Dieser Artikel wurde erstmals im November 2015 veröffentlicht. Alle weiteren Legenden-Geschichten findet Ihr in unserem Archiv.
Thanksgiving 2007: Die Green Bay Packers sind zu Gast bei den Detroit Lions und lassen keinen Zweifel daran, wer dieses Spiel gewinnt. Quarterback Brett Favre, 38 Jahre alt, hat mal wieder einen Sahnetag erwischt, wie üblich in dieser fast magischen Saison für den dreimaligen NFL-MVP.
Er wirft für 381 Yards und drei Touchdowns. Darunter 20 Completions in Serie, damals ein Franchise-Rekord der so geschichtsträchtigen Organisation. Obendrauf gibt es den "Galloping Gobbler Award" für den Thanksgiving-MVP vom TV-Sender FOX. "Ich hab ihn geworfen, sie haben ihn gefangen - nichts Spektakuläres", erklärt Favre nach dem Spiel seine Spitzenperformance, bevor er die Pressekonferenz verlässt und sich ein Eiscreme-Sandwich reinzieht.
Acht Jahre später, kehrt der QB auf die große Bühne zurück. Im Lambeau Field zu Green Bay, Wisconsin wird nach ein paar turbulenten Jahren endlich zusammengebracht, was zusammengehört: Die Packers ziehen Nummer 4 offiziell und feierlich aus dem Verkehr, werden sie also nie mehr vergeben. Es ist die sechste Nummer, die bei den Packers keiner mehr bekommt: Die 3 (Tony Canadeo), 14 (Don Hutson), 15 (Bart Starr), 66 (Ray Nitschke) und 92 (Reggie White) sind die anderen Legenden in diesem erlauchten Kreis.
Doch der Weg dorthin war ein langer, nicht immer leichter.
Brett Favre: Unglücklicher Start in der NFL
Bevor Brett Lorenzo Favre, der in Gulfport, Mississippi geboren wird und in der Kleinstadt Kiln aufwächst, zur Legende wird, muss er zunächst einige Widerstände durchstehen. Im Draft 1991 ziehen ihn die Atlanta Falcons in der zweiten Runde mit dem 33. Pick. Es war kein Jahr für Quarterbacks, sodass Favre erst der dritte ist, der vom Board geht. Die beiden davor: Dan McGwire (16. Pick) geht zu den Seahawks und Todd Marinovich (24. Pick) wird von den Los Angeles Raiders gezogen. McGwire kommt in insgesamt fünf Jahren auf gerade mal 13 Spiele bei nur fünf Starts. Marinovich wiederum hält es nur zwei Jahre in der Liga, was an seinen Drogenproblemen und einer daraus resultierenden Sperre liegt. Danach versucht er sich noch in Kanada.
Favre wiederum sieht zunächst auch kaum Land und hat in Head Coach Jerry Glanville nicht eben seinen größten Fürsprecher: Der erklärt einst: "Es bräuchte einen Flugzeugabsturz, damit ich Favre spielen ließe!" Der "Gunslinger" ist dem Coach zu wild, zu unberechenbar, vielleicht zu unbekümmert. Er will nichts mit ihm zu tun haben. Kurioserweise sind dies alles Eigenschaften, die den QB in seiner gesamten Karriere auszeichnen. Eben seine mitunter wilde und hauptsächlich vom Instinkt getriebene Art machen ihn zu dem Spieler, den so viele liebten und bewunderten.
Ein Flugzeug stürzt zwar letztlich nicht ab, aber Favre darf dennoch immerhin vier Pässe in seiner Rookie-Saison und im Trikot der Falcons werfen - der erste ist direkt ein Pick-Six, von den übrigen drei schafft es auch keiner zum Mitspieler
Brett Favre: Der Trade zu den Packers
Ein Jahr später ist es dann so weit. Packers-General-Manager Ron Wolf, der übrigens gemeinsam mit Favre 2015 in die HOF einzieht, einigt sich mit den Falcons auf einen Trade für den QB und gibt dafür sogar einen Erstrunden-Draftpick ab. Wolf wollte Favre eigentlich schon 1991 im Draft ziehen, doch Atlanta kommt ihm damals noch zuvor. Dieses Mal jedoch stellt er sicher, dass er seinen Mann bekommt. Auch die beim Medizincheck diagnostizierte avaskuläre Nekrose in der Hüfte - eine Erkrankung, die schon die Karriere von Bo Jackson beendet hatte - hält Wolf nicht von seinem Weg ab. Entgegen des Rates der Teamärzte holt er Favre nach Wisconsin.
Doch auch in Green Bay beginnt Favres Zeit holprig. Im dritten Saisonspiel muss er ran, weil sich Starter Dan Majkowski am Knöchel verletzt. Der junge QB kommt zur Pause rein und seine erste Completion überhaupt landet - stilecht - nach einer Deflection bei ihm selbst. Spätestens da hätte jeder wissen müssen, worauf sie sich in Green Bay eingelassen haben.
Im weiteren Verlauf des Spiels gegen Tampa Bay leistet sich der Backup gleich noch stolze vier Fumbles, hat aber damals schon dir ihm eigene Qualität, alles auszublenden und sich nur aufs Wesentliche zu konzentrieren: Favre führt die Packers mit dem finalen Drive doch noch zum Sieg. Eine Woche später folgt sein erster Start in der NFL und Majkowski wird zum "Wally Pipp des Footballs". Von diesem Tag an startet bis 2008 (Aaron Rodgers) kein anderer Quarterback mehr für Green Bay - die legendärste und längste Start-Serie in der Geschichte der Liga hat begonnen.
Brett Favre: Rekorde, Rekorde, Rekorde
Wirklich loslassen kann Favre seinen Sport erst nicht. Nachdem er nach der Saison 2010 dann doch seine Pads an den Nagel gehängt hat, wird es nur kurz still um Favre: Wenig später übernimmt er den Posten des Offensive Coordinators der Oak Grove High School, 2013 gewinnt sein Team gar die Mississippi State Championship. Darüber hinaus hat er Auftritte als Analyst im College Football sowie beim NFL Network in der Vorberichterstattung von Super Bowl XLVII. Und natürlich auch in Werbespots kann man Favre jahrelang antreffen, etwa für einen großen Jeanshersteller.
Auf dem Platz hat er freilich ohnehin bleibenden Eindruck hinterlassen. Und damit auch in den Geschichtsbüchern: Favre ist bis heute der einzige Spieler, der dreimal in Serie MVP der Liga wurde (1995-1997). Dazu hat er nahezu jeden relevante Pass-Rekord inne, bis die Tom Bradys und Peyton Mannings kommen. Den für die meisten Starts in Serie jedoch wird wohl so schnell keiner ernsthaft angreifen: 297 Starts - und wenn man Playoffs mitzählt, kommt Favre gar auf 321 Einsätze von Beginn an ohne Unterbrechung.
Das geht natürlich nur, weil er eine extrem hohe Schmerztoleranz und eine gehörige Portion Wahnsinn mitbringt. Favre spielt im Laufe der Jahre mit diversen Verletzungen, zwischenzeitlich sogar mit gebrochenem Daumen an der Wurfhand. Doch all das stoppt ihn nicht.
Allerdings haben die zahlreichen Verletzungen ihren Preis: Favre bekommt derart häufig Schmerzmittel, dass er letztlich eine Vicodin-Abhängigkeit entwickelt. Vor der Saison 1996 macht er daher einen Entzug, der ihm von der NFL aufoktroyiert wurde. Anschließend verzichtet er weitestgehend gänzlich auf die Painkiller. 1999 folgt ein Alkohol-Entzug.
Seine größte Leistung, und da muss man zwangsläufig auch Wolf als Architekten und Mike Holmgren als Head Coach mit ins Boot nehmen, ist sicherlich, dass er die Packers wieder zu einer relevanten Franchise macht. Die zu Zeiten des großen Vince Lombardi so erfolgreiche Franchise hat in den Jahrzehnten zuvor eine Durststrecke durchlebt. Erst Favres Ankunft ändert dies wieder grundlegend.
Favres MVP-Jahre sind zugleich die erfolgreichsten in Grün und Gold seit über 30 Jahren. Besonders 1996 sticht heraus, als das Team den ersten Super-Bowl-Titel seit Super Bowl II (damals mit Quarterback Bart Starr) erringt. Im Jahr darauf erreicht man erneut das ganz große Spiel, unterliegt jedoch völlig überraschend John Elways Denver Broncos, die ihrerseits zum ersten Mal den Titel holen.
Dennoch sind die Packers wieder da - und mit ihnen Amerikas Sunnyboy, der bei Jung und Alt zum Volksheld mutiert und von allen geliebt wird - sieht man von der restlichen NFC North einmal ab.
Brett Favre: "Überlebensgroß" schon im College
Die Nerven- und Widerstandsstärke, die Favre in der NFL immer wieder unter Beweis stellt, hat sich aber schon weitaus früher offenbart. In seinem Senior-Jahr auf dem College von Southern Mississippi baut er in der Nähe seines Elternhauses einen schweren Autounfall und überschlägt sich dreimal, bevor er gegen einen Baum kracht. Gerettet werde kann er erst, nachdem einer seiner Brüder die Scheibe mit einem Golfschläger einschlägt.
Auf dem Weg ins Krankenhaus, seine Mutter ist dabei, hat er nur einen Gedanken: "Das einzige, was ich sie immer wieder gefragt habe, war: 'Werde ich wieder Football spielen können?'" Seine Verletzungen sind schwerwiegend, Ärzte entfernen in einer Not-Operation 76 Zentimeter seines Dünndarms.
Sechs Wochen später jedoch steht er tatsächlich wieder auf dem Feld - und führt seine Golden Eagles zu einem fast schon mirakulösen Comeback-Sieg über Alabama. Deren Coach Gene Stallings ist überwältigt davon, was er gesehen hat: "Sie können es ein Wunder, eine Legende oder was auch immer nennen. Aber ich weiß, dass Brett Favre an diesem Tag überlebensgroß war."
Brett Favre: Monday-Night-Gala nach Schicksalsschlag
Und es soll nicht bei diesem einen Tag bleiben. Brett Favre ist immer dann größer als alle anderen, wenn es kaum jemand erwartet oder gar verlangt hätte. So auch am 22. Dezember 2003, der Tag nach dem plötzlichen Tod seines Vaters, zu dem er eine sehr enge Bindung hatte. Irvin Favre war sogar der Coach des High-School-Teams seines Sohnemanns.
Jeder hätte es verstanden, wenn der Quarterback den Trip in die Bay Area zum Monday Night Game gegen die Oakland Raiders abgeblasen hätte. Doch der damals 34-Jährige spielt. Er wirft für vier Touchdowns und 399 Yards beim 41:7-Erfolg seiner Packers. Nach dem Spiel sagt er: "Ich wusste, dass mein Dad gewollt hätte, dass ich spiele. Ich liebe ihn so sehr und ich liebe dieses Spiel. Es hatte für mich, meinen Dad und meine Familie immer eine ganz große Bedeutung. Und ich habe so eine Leistung nicht erwartet. Aber ich weiß, dass er heute Abend zugeschaut hat."
Brett Favre: Wenn's am schönsten ist ...
Diese Liebe zum Spiel wiederum führt auch dazu, dass der QB sich schwertut, ein Ende zu finden. Im Grunde kursieren Gerüchte um sein Karriereende schon seit 2006. Immer wieder wird die Frage aufgeworfen, wie lange er es denn noch machen würde. 2001 noch hat er einen damals rekordverdächtigen Zehnjahresvertrag über 100 Millionen Dollar unterschrieben.
Doch spätestens nach 2007 soll eigentlich Schluss sein. Favre hat seine beste Saison seit Jahren hingelegt und führt die Packers bis ins NFC Championship Game gegen die New York Giants. Doch bei klirrender Kälte in der Frozen Tundra verliert man letztlich durch ein Field Goal in der Overtime - Favre hat zuvor eine folgenschwere Interception geworfen.
Danach war klar, dass Schluss ist - eigentlich. Denn irgendwann im folgenden Sommer entscheidet er sich, weiterzumachen. Doch Geschäftsführer Ted Thompson ist da schon bereit, den behutsam im Schatten des großen Favres aufgebauten Aaron Rodgers zum Starter zu machen. Also fordert Favre seine Entlassung, um selbst ein neues Team finden zu können - Gerüchte rund um die Minnesota Vikings werden laut. Das lässt man in Green Bay aber nicht zu, da der Divisionsrivale nicht gestärkt werden sollte. Also kommt es zum Trade mit den New York Jets.
"Gang Green" beginnt das Jahr stark mit einer 8-3-Bilanz. Doch danach geht es buchstäblich den Bach runter, was letztlich auch auf einen Bizepsriss des QBs zurückzuführen ist, der erst nach Saisonende entdeckt wurde. Mit seinen Kollegen kommt Favre im Big Apple angeblich auch nicht so wirklich klar und so kommt es schließlich zum erneuten Rücktritt und einer Entlassung durch die Jets.
Brett Favre: Ein letztes Hurra im Feindesland
Aber auch danach ist Favre noch nicht so ganz fertig mit dem Spiel. Brad Childress überzeugt ihn, sich doch noch einmal den Minnesota Vikings anzuschließen, die angeführt von Adrian Peterson durchaus konkurrenzfähig sind, sollte man denn einen starken Quarterback auftreiben können. So kommz es dann zum erneuten Rücktritt vom Rücktritt. Favre ist mit fast 40 wieder zurück auf der großen Bühne.
Die Vikings-Saison 2009 verläuft ähnlich wie die Packers-Saison 2007, mit einem mitunter überragenden Favre, der durch seinen Erfolg beim Wiedersehen mit den Packers zum ersten Quarterback wird, der alle 32 Teams der NFL schlagen kann. Am Ende reicht es erneut fürs NFC Championship Game, doch wieder war ist seine Interception kurz vor Schluss, die einen weiteren Trip zum Super Bowl verhindert. Wie schon die Giants zwei Jahre zuvor avanciert auch dieses Mal der Gegner, die New Orleans Saints, zum späteren Champion.
Wirklich vorbei ist es dann für Favre 2010. Nach seiner zweiten Gehirnerschütterung der Saison nebst weiteren schwereren Blessuren endet nicht nur seine Start-Serie, sondern dann auch seine Karriere.
Im Sommer 2015 finden die Green Bay Packers nach langem Hin und Her doch die Zeit, ihren vielleicht größten Spieler überhaupt zu ehren und ihn in die Packers-Hall-of-Fame aufzunehmen. Diese Zeremonie findet in einer der Hallen des Lambeau Fields statt, also nicht unbedingt auf großer Bühne.
Die Number-Retirement-Feier, die im amerikanischen Sport der wohl beste Weg ist, um eine Teamlegende zu würdigen, geht dagegen vor gebührender Kulisse vonstatten: Im Rahmen des späten Thanksgiving Games gegen den Erzrivalen Chicago Bears im prall gefüllten Lambeau Field.
Viel größer geht es eigentlich nicht. Abgesehen von der Zeremonie in Canton/Ohio im August 2016, bei der Brett Favre endgültig in den Football-Olymp - in die Pro Football Hall of Fame - einzieht.
Brett Favre: Ein neuer Kampf steht bevor
Sportlich ist Favre unangreifbar, abseits des Gridiron macht er auch durch Skandale auf sich aufmerksam: 2010 wird ihm vorgeworfen, einer Jets-Mitarbeiterin anzügliche Fotos geschickt zu haben. Dazu soll er 2020 öffentliche Gelder des Staates Mississippi veruntreut haben, muss im Dezember 2023 vor Gericht aussagen. Verurteilt wird er (bislang) nicht.
Im September 2024 macht Favre öffentlich auf die hässliche Seite seines Sports aufmerksam - und eine Parkinson-Erkrankung öffentlich. Die Folge einer langen Karriere zu einer Zeit, in der Gehirnerschütterungen deutlich laxer behandelt werden als heute. "Als ich spielte, waren Gehirnerschütterungen kein Thema. Eine kleiner Zusammenprall, bring deinen Arsch wieder aufs Spielfeld", erzählt er bei Megyn Kelly. "Ich mache niemandem einen Vorwurf, es wusste einfach niemand besser - auch ich nicht." Hätte er im Nachhinein anders gespielt? "Ich weiß nicht, vielleicht wäre ich vorsichtiger geworden."
Schon 2013 machen sich die nach eigener Aussage "vielleicht tausenden" Gehirnerschütterungen seiner Karriere bemerkbar. Als die von Verletzungen geplagten St. Louis Rams anfragen, ob er sich ein weiteres Comeback vorstellen könnte, sagt er ab. Schon damals macht sich Gedächtnisverlust bei ihm bemerkbar. 2021 fordert er Eltern öffentlich auf, Kinder unter 14 Jahren kein Tackle Football spielen zu lassen.
Sein größter Kampf könnte ihm also noch bevorstehen. "Hoffentlich wird das zur Aufklärung von Gehirnerschütterungen, Kopfverletzungen und Parkinson beitragen", sagt er in einem Video in den Sozialen Medien. Aufgeben kommt für ihn nicht in Frage: "Das ist einfach nur der Anfang eines weiteren Gipfels, den es zu erklimmen gilt.
NFL-Legende Brett Favre: Statistiken seiner Karriere
Saisons | Spiele | Passing Yards | Touchdowns | Interceptions | Erfolge |
20 (1991-2010) | 302 | 71.838 | 508 | 336 | Super Bowl, 3x MVP, 11x Pro Bowl |