erfolgreiche Titelverteidigung in der Geschichte der Bundesliga. Wie wurde die Sau rausgelassen?
Köppel: Nachdem wir die Schale überreicht bekamen, haben wir es im Mannschaftshotel in Frankfurt krachen lassen. Unsere Frauen waren auch da. Wir haben erst gemeinsam gegessen und dann Gas gegeben. Wir haben eine weitere Nacht am Main verbracht und sind am nächsten Morgen mit dem Bus - wir waren übrigens der erste Verein, der einen eigenen Mannschaftsbus besaß - nach Mönchengladbach gefahren. Dort war natürlich der Teufel los, 150.000 Leute waren auf der Straße.
SPOX: Konnte man denn beim offiziellen Empfang überhaupt fit sein?
Köppel: Der Tag war anstrengender als der gesamte Samstag. Geschlafen wurde kaum. Und dann saßen wir ja alle in unserem Doppeldeckerbus. Da war es schwierig, pinkeln zu gehen. Eine harte Nummer.
SPOX: Sie selbst sind dann wieder zurück in Ihre Geburtsstadt Stuttgart gegangen. Wieso haben Sie sich damals für den VfB und gegen Gladbach entschieden?
Köppel: Meine damalige Freundin und heutige Frau kam aus Stuttgart zu mir nach Mönchengladbach und sie hat sich dort einfach nie so richtig wohl gefühlt. Da recht frühzeitig feststand, dass ich Gladbach verlassen werde, verhandelte ich mit Ajax Amsterdam, Feyenoord Rotterdam und Inter Mailand. Ich wäre gerne nach Mailand gewechselt, da kam aber eine Ausländersperre für die nächste Saison dazwischen. Am allerliebsten wäre ich jedoch zu Ajax gegangen, doch da hat meine Freundin nicht mitgespielt (lacht). Die holten daraufhin dreimal in Folge den Europapokal der Landesmeister...
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SPOX: Und dann also Stuttgart?!
Köppel: Der VfB kam an und da meine Freundin Heimweh hatte, war die Sache schnell erledigt. In Stuttgart tat sich schon auch einiges: Es kam mit Hans Weitpert ein neuer Präsident, Branko Zebec war Trainer und neben mir wurden Buffy Ettmayer sowie Egon Coordes geholt.
SPOX: Bleiben wir im Jahr 1971. Am 27. Spieltag brach beim Spiel zwischen der Borussia und Werder Bremen in der 88. Minute der Torpfosten. Das Spiel wurde abgebrochen und wenige Wochen später mit 2:0 für Bremen gewertet.
Köppel: Es stand 1:1. Wir waren damit natürlich überhaupt nicht zufrieden, die Bremer dagegen glücklich wie noch was. Da wir felsenfest davon ausgegangen sind, dass das Spiel wiederholt wird, haben wir auch keinen großen Aufstand gemacht, als das Tor nicht repariert oder durch ein neues ersetzt werden konnte. Nach dem Urteil standen wir dann natürlich da wie die Deppen. So ein einzelner Punkt war damals ja noch wertvoller als heute.
SPOX: Wussten Sie bereits auf dem Feld, dass das eine legendäre Nummer werden würde?
Köppel: Nein, das war nicht absehbar. Ich hielt es auch nicht für ausgeschlossen, dass das später irgendwann noch einmal passieren würde. Da waren plötzlich so viele Menschen auf dem Platz, dass eine Hektik entstand, in der für uns nur wichtig war: Was passiert jetzt heute noch? Für uns gab es nur zwei Varianten: Entweder wir schenken uns die zwei Minuten und es bleibt beim 1:1 oder das Spiel wird eben wiederholt.
SPOX: Stimmt es, dass Schiedsrichter Gerd Meuser, der damals erst sein viertes Bundesligaspiel pfiff, vorgeschlagen hatte, dass einfach irgendjemand die restlichen zwei Minuten den aufgerichteten Pfosten stützen solle?
Köppel: Ja. Es war aber irgendwie auch nicht vorstellbar. Da kann sich doch keiner hinstellen und den Pfosten halten. Stellen Sie sich vor, in den verbliebenen zwei Minuten hätte dann tatsächlich einer an den Pfosten geschossen. Im Prinzip wäre Meusers Vorschlag aber wohl das Beste gewesen.
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