Dieser Artikel erschien erstmals am 5. Juni 2020.
Superteams gab es in der NBA schon immer, nicht erst seit LeBron James' "Decision". Auch 1976, als die eher nüchterne New York Times vor der Saison folgendes schrieb: "Noch nie gab es ein Team wie diese Philadelphia 76ers und vielleicht werden wir auch nie wieder ein solches sehen."
Das Blatt sollte Recht behalten - allerdings nicht so, wie dieser Satz ursprünglich gemeint war.
Die Erwartungen waren gigantisch für die Sixers, am Ende sollte das Team um Julius Erving aka Dr. J aber mit leeren Händen dastehen. In den Finals 1977 setzte es trotz 2-0-Serienführung eine Pleite in sechs Spielen gegen die Portland Trail Blazers, ein Team, welches zuvor in sieben Jahren nicht ein einziges Mal die Playoffs erreicht hatte.
"Blazermania" entstand in dieser Zeit, die Presse jubelte über Center-Star Bill Walton und dessen kauzigen Coach Jack Ramsay. Die Sixers wurden dagegen in den Blättern zerrissen, als eine Ansammlung von Egoisten und fauler Äpfel dargestellt. Den weißen Teamplayer Walton heroisierten die Medien dabei sicherlich etwas zu sehr als Kontrast zu Philly - dass über die Sixers aber nicht allzu positiv berichtet wurde, hatte seine Gründe.
Philadelphia 76ers: Dank Dr. J plötzlich Favorit
Die Hoffnungen wurden vor allem durch die Ankunft von Erving genährt. Die New York Nets, Dr. Js damaliger Klub, waren zwar im Sommer im Zuge der Verschmelzung von ABA und NBA eins der vier neuen NBA-Teams (neben Indiana, San Antonio und Denver), jedoch mussten die Nets eine "Territorialgebühr" von 3 Millionen Dollar an die New York Knicks abdrücken.
Somit wollte Nets-Owner Roy Boe die versprochene Gehaltserhöhung (3 Millionen über 6 Jahre) für Erving verschieben, woraufhin dieser kurz vor der Saison in einen Streik trat. Nun kamen die Sixers ins Spiel, die versprachen, Ervings Vertrag zu kaufen und die obendrein auch noch die Gebühr der Nets übernehmen wollten.
Zwei Tage vor dem Saisonstart ging der Deal über die Bühne, auf einen Schlag waren die Sixers die absoluten Titelfavoriten. Philly hatte nämlich schon in der Saison zuvor 46 Siege geholt, nun hatten sie auf einmal auch noch den größten Superstar der Konkurrenzliga in ihren Reihen.
Wer sollte diese Sixers schlagen?
Mit dem früheren ABA-Star George McGinnis stand ein moderner Power Forward an Ervings Seite, Ex-Nr.1-Pick Doug Collins galt als einer der treffsichersten Guards seiner Zeit. Lloyd Free (später als World B. Free bekannt) war ein Sprungwunder, dazu hatten die Sixers in Darryl Dawkins und Caldwell Jones weitere hochklassige Big Men.
"Jeder schaute auf unser Team und sagte, dass wir nicht ein Spiel verlieren würden", erinnerte sich Point Guard Henry Bibby, der Vater des späteren Kings-Guards Mike, später im Gespräch mit dem Philadelphia Inquirer. Das hatte sich schon nach dem ersten Spiel erledigt, der erste Sieg gelang erst in der dritten Partie.
Am Ende der Regular Season waren es exakt 50 Siege, was tatsächlich für den Platz an der Sonne im Osten genügte. Durch die Zusammenführung mit der ABA tummelte sich in der NBA so viel Talent, dass unter den 22 Teams mit Ausnahme der Nets (22) jede Franchise mindestens 30 Siege holte, aber keine so richtig herausstach.
Philadelphia 76ers: Ein einziger Sauhaufen
Harmonie herrschte im Team aber nicht. "Wir standen die komplette Saison enorm unter Druck", befand Dr. J, der über die Jahre immer wieder andeutete, dass es im Team nicht stimmte. Seinen Anteil daran hatte auch Coach Gene Shue, der nach dem Erving-Coup angab, dass er sich nicht sicher sei, ob der Doctor das Sixers-Team überhaupt besser machen würde.
Nach einer Niederlage während der Saison stürmte der wutentbrannte Sixers-Owner Fitz Dixon in die Kabine und drückte Shue einen Finger ins Auge. Als die Presse den Coach danach fragte, ob dies die Moral der Spieler beeinträchtigen würde, wiegelte dieser ab: "Dafür hat das Team keine Zeit. Sie sind vielmehr damit beschäftigt, nicht miteinander zu reden oder sich gegenseitig zu schlagen."
Im tiefen Kader kam es ständig zu Disputen, Reservisten wollten mehr Spielzeit, Starter waren sauer, wenn ihre Minuten gestrichen wurden. Dawkins forderte einen Trade, gleiches tat Zimmerkollege Free, der von Shues Umgang mit ihm wenig begeistert war: "Ich bin kein Jo-Jo." Sogar die Spielerfrauen mischten mit.
Ervings damalige Frau Turquoise ätzte im März, also kurz vor den Playoffs, in einem Gespräch mit der New York Times, dass ihr Mann aufgrund der egoistischen Spielweise zu selten den Ball sehen und niemand den Coach respektieren würde. Ihr Fazit: Die Sixers würden niemals den Titel gewinnen, außerdem fühle sich die Familie Erving in Philadelphia überhaupt nicht willkommen.