3. Die Seahawks: Der Weg ist klar - oder?
Eine unerwartet positive, unterhaltsame Saison der Seahawks endete letztlich mit einer deutlichen Klatsche. Das 23:41 gegen die 49ers liest sich zunächst einmal wie eine komplette Playoff-Abreibung; eine Demontage, welche selbst den antizipierten Unterschied zwischen diesen beiden Teams nochmal deutlich übertraf.
Doch das war, auch wenn es am Ende die deutlichste Niederlage setzte, das kompetitivste Spiel, welches die Seahawks den Niners in dieser Saison geliefert haben.
Zweieinhalb Minuten vor dem Ende des dritten Viertels führte San Francisco mit lediglich sechs Punkten, und die Seahawks standen in der Red Zone, mit der Chance, erneut die Führung zu übernehmen. Dann hielt Geno Smith den Ball in der Pocket zu unvorsichtig, Charles Omenihu bekam die Hand an den Ball und schlug ihn raus. Bosa sicherte den Fumble, und keine acht Spielminuten später stand es 38:17 für die 49ers.
Es war der Wendepunkt in einem Spiel, in dem Seattle in der ersten Hälfte die beiden kritischsten Fragen beantwortet hatte.
Nachdem die Niners-Front die ersten beiden Drives eindrucksvoll erstickt hatte, legten die Seahawks zunächst einen Touchdown-Drive hin, bei dem das Run Game konstant funktionierte, nur um dann im nächsten Drive mit dem langen Touchdown-Pass auf DK Metcalf zu zeigen, dass man sehr wohl explosive Plays gegen diese Niners-Defense auflegen kann.
Seattle muss weiter in die Line investieren
Das Spiel erinnerte, als diese beiden Teams in die Halbzeitpause gingen, aus Seahawks-Sicht gar nicht an die ersten beiden Saisonspiele gegen die 49ers. Dennoch kann man einige klare Ideen mitnehmen: Seattle sollte, auch nachdem man mit zwei (!) Rookie-Tackles im vergangenen Draft den Grundstein für die Zukunft gelegt hatte, weiter in die Offensive Line investieren.
Denn beide Dinge können wahr sein: Die beiden Rookie-Tackles, die nach gutem Start in die Saison in der zweiten Saisonhälfte - nicht Rookie-untypisch - abbauten, werden sich stabilisieren und werden sich steigern; und gleichzeitig muss die Line weiter adressiert und weiter verbessert werden, mit Blick eben auf die Interior Line.
Was generell nämlich auffiel, ist, wie inkonstant das Run Game war. Seattle konnte bestenfalls durch Big Plays am Boden etwas bewegen; in puncto Success Rate, also wie konstant die Seahawks positive Runs kreierten, belegten sie in der Regular Season Platz 32.
Hier merkte man die Defizite in der Offensive Line noch mehr als in der Pass-Protection, was dann zusätzliche Auswirkungen auf das Passing Game hatte: Weil das Run Game bestenfalls inkonstant war und die eigene Defense immer mehr auseinanderfiel, standen Geno und das eigene Passing Game umso mehr unter Druck - was dann wiederum dazu führte, dass die Line in Pass-Protection ebenfalls mehr im Fokus stand.
Seahawks zeigen offensive Fortschritte
Und damit schließt sich der Kreis zu den Duellen gegen San Francisco. Geno Smith hatte in der Regular Season vier Spiele mit einer durchschnittlichen Target-Tiefe von unter 5,5 Yards, und damit signifikant unter seinem Saison-Schnitt von 8,2 Yards: Zwei davon kamen gegen die 49ers, mit 5,4 Yards im ersten und gerade einmal 4,4 Yards im zweiten Spiel.
Er hatte auch vier Spiele, in denen er weniger als zwei tiefe Pässe überhaupt versucht hatte; auch hier waren beide Spiele gegen San Francisco dabei, mit einem tiefen Shot im ersten und keinem im zweiten Duell gegen die 49ers.
Die Niners-Defense ist außergewöhnlich gut darin, Shot-Plays zu verhindern - gegen Seattle war das besonders eklatant, weil die Seahawks-Offense eindimensional wurde und dann den Pass-Rush nicht blocken konnte.
Zumindest in der ersten Hälfte war das im dritten Matchup über weite Strecken nicht der Fall. Erst in der zweiten Hälfte entglitt das Spiel - beginnend mit dem Strip-Sack - den Seahawks. Natürlich war in Phasen die Dominanz der Niners-Front zu sehen, doch bis zum Schlussviertel war es kein Spiel, in dem Seattle an der Line dominiert wurde.
Seahawks haben einen riesigen Sprung gemacht
Und generell gilt: All das sollte aber nicht von dem gigantischen Schritt ablenken, den die Seahawks als Franchise in diesem Jahr geschafft haben. Denn, so viel ist klar: Seattle steht jetzt viel, viel besser da, als man das im vergangenen März, nachdem der Trade von Russell Wilson in trockenen Tüchern war, für diesen Punkt auch nur ansatzweise realistisch prognostizieren konnte.
Daran hat einerseits eine allem Anschein nach sensationelle Draft-Klasse großen Anteil. Es ist gut möglich, dass Seattle mit dem vergangenen Draft seine beiden Starting-Tackles, seinen Nummer-1-Corner, einen weiteren Starting-Corner, seinen Starting Running Back und zumindest einen Rotations-Edge-Rusher gefunden hat - eine gigantische Ausbeute.
Spieler | Snaps (Liga-Vergleich in der Regular Season) |
OT Charles Cross | 1.088 (Platz 13 unter allen Tackles) |
OT Abraham Lucas | 975 (Platz 32 unter allen Tackles) |
CB Tariq Woolen | 1.135 (Platz 3 unter allen Cornerbacks) |
CB Coby Bryant | 757 (Platz 48 unter allen Cornerbacks) |
RB Kenneth Walker | 258 (Platz 15 unter allen Running Backs) |
Edge Boye Mafe | 423 (Platz 86 unter allen Edge-Verteidigern) |
Das gibt auch berechtigten Grund für Optimismus. Dass die Niners noch mindestens eine Nummer zu groß sind, sollte niemanden ernsthaft überraschen: San Francisco ist nicht nur ein ganz furchtbares Matchup aus Sicht der Seahawks, die Niners sind in ihrer Kaderentwicklung auch schlicht mehrere Jahre weiter.
Und in gewisser Weise können die Seahawks ihr jetzt fantastisches Sprungbrett auch in einer ähnlichen Art und Weise ausrichten, wie es die Niners geschafft haben. Indem man weiter klare Identitäten auf beiden Seiten des Balls entwickelt, und so einen nicht nur sehr robusten, sondern auch einen in sich stimmigen Kader aufbaut, der Stürmen - wie etwa in Form gleich zweier Quarterback-Verletzungen - auffangen kann.
Seahawks: Geno Smith wird bleiben
Davon ist Seattle zugegebenermaßen noch weit weg, und gerade die Seahawks, mit ihren legendären Drafts zu Beginn der 2010er, gefolgt von mehreren Flop-Drafts im weiteren Verlauf des Jahrzehnts, sind ein gutes Beispiel dafür, dass eine absolut herausragende Offseason uns nichts darüber aussagt, wie die nächste Offseason abläuft.
Klar ist, dass die Seahawks Kapital haben, um weiter am Kader zu basteln. Neben dem eigenen Erstrunden-Pick gehören der Nummer-5- genau wie der Nummer-38-Pick im kommenden Draft via Denver den Seahawks. Kaum ein Team hat in der jetzt anstehenden Offseason so viele Ressourcen zu seiner Verfügung wie Seattle.
Und einiges davon wird, zumindest was den Cap Space angeht, in Geno Smith investiert werden. Hier sprechen wir nicht von einem Top-5-Quarterback-Deal, aber Smith hat gezeigt, dass er zumindest einen Vertrag in der Ryan-Tannehill-Region wert sein kann; auch den Franchise Tag würde ich nicht ausschließen. Bereits vor dem Spiel gegen die 49ers kursierten Berichte, wonach Smith bleiben wird.
Smith selbst sagte nach dem Spiel, dass er seine Karriere in Seattle beenden möchte und dass er dankbar dafür ist, wie er in Seattle aufgenommen wurde. Dafür wolle er "etwas zurückgeben". Seine zweite Saisonhälfte war schwächer, aber wie bereits erwähnt, lag das auch daran, dass die Passing-Offense zu viel tragen musste.
Seattle muss jetzt einerseits den Floor seines Kaders stabilisieren, um eben nicht von einzelnen Spielern dermaßen abhängig zu sein. Wenn man aber auf einen Spieler angewiesen sein muss, dann sollte es im Idealfall der Quarterback sein, und ich denke, dass Smith nicht nur gezeigt hat, dass er ein essenzieller Treiber der Offense sein kann, sondern dass er auch die Art Quarterback ist, auf die Pete Carroll bauen will.