Im Jahr 2014 gehörten Jerome Boateng und Mats Hummels zweifelsohne zu den besten Innenverteidigern der Welt. Bei ihren jeweiligen Vereinen Bayern München und Borussia Dortmund waren sie unangefochtene Stammspieler und auch in der deutschen Nationalmannschaft ergänzte sich das kaum überwindbare Duo par excellence. Seite an Seite sorgten sie dafür, dass Deutschland in Brasilien nach 1954, 1974 und 1990 zum vierten Mal den WM-Pokal in die Höhe strecken durfte. Hummels schaffte es am Ende sogar in die Elf des Turniers.
Ein bisschen mehr als zehn Jahre später durchleben beide erneut eine ganz ähnliche Situation, im Vergleich zu 2014 dürfte der Gemütszustand allerdings ein ganz anderer sein. Denn während Hummels nach seinem Vertragsende beim BVB zur AS Roma nach Italien wechselte und sich dort seitdem nur ein einziges Mal auf dem Rasen wiederfand - ironischerweise erzielte er in seinen 23 Spielminuten, bei einer 1:5-Niederlage gegen die AC Florenz, ein Eigentor -, kommt Boateng im rund 730 Kilometer Luftlinie nordöstlich gelegenen Linz ebenfalls nicht über die Rolle als Zuschauer hinaus.
Nachdem er zu Beginn der Saison aufgrund von Adduktorenbeschwerden noch zum Zusehen verdammt war, feierte Boateng am 17. August, bei der 0:1-Heimniederlage bei RB Salzburg, sein Debüt für die Linzer ASK. Es folgte ein weiterer Kurzeinsatz beim 1:2 gegen Austria Wien, eher der 36-Jährige am 1. September schließlich seinen ersten Einsatz von Beginn an feierte. Das Startelfdebüt ging allerdings vollkommen in die Hose, schließlich wurde LASK mit 1:5 gegen den Wolfsberger AC nach Hause geschickt, wobei Boateng bei den vier Gegentoren bis zu seiner Auswechslung in der 55. Minute keine wirklich glückliche Figur abgab.
Seitdem hält sich die Spielzeit des Weltmeisters in Grenzen. Eine weitere Adduktorenverletzung setzte ihn im September erneut außer Gefecht, im Anschluss stand er in nur noch drei Spielen - gegen Klagenfurt in der Liga sowie im Hin- und Rückspiel der Europa-League-Qualifikation gegen Bukarest - auf dem Platz. Für zusammengerechnet gerade einmal 29 Minuten. Ende Oktober saß er gegen die WSG Tirol dann nur noch auf der Bank, ehe er im Anschluss vom neuen Trainer Markus Schopp, der das Amt von Thomas Darazs aufgrund der sportlichen Misere Anfang September übernommen hatte, nicht einmal mehr in den Kader berufen wurde.
Transfer von Jerome Boateng "ein absoluter Wahnsinn"
Dabei sprach zunächst vieles dafür, dass die LASK für Boateng die perfekte Karrierestation sein könnte. Im Spätherbst der Laufbahn noch einmal dazu beitragen, ein sportlich interessantes Projekt nicht allzu fernab der Heimat nach vorne zu bringen, hört sich nicht allzu schlecht an. Entsprechend begeistert zeigten sich nach dem Vollzug des Deals auch alle Beteiligten.
"Es ist ein absoluter Wahnsinn und unfassbar, dass wir mit Jerome Boateng einen international derart begehrten Ausnahmespieler und Vorzeigeathleten zum LASK holen konnten", frohlockte LASK-Geschäftsführer Siegmund Gruber. Sportvorstand Radovan Vujanovic brandete Boateng als "einen der besten Innenverteidiger der Welt" und "außergewöhnliche Persönlichkeit", die auf dem Platz "stets nach dem maximalen Erfolg" strebe.
Boateng selbst betonte, dass er der Zeit "bei der LASK mit großer Vorfreude entgegen" sähe. "In den vergangenen Jahren wurde hier etwas Großes aufgebaut. Mit meiner Erfahrung möchte ich der LASK nun dabei helfen, die nächsten Schritte zu machen." Von Beginn an hätten ihm die Verantwortlichen in den Gesprächen vermittelt, "mich auf dem eingeschlagenen Weg unbedingt dabei haben zu wollen."
Auch deshalb habe des 36-Jährige "zahlreiche Angebote" von anderen Klubs abgelehnt und sich "bewusst für die LASK entschieden, weil mich der sportliche Weg, die Idee und die Visionen des Vereins vollauf überzeugt haben."
Fans üben deutliche Kritik am Verein: "Höchst problematischen Symbolwirkung"
Zumindest bis zu den ersten Einsätzen sollte diese Vorfreude auf eine florierende gemeinsame Zusammenarbeit auch anhalten. Spätestens aber nachdem Boateng zum ersten Mal für die LASK auf dem Platz stand und die Fans ihre Meinung zum Transfer des Weltmeisters kundtaten, bekam die Fassade Risse.
Gleich in seinen ersten beiden Einsätzen für Linz wurde Boateng - sowohl vor heimischer Kulisse, als auch von den auswärts mitgereisten Fans - gnadenlos ausgepfiffen. Der Grund: Boateng musste sich in der Vergangenheit mehrfach wegen mutmaßlicher Körperverletzung vor Gericht verantworten. Der Ex-Nationalspieler hatte alle Vorwürfe, seinen Partnerinnen gegenüber gewalttätig geworden zu sein, zwar stets zurückgewiesen. Erst im vergangenen Jahr wurde er allerdings zu einer Geldstrafe in Höhe von 1,2 Millionen Euro verurteilt, welche das Bayerische Oberste Landesgericht erst im Nachgang aufgrund von Verfahrensfehlern einkassierte.
Hohe Wellen schlug diesbezüglich auch der Fall um seine Ex-Freundin Kasia Lenhardt, die im Februar 2021 Suizid begangen hatte. Einem Bericht des Spiegel zufolge hatte Lenhardt wenige Tage vor ihrem Tod bei der Polizei Anzeige wegen Erpressung und Diebstahl erstattet. Außerdem soll sie einen anwaltlichen Termin vereinbart haben, um Boateng wegen Körperverletzung anzuzeigen.
Diese Causa spielte auch im Sommer in Linz eine Rolle. Als die Frauen-Mannschaft des LASK auf den Stadtrivalen Blau-Weiß Linz traf, trug eine Assistenztrainerin von Blau-Weiß eine Jacke mit einer großen "Kasia Lenhardt"-Aufschrift auf dem Rücken. Darüber hinaus wurden während der Partie zwei Banner mit den Schriftzügen "Gratuliere Dr. Gruber zu den neuesten Transfer-SCHLAGzeilen" und "Keine Bühne für TÄTER! Ruhe in Frieden Kasia!" gehisst.
Die Fanszene des Linzer ASK sah sich sogar zu einem ausführliches Statement gezwungen, in welchem sie die Vereinsführung scharf für die Verpflichtung Boatengs attackierte. Der Transfer hätte eine "höchst problematischen Symbolwirkung. Nicht nur für viele der zahlreichen Frauen, die sich mit dem LASK identifizieren, sondern auch in einer Gesellschaft, in der etwa jede sechste Frau in Österreich Opfer häuslicher Gewalt wird. Fußballvereine wie der LASK tragen durch ihre Strahlkraft eine besondere gesellschaftliche Verantwortung, der in diesem Fall nicht nachgekommen wurde." Man werde, teilte die Fanszene mit, "unser eigentliches Spielfeld - das Stadion - dafür nutzen, um die Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken und das Bewusstsein dafür zu erhöhen."
Jerome Boateng wird Co-Trainer der LASK-U19
Leiser sind die Proteste erst seit Boatengs regelmäßigem Fehlen im Spieltagskader geworden, ein vorzeitiges Ende des noch bis 2026 laufenden Kontraktes steht allerdings nicht im Raum. Viel mehr werden sich die LASK-Anhänger an eine längerfristige Präsenz im Verein einstellen müssen, schließlich wird Boateng noch im November, nach der Absolvierung eines Lehrgangs zur B-Lizenz, als Co-Trainer der U19 anfangen und erste Trainererfahrungen sammeln.
"Nach meiner Karriere kann ich mir sehr gut vorstellen, als Trainer zu arbeiten. Daher mache ich jetzt die B-Lizenz und steige bei der U19 von LASK ein", erklärte er erst kürzlich gegenüber Sport1. "Viele große Trainer, wie zum Beispiel Thomas Tuchel, haben als Co-Trainer bei den Junioren angefangen. Ich will dort Erfahrungen sammeln, lernen, aber natürlich auch meine Erfahrung an die jüngeren Spieler weitergeben."