Es war ein kleines Zeitfenster. Ungefähr drei Jahre, um genau zu sein. Doch von Ende 1987 bis Anfang 1991 gab es im amerikanischen Sport wohl keinen größeren Namen als Bo Jackson. Nein, nicht einmal Michael Jordan. Der Prototyp des Sport-Superstars, wie man ihn heute kennt, wurde in diesen Jahren geboren.
Durch das clevere Marketing von Nike, durch die immer umfangreichere Berichterstattung rund um den Sport - und natürlich durch die unfassbare athletische Begabung, die Vincent Edward Jackson sein Eigen nannte.
Es waren nicht unbedingt die Erfolge an sich, die Bo zur Legende machten, auch wenn diese beeindruckend genug waren. Es waren vielmehr diese Momente, in denen er Dinge tat, die den physikalischen Gesetzen zufolge eigentlich unmöglich sind.
Rückwärtssalto aus dem Wasser
Wer sich mit Bo befasst, der betreibt gewissermaßen Mythologie. Es gibt unzählige Geschichten über ihn - von Leuten, die bis heute darauf schwören, sie gesehen zu haben. Ganz egal, wie unwahrscheinlich sie klingen mögen.
Da sind diejenigen, die behaupten, er habe als Achtklässler Schweine mit Steinen beworfen und getötet. Als er dann erwischt wurde, sei er weggerannt und über eine 12-Meter-Schlucht gesprungen, um die Verfolger abzuschütteln. Ohne zu diesem Zeitpunkt jemals seinen Körper gezielt trainiert zu haben, wohlgemerkt.
Da ist sein alter High-School-Coach Terry Brasseale, der in der "ESPN"-Dokumentation "You Don't Know Bo" folgende Anekdote zum Besten gibt: "Wir hatten eine Party an einem See, nachdem wir die County Championship gewonnen hatten. Bo steht im Wasser, ungefähr bis zur Taille. Auf einmal springt er hoch, macht einen Rückwärtssalto und landet wieder auf seinen Füßen. Meine Freundin kann es bezeugen."
Am College in Auburn ließ er dann die Kiefer runterklappen, als er einen Football gegen das Scoreboard warf. Das hatten zuvor nur Punter geschafft - mit dem Fuß. Ach, und über stehende Autos konnte er auch springen. Logisch. "Bos Schicksal war es, ein Superheld zu werden", schrieb Joe Posnanski vom "Kansas City Star" einmal.
Mythos und Realität
Jackson war nicht der erste Sportler, dem solche Wunder attestiert wurden. Mickey Mantle, Babe Ruth, Jim Brown, Wilt Chamberlain, Julius Erving, wer auch immer - über jeden von ihnen gibt es unglaubliche Geschichten. Bei jedem von ihnen war es Teil der Legendenbildung.
Es besteht jedoch ein gravierender Unterschied zwischen ihnen und Bo: Die Sichtbarkeit. Mantle, Ruth, Brown und Chamberlain spielten in einer Zeit, in der Sport im Fernsehen eher Seltenheitswert hatte. Erving kam zwar später, vollbrachte seine Heldentaten aber auf dem Freiplatz beziehungsweise in der vom Fernsehen kaum beachteten ABA. Als er in die NBA wechselte, hatte er einen signifikanten Teil seiner außerirdischen Athletik bereits verloren.
Dieses "Problem" hatte Jackson nicht. Als er 1986 in der MLB auftauchte, eilte ihm bereits ein Ruf als Phänomen voraus. Schließlich hatte er am College bereits die Heisman-Trophy gewonnen und war der No.1-Pick im NFL-Draft gewesen.
Von da an hielt die Kamera jedoch drauf - auf jeden Homerun, jeden unmenschlichen Sprint, jeden faszinierenden Sprung durchs Outfield. Wenn er den Schläger zerbrach, egal ob über dem Oberschenkel oder dem Kopf. Die Realität holte den Mythos schnell ein.
Gala gegen die Seahawks
Als er sich dann ein Jahr später dazu entschied, seine Freizeit als Running Back bei den Los Angeles Raiders in der NFL zu verbringen, konnte man Jackson beinahe das ganze Jahr über verfolgen. Der Übergang verlief problemlos, als sei es das Normalste der Welt, zwei Sportarten mit völlig unterschiedlichen körperlichen Anforderungen professionell zu betreiben.
Spätestens das Spiel gegen die Seattle Seahawks im November 1986 zeigte, dass sich da etwas Spezielles anbahnte: Nach einem Handoff ging der Rookie ab wie ein Torpedo und lief der kompletten Defense davon. 91 Yards - und immer weiter: Nachdem die Endzone erreicht war, rannte Jackson noch in einen Tunnel des Stadions. "Er hört wohl nicht mehr auf, bis er in Tacoma ist", kommentierte "ABC"-Experte Dan Dierdorf, als Bo zwischenzeitlich komplett aus dem Bild verschwand.
Der frühere Seahawks-Receiver Steve Largent sagte später, er habe noch nie ein Geräusch gehört wie das, als Jackson mit irrwitzigem Speed an ihm vorbeirannte. Und die Show war an diesem Tag noch nicht einmal beendet.
Bei seinem zweiten Touchdown des Tages demonstrierte er seine ochsenhafte Stärke, als er 112-Kilo-Linebacker Brian Bosworth einfach mit der Schulter aus dem Weg räumte, als sei nichts gewesen. Er beendete die Partie mit 221 Yards.
Perfekte Vermarktung
Beeindruckender als die pure Leistung war bei Jackson immer, wie einfach er alles aussehen ließ. Es kostete ihn keine große Anstrengung - er war in der Tat absolut trainingsfaul. Er war physisch schlicht so gesegnet - mit Kraft, Schnelligkeit, Athletik und Ausdauer - dass es ihm möglich war, in zwei Sportarten zur dominanten Figur zu werden. Nicht von ungefähr bezeichnete ihn "ESPN" später als "besten Athleten aller Zeiten".
Das entging auch den Marketing-Köpfen von Nike nicht. Der Sportartikelhersteller aus Oregon hatte erst im Vorjahr Rekord-Einnahmen mit der kreativen Vermarktung von Michael Jordan generiert und war in gewisser Weise auf den Geschmack gekommen. Bo sollte der nächste Superstar werden.
Die Herangehensweise war klar: Irgendwie sollte Jacksons Vielseitigkeit in den Vordergrund gestellt werden. Heraus kam die ikonische "Bo Knows"-Kampagne: Ein witziger, vor Prominenz strotzender Clip, mit dessen Erfolg wohl selbst die größten Optimisten bei Nike nicht gerechnet hätten.
Bo knows
In dem Spot attestieren ihm Größen verschiedener Sportarten, dass er sie alle beherrscht. Bo dunkt, Jordan kommentiert: "Bo knows Basketball." Bo spielt Tennis, John McEnroe ist beeindruckt. Wayne Gretzky jedoch sieht Bo auf dem Eis und sagt einfach nur "No."
Am Ende probiert sich Bo an einem Blues-Solo auf der Gitarre, das sich allerdings fürchterlich anhört. Also kommt Blues-Legende Bo Diddley ins Bild mit der Aussage: "Bo. You don't know Diddley."
Das Timing der Erstausstrahlung hätte dabei nicht besser sein können. Der Spot lief erstmals in der Halbzeit des 1989er All-Star-Games der MLB, das Bo per Homerun eröffnet hatte. Er wurde später zum MVP des Spiels gewählt. Damals konnte niemand ahnen, dass dies der größte individuelle Erfolg von Jackson bleiben würde.
Die Wirkung war unverkennbar. "Bo knows" war in aller Munde und permanent im Fernsehen zu sehen. "Die Leute lieben ihre Sportler, und Bo war etwas Neues. Ein neues, schillerndes Spielzeug. Das war das beste Beispiel dafür, wie groß so etwas werden kann", blickte Nikes früherer Kreativdirektor Jim Riswold einmal zurück.
Das abrupte Ende
Bo erreichte mit dem Spot und seinen vielen Fortsetzungen eine Popularität, die in den Staaten ihresgleichen suchte. Er wurde zur Ikone, zu weit mehr als einem bloßen Sportler. Er schien größer zu sein als das Leben, unverwundbar. Wie ein Superheld eben.
Diesen Nimbus behielt er jedoch nicht lange. Genau genommen nur bis zum Januar 1991. Im Spiel gegen die Cincinnati Bengals war der Running Back mal wieder zum Touchdown unterwegs. Diesmal wurde er jedoch vorher erwischt. Kevin Walker riss Jackson zu Boden.
Jackson wusste in diesem Moment noch nicht, dass diese Aktion seine NFL-Karriere beenden würde. Dass etwas passiert war, entging ihm jedoch nicht. Die Hüfte sprang aus dem Gelenk, er blieb Minuten lang liegen. Er, der physische Freak, verlor an diesem Tag seine Schnelligkeit.
Kraft wird zum Verhängnis
Unglaublicherweise kehrte er tatsächlich noch zurück in die MLB und konnte dank seiner phänomenalen Stärke weiterhin ordentlich Homeruns sammeln. 1993 wurde er sogar zum "Comeback Player of the Year" gekürt. Die unglaubliche Beweglichkeit und Athletik, die ihn zuvor ausgezeichnet hatte, war jedoch verschwunden. 1994 beendete er auch seine Baseball-Karriere.
Seitdem ranken sich die Fragen darum, was passiert wäre, hätte sein Körper ihn nicht verraten. Ironischerweise war es sogar seine Kraft, die die Verletzung so verheerend machte: Bei fast jedem anderen Menschen wäre das Bein wohl einfach durchgebrochen. Unangenehm, aber im Gegensatz zur Hüftverletzung nicht irreparabel.
Dick Schaap, der gemeinsam mit Jackson dessen Biographie "Bo Knows Bo" veröffentlichte, spekulierte einmal: "Die Sportgötter haben sich dazu entschieden, Bo zu bestrafen, weil er ihnen zu nahe kam. Er war an der Schwelle, selbst ein Gott zu werden."
Hätte er dauerhaft in zwei Sportarten Erfolg haben können? Hätte er es in die Ruhmhallen beider Sportarten schaffen können? Hätte er zwischenzeitlich noch als Leichtathlet bei Olympischen Spielen Erfolg haben können?
Who knows? Wahrscheinlich nicht einmal Bo.
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