Nach dem letzten Kneeldown in Super Bowl LV suchte der Großteil der Kameras im Raymond James Stadium in Tampa Bay mal wieder Tom Brady. Der Quarterback der Buccaneers stand einmal mehr im Mittelpunkt des Geschehens, wie so häufig in seiner Karriere.
Brady war zum MVP des Super Bowls gewählt worden, er hielt die erste Rede aller Spieler auf dem Podium in der Mitte des Spielfelds. Die Medien feierten den 43-Jährigen, fast alle Schlagzeilen wurden unmittelbar nach dem Spielende mit seinem Konterfei bebildert.
Und das völlig zu Recht. Brady hatte in seiner ersten Saison mit den Buccaneers den Titel gewonnen und sich damit seinen siebten Ring verdient, deutlich mehr als jeder andere Spieler der NFL-Geschichte, mehr sogar als jedes Team in der Liga - eine geradezu unfassbare Statistik. Er ist der größte Footballspieler aller Zeiten.
Auch im Super Bowl spielte Brady stark auf. Er machte praktisch keine Fehler, nach anfänglichen Startschwierigkeiten bewegte seine Offense den Ball konstant und effektiv. Der wichtigste Faktor beim Sieg der Buccaneers war wahrscheinlich dennoch jemand anderes: Defensive Coordinator Todd Bowles.
Super Bowl LV: Bowles' Defense schaltet Mahomes aus
Bowles' Defense hatte in der Nacht auf Montag das geschafft, was viele Beobachter für praktisch unmöglich gehalten hatten: Sie hatte Patrick Mahomes in Schach gehalten. Sie hatte die Offense von Andy Reid gestoppt.
Mahomes, der erst im vergangenen Jahr einen Rekordvertrag über fast 500 Millionen Dollar unterschrieben hatte. Mahomes, der den Bucs im ersten Aufeinandertreffen der beiden Teams alleine in der ersten Halbzeit 359 Passing Yards eingeschenkt hatte. Mahomes, der in seiner Karriere bislang immer mindestens 13 Punkte erzielt und noch nie unter 300 Passing Yards und ohne Touchdown gehalten worden war.
Dieser Mahomes erzielte mit seinen Chiefs im größten Spiel der Saison gerade mal neun Punkte. Kansas City gelang kein Touchdown, es war das erste Mal in Mahomes Karriere, dass sein Team kein einziges Mal den Weg in die gegnerische Endzone fand - seine College-Zeit mit eingeschlossen!
"Sie waren heute das bessere Team", musste auch Mahomes nach dem Spiel zugeben. "Sie haben uns ziemlich klar geschlagen. Ich glaube so deutlich wurde ich seit sehr langer Zeit nicht mehr besiegt."
"Du kannst ihm gar nicht genug Tribut zollen", lobte Bruce Arians Bowles nach dem Spiel in den höchsten Tönen. "Ich glaube, er war es ein wenig leid geworden, ständig zu hören, wie unaufhaltsam sie doch wären. Ich denke, er hat sich einen fantastischen Plan einfallen lassen."
Super Bowl LV: Bucs spielen nahezu fehlerfreie Defense
Doch was genau war Bowles' Plan? Wie war seiner Defense das gelungen, was die Konkurrenz seit drei Jahren erfolglos versucht hatte? Er selbst wollte keinen Teil seiner Defense besonders herausstellen. Die Kombination aus Pass-Rush und Coverage habe den Bucs den Sieg gebracht, so Bowles. "Während die Jungs vorne auf die Jagd gingen, haben die Jungs hinten gecovert. Wir haben uns heute gegenseitig sehr gut ergänzt."
Noch sind Analysen der Bucs-Defense mit Vorsicht zu genießen, der so genannte Coaches' Film, der ein genaueres Studium der taktischen Varianten erst möglich macht, ist erst seit Montagmittag verfügbar. Und doch lassen sich keine 24 Stunden nach dem Spielende zumindest einige Tendenzen von Bowles' Defense festhalten.
Tampa Bay vertraute in Super Bowl LV vor allem bei First und Second Down größtenteils auf Zone Coverages ohne Blitzes und spielte Defenses mit zwei tiefen Safeties, größtenteils also Cover-2 und Cover-4. Zusammen mit den Cornerbacks des Teams doppelten diese Safeties die gefährlichsten Spieler der Chiefs, Tyreek Hill und Travis Kelce. Dies geschah vor allem tief, sodass kaum Big Plays auf Hill oder Kelce möglich waren.
Dieser defensive Ansatz ist nicht neu, fast alle Defenses versuchten Kansas City in dieser Spielzeit mit Two-High-Coverages und möglichst wenig Blitzing zu bespielen, die Bucs waren allerdings das erste Team, das diesen Plan praktisch fehlerfrei durchführte. Diese Errungenschaft ist umso beeindruckender, da diese Art von Defense eigentlich nicht Bowles' Steckenpferd ist.
Der 57-Jährige zählt zu den aggressivsten Defensive Coordinators der NFL. Bowles blitzt gerne und viel, gleichzeitig lässt er viel Man Coverage spielen, häufig sogar ohne tiefe Safety-Hilfe. Innerhalb von wenigen Wochen eine so drastische Veränderung der eigenen Philosophie vollziehen zu können, ist bemerkenswert und verdient Respekt.
Super Bowl LV: Mahomes unter historischem Druck
Kansas City fand über vier Viertel keine Antwort auf Bowles' taktischen Plan. Die dezimierte Offensive Line der Chiefs war heillos überfordert, Reid und Eric Bieniemy stellten dennoch keine zusätzlichen Blocker als Unterstützung gegen den dominanten Pass-Rush der Bucs ab.
Das Resultat war eine geradezu historische Dominanz an der Line of Scrimmage. Mahomes stand bei gefühlt jedem Dropback unter Druck, der Quarterback hatte in der Pocket schlicht keine Chance. Tampa Bay verzeichnete die meisten Pressures und die beste Pressure Rate in der Geschichte des Super Bowls - und das fast ausnahmslos, ohne zu blitzen.
"Wenn du ihm den ersten Read wegnimmst, weißt du, dass er den Ball ein wenig halten muss. Wir wussten, dass das gefährlich ist, weil er auch laufen und Plays mit seinen Füßen machen kann", erklärte Bowles nach dem Spiel. "Die D-Line hat Pressure gegen ihn bekommen, und es ungemütlich für ihn gemacht. Ich denke, das war der Schlüssel für uns."
"Sie hatten einen guten Gameplan", gab auch Mahomes selbst nach dem Spiel zu. "Sie haben unsere tiefen Sachen alle weggenommen, sie haben die Würfe nach außen weggenommen und sie haben gut getackelt. Wir haben Fehler gemacht, aber sie verdienen Anerkennng. Sie haben ein herausragendes Spiel gespielt."
Super Bowl LV: "An uns wird man sich für immer erinnern"
Das Spiel gegen Mahomes war die unzweifelhafte Krönung einer beeindruckenden Saison der Bucs-Defense, doch Mahomes war nicht der erste legendäre Quarterback, der gegen Bowles' Defense Probleme bekam, zuvor schaltete Tampa Bay bereits Aaron Rodgers und Drew Brees aus. Wie auch gegen Mahomes hatten die Bucs bereits früher in der Saison gegen diese Quarterbacks gespielt.
"Sie haben die Herausforderung gemeistert", lobte Brady seine Defense nach dem Spiel. "Wenn du gegen Pat, einen unglaublichen Spieler, so gut spielst, gegen Aaron, den MVP, das ist kaum zu fassen. Sie haben auch gegen Drew großartig gespielt. Das haben wir gegen so talentierte Offenses gebraucht."
In welcher Konstellation diese Defense in der kommenden Saison zusammenspielen wird, bleibt abzuwarten. Wichtigste Leistungsträger wie Lavonte David, Shaq Barrett und Ndamukong Suh werden allesamt Free Agents. Dass Tampa Bay alle drei halten können wird, darf bezweifelt werden. In ihrem vielleicht letzten gemeinsamen Spiel schrieben sie allerdings Geschichte.
"Wir wussten, dass wir mit den Chiefs mithalten können. Ich ziehe meinen Hut vor ihnen, sie sind ein großartiges Team. Aber wir wussten, dass wir auch ein großartiges Team sind", erklärte David nach dem großen Triumph. "Es ist ein großartiges Gefühl. Ich bin froh, mit diesen Jungs feiern zu können. An uns wird man sich für immer erinnern."