SPOX: Hennes Weisweiler war zu jener Zeit Coach der Borussia. Wie hat er taktisch gearbeitet?
Köppel: Wir hatten eine feste Formation. Klaus-Dieter Sieloff war unser Libero. Wir waren damals aber die Ersten, die so etwas wie eine Viererkette gespielt haben. Sieloff war oft auf einer Linie mit Vorstopper Ludwig Müller und damit nicht deutlich der letzte Mann. Müller hat den gegnerischen Mittelstürmer abgedeckt. Somit konnten wir oft auf Abseits spielen. Peter Dietrich und Herbert Wimmer waren so etwas wie unsere Sechser, Netzer war der Zehner und davor gab es drei Spitzen: Jupp Heynckes als Linksaußen, Herbert Laumen als Rechtsaußen und ich als Mittelstürmer.
SPOX: Inwiefern hat man sich denn an den Stärken des Gegners orientiert?
Köppel: Weisweilers Videoanalyse sah quasi so aus, dass er den jeweiligen Gegner auf dem Trainingsplatz simuliert hat. Ein Beispiel: Bevor wir gegen Nürnberg gespielt haben, hat er uns die Stärken von Linksaußen Georg Volkert verdeutlicht und seinem Gegenspieler Berti Vogts gezeigt, wie er am besten auf Volkerts Bewegungen reagieren soll.
SPOX: Gab es taktische Reaktionen auf die Vorgehensweise des Gegners?
Köppel: Nur gegen die Bayern. Da hat Weisweiler genau gesagt, auf wen der einzelne Spieler aufpassen soll. Mein Mann war Franz Beckenbauer, weil der ja permanent nach vorne lief. Als dann einmal Katsche Schwarzenbeck ein Tor gegen uns schoss, kam Weisweiler an und hat mich zur Sau gemacht, weil ich auch auf ihn hätte aufpassen sollen. Dabei kam das alle 20 Jahre mal vor, dass der ein Tor schoss (lacht).
SPOX: Wie sahen die Ansprachen von Weisweiler aus?
Köppel: Er hat oft nach dem Spiel mit einem gesprochen - vor allem, wenn man nicht so gut gespielt hatte. Da hat er uns plötzlich gesiezt. Wir wussten dann schon immer, dass irgendetwas im Busch ist. Man musste sich ihm dann erklären, ist aber kaum zu Wort gekommen. "Hören Sie auf, das weiß ich alles selbst, beim nächsten Mal muss das anders werden", sagte er dann immer. Vor dem Spiel hat er uns mit Sprüchen angespornt wie "Die kriegen keine Schnitte hier". Er war sehr erfolgshungrig. Wenn wir 2:0 geführt haben, wussten wir ganz genau, dass wir nicht nachlassen durften - sonst war der Alte sauer.
SPOX: Die nächste Angelegenheit, die ebenfalls in die Geschichte einging, war die Enthüllung des Bundesligaskandals durch Horst-Gregorio Canellas, den Präsidenten von Kickers Offenbach. Der deckte einen Tag nach dem letzten Spieltag und auch noch an seinem 50. Geburtstag mittels Tonbandaufnahmen auf, dass es zu Spielmanipulationen und Schmiergeldzahlungen gekommen ist. Am Ende war es Rot-Weiß Oberhausen und Arminia Bielefeld gelungen, in der Liga zu bleiben.
Köppel: Wir haben das an dem Tag gar nicht registriert. Wir waren ja im Feier-Wahn. Das kam morgens im Radio, irgendwann ist es dann zu uns durchgesickert. Es war aber auch danach kein großes Thema, weil wir ja nichts damit zu tun hatten. Es wurde grundsätzlich schon darüber diskutiert, das artete ja auch in einen handfesten Skandal aus. Ich kannte ein paar Jungs aus der Nationalmannschaft wie beispielsweise Klaus Fichtel, der ja dann auch gesperrt wurde. Das hat einen dann schon beschäftigt, als die Urteile gesprochen wurden. Als ich im Jahr darauf nach Stuttgart wechselte - da waren mit Hans Arnold, Hartmut Weiß und Hans Eisele drei Spieler betroffen - musste ich eine eidesstattliche Erklärung abgeben, dass ich nichts mit Manipulationen zu tun hatte.
SPOX: In Gladbach war Günter Netzer einer Ihrer Mitspieler. Der eröffnete im April 1971 quasi im Saisonendspurt in einem früheren Friseurladen die Diskothek "Lovers Lane". War das Team davon überrascht?
Köppel: Nein, wir wussten schon Bescheid. Das war aber kein besonders großes Thema. Als dort eröffnet wurde, waren wir nach Heimspielen oder auch nahe gelegenen Auswärtsspielen jeden Samstag mit mindestens sechs oder sieben Spielern da. Das war mehr oder weniger der Mannschaftstreff. Oft sind wir zuvor Essen gegangen und dann auf einen Absacker ins Lovers Lane. Der Barkeeper war ein Italiener und wurde vom Günter immer angewiesen: "Die dürfen trinken, was sie wollen."
SPOX: Was war Netzer für ein Typ?
Köppel: Es war ein eigenwilliger Charakter. Nicht besonders trainingsfleißig, aber im Spiel halt einfach oft bärenstark. Das wurde dann natürlich so akzeptiert (lacht). Als ich als junger Kerl nach Gladbach kam und vor der Aufgabe stand, meine neue Wohnung einzurichten, hat der Günter zu mir gesagt: "Pass auf, wenn du dorthin gehst, bekommst du 20 Prozent Rabatt, wenn du hier hin gehst, sind es 30 Prozent". Der kannte damals schon Gott und die Welt in Gladbach. Er kam dann auch mit und hat die Preise ausgehandelt, da ich ja niemanden kannte. Er war schon immer ein cleverer Geschäftsmann.
SPOX: Stichwort Lovers Lane: Wie professionell wurde damals für den Fußball gelebt?
Köppel: Während der Woche war ich sehr diszipliniert. Am Wochenende - wir haben ja meistens gewonnen - wurde dann gefeiert. Da wurde auch das eine oder andere Gläschen weggeputzt. Wenn es mal drauf an kam, dann haben wir es schon zünftig krachen lassen. Damit hatten wir keine Probleme. Das war auch kein Thema in der Öffentlichkeit. Wir haben ja nicht gefeiert, nachdem wir scheiße gespielt hatten.
SPOX: Heute würden Sie bei solchen Aktivitäten in jeder Zeitung auftauchen. Wie sah das Verhältnis zu den Medien aus?
Köppel: Manche Reporter sind auch ins Lovers Lane gegangen. Es gab damals ja nur drei Fernsehsender und in unserem Einzugsgebiet vier Tageszeitungen. Daher kannte man die Journalisten gut, die Borussia hatte sie auch einigermaßen "im Griff", so dass da nicht plötzlich und unvorbereitet ein Riesenfass aufgemacht wurde. Wenn wir im Ausland gespielt haben, saßen die Journalisten teilweise bei uns mit im Bus.
SPOX: Wie kam man denn beispielsweise an ein Interview mit Ihnen? Eine offizielle Anfrage wie heute musste man sicherlich nicht stellen, oder?
Köppel: Nein. Da kam nach dem Training der Journalist auf einen zu und hat mitgeteilt, wann er dich am nächsten Tag anrufen wird. Man hat sich aber auch vor oder nach dem Training verabredet. Das war sehr simpel geregelt bei uns. Man mag es ja kaum glauben, aber wir waren schon so ein kleiner Provinzklub. Wir sind 1965 aufgestiegen und um uns herum gab es mit dem 1. FC Köln, Fortuna Düsseldorf, Alemannia Aachen und etwas weiter weg Duisburg, Bochum, Dortmund sowie Schalke genügend Vereine, die interessierten. Wir sind erst nach den beiden Meisterschaften interessant geworden.
Horst Köppel im Steckbrief