Wie das ab sofort laufen würde, ließ sich bereits an Rafael van der Vaarts erstem "Arbeitstag" erahnen. Der Hamburger SV war zum Derby nach Bremen gereist, van der Vaart stand wenige Tage nach seiner spektakulären Rückholaktion gar nicht im Kader. Trotzdem war der Niederländer mit dabei, zur moralischen Unterstützung seiner Mannschaft.
Der HSV residierte in einem Hotel in der Bremer Innenstadt und zahlreiche Hamburger Fans belagerten den Platz davor. Als die Mannschaft dann gegen halb zwei in den Mannschaftsbus stieg, wurden im Prinzip alle Spieler mit Missachtung gestraft. Alle warteten auf van der Vaart, der allerdings mit seiner Familie noch in der Lobby saß und eine Kleinigkeit zu sich nahm.
Die Fans stürmten daraufhin in die Hotelhalle, jeder wollte den Rückkehrer sehen, ein Autogramm erhaschen oder ein Foto. Der Sicherheitsdienst schritt ein und beruhigte die Situation. Der Bus machte sich auf den Weg zum Stadion, van der Vaart folgte einige Zeit später im Privatwagen.
Rückholaktion auf Pump
Die Beziehung zwischen Rafael van der Vaart und dem Hamburger SV war schon immer eine sehr besondere. In seiner ersten Zeit in Hamburg lag ihm die Stadt förmlich zu Füßen. Van der Vaart verlieh dem HSV neuen Glanz, er ließ die Fans nach Jahren der Enthaltsamkeit von längst vergessenen Erfolgen träumen.
Die Anhänger verziehen ihm dabei so manchen Ausrutscher, auf und neben dem Platz. Van der Vaart war der kleine Engel, dem die Hansestadt aber noch drei turbulenten Jahren zu klein wurde. Der Niederländer versuchte sich beim schillerndsten Verein der Welt, verließ Madrid aber nach zwei Jahren wieder. Bei den Tottenham Hotspur fand van der Vaart wieder in die Spur. Trotzdem wurde ihm ebenfalls nach zwei Jahren ein Vereinswechsel nahe gelegt.
In Hamburg knisterte es schon länger, Milliardär und Gönner Klaus-Michael Kühne machte schließlich den spektakulären Wechsel perfekt und holte van der Vaart zurück. Dass sich der HSV einen Spieler dieser Kategorie und Preisklasse eigentlich gar nicht leisten konnte, irritierte nur kleine Teile der Fans. Völlig überzogen wurde van der Vaart, mittlerweile 29 Jahre alt, als Messias gefeiert.
Finks Plan ein Irrtum
In seiner ersten Saison konnte der Niederländer tatsächlich das Spiel der Mannschaft prägen, van der Vaart war in einer durchschnittlichen Mannschaft derjenige, der oft den Unterschied ausmachen konnte. Fast schon logisch, dass er in der Rückrunde zum neuen Kapitän bestimmt wurde.
Im Vorfeld der aktuellen Saison forcierte der damalige Trainer Thorsten Fink den Sonderstatus seines Spielmachers. "Insgesamt hat er uns richtig geholfen, aber ich erwarte in seinem zweiten Jahr noch mehr von ihm", sagte Fink, als er einen übergewichtigen van der Vaart zum Trainingsauftakt begrüßen durfte. Finks Plan für die Saison sah vor, dem Routinier noch mehr Freiheiten in der Offensive zu gewähren.
"Ich will ihn nur noch auf der Zehnerposition hinter der Spitze sehen. Ich will unsere Mannschaft um ihn herum aufbauen, mit Spielern, die ihn in die Partie bringen und die er in Szene setzen kann. Rafael muss sich künftig die Bälle nicht mehr ganz hinten holen. Das war zwar nötig für unser Spiel, aber es ist für ihn nicht von Vorteil", waren Finks Worte. "Rafael ist wahrscheinlich so viel gelaufen wie nie zuvor in seiner Karriere. Aber das will ich künftig nicht mehr."
Finks Plan darf als gescheitert betrachtet werden. Der Trainer musste früh gehen, van der Vaarts Spiel sah weder unter Fink noch unter seinen Nachfolgern Bert van Marwijk und Mirko Slomka so aus, dass van der Vaart als freier Körper losgelöst schalten konnte - der Fußball unserer Zeit verzeiht die Sonderrolle eines Spielers nur in sehr seltenen Fällen.
Und dann auch nur, wenn der eine Spieler so außergewöhnlich gut und wichtig für eine Mannschaft ist wie es etwa Leo Messi oder Cristiano Ronaldo für ihre Teams sind. Und wenn die Mannschaft drumherum gut genug ist, diesen einen Spieler auch zu hofieren. Beides ist beim HSV nicht der Fall. Fink hätte das wissen müssen, er wagte den Versuch trotzdem.
"Er muss zu viel laufen"
Mittlerweile ist nicht selten so, dass kein anderer Spieler der Hamburger mehr läuft als van der Vaart. Über die Qualität seiner Laufleistung sagt das zunächst nichts. Trotzdem bleibt der Verdacht, dass er sich in Nebensächlichkeiten aufreibt.
"Der HSV ist ein Problem für ihn. Es ist nicht gut, dass er in einer schwachen Mannschaft spielt. Van der Vaart muss in Hamburg zu viel laufen - und das ist nicht seine Stärke. Er ist ein sehr guter Fußballer. Seine Stärke ist, Fußball zu spielen", sagt Hollands Legende Johan Cruyff und betont extra das Wort "spielen".
Van der Vaarts Werte sind nicht berauschend, aber absolut im Rahmen. Sieben Tore und sechs Assists stehen bisher zu Buche: nicht überragend, aber solide. An 130 Torschüssen war van der Vaart in der Vorbereitung beteiligt, 22 Mal stand er in der Startelf, ausgebremst wurde er nur durch kleinere Verletzungen. Das ist die eine Seite.
Nur kleine Fortschritte
Die andere sieht einen van der Vaart, der zwar ordentliche Werte aufweist, dessen Wert für die Mannschaft aber nicht das Maß erreicht, das man von einem Spieler seiner Klasse erwarten muss. Kurz vor Weihnachten hat er seinen letzten Treffer erzielt, in der Rückrunde wartet er immer noch auf sein erstes Tor. Bis jetzt hat es im Kalenderjahr 2014 nur zu einem mageren Assist gereicht - einem abgeblockten Schuss, der zufällig Pierre-Michel Lasogga vor die Stiefel fiel.
Die Partie in Mönchengladbach am vergangenen Wochenende muss schon als Aufwärtstrend herhalten. Van der Vaart war besser eingebunden in das Spiel der Mannschaft, kam selbst in gute Abschlusspositionen. "Der viel und oft kritisierte van der Vaart hat auch in Gladbach eine deutliche Leistungssteigerung gezeigt", sagt Slomka. "Wenn wir das jetzt stabil hinbekommen für die letzten Wochen der Saison, dann ist mir nicht bange. Dann schaue ich voller Überzeugung auf Platz 15."
Es sind die kleinen Errungenschaften, die Mut machen sollen für die restlichen Spiele. Denn vor der Partie in Mönchengladbach war der Niederländer in den vielen umkämpften Partien, in denen seine Mannschaft einen Anführer gebraucht hätte, kaum in Erscheinung getreten.
Van der Vaart ist vielleicht nicht alleine das Gesicht der Krise. Aber er ist das Synonym für den Hamburger SV in dieser Saison: Mit vielen ordentlichen bis guten Einzelspieler, aber keiner funktionierenden Mannschaft. Van der Vaart ist sicherlich immer noch der beste Fußballer im Kader, bekommt das Gesamtpaket aber nicht auf den Rasen.