Arnovitz erklärt zudem, warum er nicht der Meinung ist, dass Kevin Durant die Golden State Warriors wirklich besser macht, und blickt auf die "verschiedenen Theorien" zur Zukunft von Kawhi Leonard.
Mr. Arnovitz, nachdem jetzt zwei Spiele in den NBA Finals absolviert sind - können Sie Stand jetzt mit Überzeugung sagen, dass eins der beiden Teams besser ist als das andere?
Kevin Arnovitz: Nein, nicht mit Überzeugung. Toronto hat demonstriert, dass es vielleicht das beste Defensiv-Team ist, das die Warriors im Lauf ihrer fünfjährigen Dynastie gesehen haben - ich denke da zurück an die 2015er Grizzlies, die Golden State richtig frustriert haben, oder auch an die 2017er Spurs, wenn Kawhi Leonard sich nicht im ersten Spiel verletzt hätte - aber die Raptors verteidigen wirklich jede Possession, sie haben defensiv eigentlich keine Schwachstelle. Und solange das der Fall ist ... natürlich können die Warriors jederzeit ein Spiel haben, in dem vom Perimeter alles fällt und man nichts dagegen machen kann, das haben sie oft genug gezeigt. Aber die Raptors sind kein Team, über das sie einfach hinüberspazieren können, dafür ist ihre Defense zu stark.
Würden Sie dem folgenden Statement zustimmen: Die Raptors sind das tiefere, besser balancierte Team, aber die Warriors fühlen sich auf der aktuellen Bühne etwas wohler, weil sie dort eben deutlich erfahrener sind?
Arnovitz: Ich weiß nicht, ob es die Erfahrung ist, Kawhi zum Beispiel kennt sich in den Finals ja auch bereits aus. Aber die Warriors haben definitiv mehr Kontinuität. Blicken wir nur mal auf Klay Thompson, Stephen Curry und Draymond Green - dieses Trio weiß einfach, wie man Musik macht. Sie wissen mit verbundenen Augen, wie sie ihre Offense zu laufen haben und Würfe herausspielen können, selbst gegen eine so gute Defense. Auch Andre Iguodala ist vielleicht nicht mehr der gleiche Spieler wie vor fünf Jahren, aber er weiß immer noch, was er zu tun hat, es gibt eine Kernkompetenz in Golden State, mit der sie viele Probleme kaschieren können. Aber im Sinne einer 8-Mann-Rotation sind die Raptors besser ausbalanciert und in der unteren Hälfte stärker besetzt als die Warriors, keine Frage. Sie haben eine gesunde Rotation, vielleicht bekommen sie jetzt auch O.G. Anunoby für noch mehr Variabilität zurück. Ich denke, die Warriors können noch immer höhere Höhen erreichen, aber nicht wegen ihrer Tiefe, sondern wegen ihrer Kontinuität.
Kevin Arnovitz über die Warriors: "Das ist ihre Calling Card"
Mittlerweile häufen sich die Verletzungen bei den Warriors, auch in Spiel 2 fiel ja erst Kevon Looney und später auch noch Klay aus. Hat es Sie überrascht, wie Golden State trotzdem in der zweiten Hälfte aufgedreht hat?
Arnovitz: Nein, einfach weil wir diese Explosionen in den letzten Jahren so oft von ihnen gesehen haben. Das ist quasi ihre Calling Card, diese dritten Viertel sind ein Teil ihrer Identität geworden. Jedes Team, das zur Pause eigentlich das Spiel kontrolliert, weiß ganz genau, dass diese Lawine jederzeit kommen kann, wenn es gegen die Warriors geht. Überrascht ist man daher nicht mehr.
Dennoch haben die Raptors sich über die verpasste Chance sicherlich geärgert, mit 2-0 in Führung zu gehen. Was denken Sie, wie die Gefühlslage nach so einer Niederlage aussieht?
Arnovitz: Ich erlebe sie als ziemlich gemäßigte Truppe, die sich nie zu sehr hoch- oder runterziehen lässt. Ich bin jetzt die gesamte Postseason über bei ihnen dabei und auch nach dem 0-2-Rückstand gegen die Bucks haben sie sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, sondern darauf verwiesen, dass schon andere Teams einen solchen Rückstand gedreht haben - was sie dann auch geschafft haben. Es gibt zudem nicht viele Stars, bei denen ich mir weniger Sorgen mache, dass sie ins Grübeln geraten könnten, als Kawhi Leonard. Es ist nicht sein Charakter, das ganze Team hat diese Arbeiter-Mentalität verinnerlicht. Sie geraten nicht in diese psychologischen Fallen nach verpassten Möglichkeiten.
Dabei hatten Sie in den vergangenen Jahren ja nicht unbedingt den Ruf, ein total resilientes Team zu sein, eigentlich eher im Gegenteil. Ist diese Transformation nur Kawhi zuzuschreiben?
Arnovitz: Es ist schwer, diese Konversation zu führen, ohne dabei schlecht über DeMar DeRozan zu reden, aber ich denke, dass Kawhi einfach eine bestimmte Art hat - er ist sehr nüchtern, teilweise fast amüsant. Nachdem Toronto gegen Milwaukee die ersten beiden Spiele verlor, wurde er von einem Reporter fast schon fatalistisch gefragt, wohin es nun gehen würde für die Raptors, und er antwortete völlig ohne Ironie: 'Wir fahren zu Spiel 3 nach Toronto.' Da hat er komplett diese Spurs-Mentalität verinnerlicht. Dass eine emotionale Komponente eine Rolle spielen könnte, ist für jemanden wie Leonard ein völlig fremdes Konzept. Danny Green und Marc Gasol sind ähnlich, auch Nick Nurse ist niemand, der sich leicht aus der Bahn werfen lässt. Das ist ein kollektiver Charakter dieses Teams. Ich denke aber schon, dass das primär von Kawhi kommt - die meisten Teams nehmen ja ein Stück weit den Charakter ihrer wichtigsten Spieler an. Bei den Raptors sind das Leonard und Kyle Lowry. Das ist auch bei den Warriors ähnlich, die die Freude von Stephen Curry und das Feuer von Draymond Green reflektieren.
Box-and-One? "Für mich brillant"
Kommen wir zurück zu Spiel 2. Die Raptors versuchten es im letzten Viertel mit einer sehr unkonventionellen Box-and-One-Defense gegen Curry, die von WNBA-Star Candace Parker bei Twitter als "Achtklässler-Basketball" verspottet und von Curry selbst als "despektierlich" gegenüber seinen Mitspielern bezeichnet wurde. Eigentlich hat die Defense aber doch funktioniert, oder? Curry hat im letzten Viertel keinen Wurf genommen und keinen Assist verzeichnet.
Arnovitz: Das hat sie! Ich glaube aber nicht, dass Candace die Aussage als Beleidigung gemeint hat - jeder, der mal auf einem etwas tieferen Level Basketball gespielt hat, kennt das ja: In jedem Team voller 14-Jähriger gibt es einen, der überragend scoren kann, und vier Kids, die froh sind, einfach nur dabei zu sein. Das gegnerische Team will dann diesen einen Spieler stoppen und den Rest erledigt die Zone. Die Wahrheit ist doch: Wenn Draymond von der Dreierlinie losballern möchte, kann Toronto damit leben. Auch DeMarcus Cousins strahlt aktuell nicht die massive Gefahr aus. Deswegen war die Box-and-One-Defense für mich brillant - ich glaube nicht, dass wir sie oft sehen werden, aber es war den Versuch wert. Nie im Leben waren die Warriors darauf vorbereitet. Jetzt haben sie ein paar Tage, um sich etwas dafür zu überlegen, dann wird es nicht mehr so gut funktionieren. Trotzdem: Ich liebe das an den Finals. Man weiß nie, welches Ass noch irgendwo im Ärmel versteckt ist. Und die Defense von Fred VanVleet gegen Curry war der Hauptgrund, warum Toronto überhaupt zurück in ein Spiel kam, das viel deutlicher hätte sein können.
NBA Finals 2019: Die Serie im Überblick
Tag | Datum | Uhrzeit | Spiel | Team 1 | Team 2 | Ergebnis |
Freitag | 31. Mai | 3 Uhr | 1 | Toronto | Golden State | 118:109 |
Montag | 3. Juni | 2 Uhr | 2 | Toronto | Golden State | 104:109 |
Donnerstag | 6. Juni | 3 Uhr | 3 | Golden State | Toronto | |
Samstag | 8. Juni | 3 Uhr | 4 | Golden State | Toronto | |
Dienstag | 11. Juni | 3 Uhr | 5 | Toronto | Golden State | |
Freitag | 14. Juni | 3 Uhr | 6* | Golden State | Toronto | |
Montag | 17. Juni | 2 Uhr | 7* | Toronto | Golden State |
*Spiele werden nur ausgetragen, wenn nötig.
Das eigentliche Problem der Raptors war in der Schlussphase sicher die Offense. Was haben sie falsch gemacht?
Arnovitz: Sie haben den Ball nicht mehr bewegt, es gab zu viel Stagnation und man hat meiner Meinung nach nicht die Balance aus Kawhi-Isolationen und anderen Aktionen, beispielsweise initiiert von Gasol im Highpost, gesehen, wie es noch gegen Milwaukee der Fall war. Natürlich ist jede Serie anders, aber sie waren in Spiel 2 ein bisschen zu leicht zu verteidigen, zu vorhersehbar. Ich denke, sie müssen die Warriors ein bisschen mehr arbeiten lassen.