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NBA - Philadelphia 76ers im Jahr 1977: Wie ein Superteam zum größten Sauhaufen der Liga-Geschichte mutierte

Julius Erving kam kurz vor der Saison 1976/77 von den New York Nets zu den Philadelphia 76ers.
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2-0-Führung in den Finals und ein folgenschwerer Brawl

Bei all diesem Chaos grenzte es an ein Wunder, dass Philly tatsächlich die Finals erreichte und auf dem Weg dahin den amtierenden Champion Boston sowie ein gutes Rockets-Team um Moses Malone aus dem Weg räumte. In den Finals warteten dann die Blazers, auch hier gingen die Sixers als turmhoher Favorit in die Serie und untermauerten mit zwei Blowouts daheim in den ersten beiden Spielen ihre Stellung.

Allerdings kam es am Ende von Spiel 2 zu einer denkwürdigen Szene, welche letztlich die kompletten Finals zum Kippen brachte. Dawkins geriet beim Kampf um einen Ball mit Blazers-Forward Bobby Gross aneinander. Der Sixers-Center versuchte einige Schwinger zu platzieren, traf aber anstatt Gross in Collins seinen eigenen Mitspieler. Der Guard musste anschließend mit mehreren Stichen genäht werden.

Es gab weitere Tumulte, Blazers-Enforcer Maurice Lucas hob die Fäuste gegen Dawkins, sogar Fans der Sixers stürmten das Feld, klauten T-Shirts und schlugen einige Spieler der Blazers. Nur einer wollte sich nicht beteiligen: Erving. Zusammengekauert saß er in der Mitte des Feldes, beschämt ob der Ereignisse um ihn herum. Dr. J war ein Musterprofi, der sich auf dem Feld nie etwas zu Schulden kommen ließ. Dafür liebten ihn die Fans, nun war ausgerechnet der Doctor Teil dieses Zirkus.

Sixers-Coach Shue: Lieber Tennis statt Training

Lucas nannte Dawkins' Attacke nach dem Spiel eine Dschungel-Aktion, der Sixers-Center hatte sich dagegen noch nicht abgekühlt. Dawkins zerstörte unter anderem eine Toilette in der Kabine und beschwerte sich gegenüber den Reportern, dass ihm keiner seiner Mitspieler geholfen hätte.

Trotz einer 2-0-Führung hatten die Blazers nun das Momentum, während die Sixers wie ein Kartenhaus zusammenfielen. Das heimstarke Portland (15 Siege am Stück zu diesem Zeitpunkt) watschte die Gäste mit 22 und 32 Zählern Vorsprung ab, was Erving und Co. weiter demoralisierte.

Shue schien den Glauben und das Interesse an seinem Team verloren zu haben. Vor Spiel 4 sagte der Coach eine Trainingseinheit ab und ging stattdessen Tennis spielen - mit der Begründung, dass er so seine Gedanken sammeln könne. Ebenfalls kein Interesse an Training hatte Free, der vor dem gleichen Spiel anfragte, ob das Team ihn nicht heimschicken könne.

Kobe Bryants Vater attackiert eigenen Mitspieler

Der selbsternannte "Prince of Mid-Air" laborierte an einer Rippenprellung und wollte nicht spielen. "Lloyd ist bei 85 Prozent. Manche Spieler wollen aber einfach nicht spielen", kommentierte Team-Arzt Stanley Lorber. Letztlich sollte der Forward spielen. Ganz zum Unmut von Joe "Jellybean" Bryant, dem Vater von Kobe.

Der ätzte zudem gegen seinen direkten Konkurrenten Steve Mix und warf diesem vor, nicht alles zu geben. "Ich würde Steve jeden Tag in allen Aspekten des Spiels vermöbeln", so das Urteil von Jellybean. Noch einmal zur Erinnerung: Das alles ereignete sich während einer Finals-Serie.

Die Sixers hatten weiterhin gute Chancen und den Heimvorteil. Was aber neben allen Eskapaden Sorgen machte, war die Wurf-Krise von McGinnis (Spitzname: Un-Gorgeous George), der in den beiden Spielen in Portland nur acht seiner 25 Würfe traf. Dafür wurde der überzeugte Kettenraucher im Training (wenn es denn mal stattfand) von seinen Mitspielern geneckt.

Sixers '77: Kettenraucher, Comic-Liebhaber und ein Dichter

Immer wenn McGinnis im Training vor Spiel 5 zum Jumper hochstieg, riefen alle Sixers-Spieler "Brick, brick" (zu deutsch: Backstein). Center Dawkins fand dagegen eine andere Beschäftigung und schrieb ein Gedicht namens "Ode to Game 5", welches wie folgt begann: As the Sixers look to start Game 5/ We're raring to go like bees in a hive/ ...

Doch auch das half nicht, die Blazers schnappten sich das dritte Spiel in Folge - trotz 37 Erving-Punkten. McGinnis traf weiter keinen Blumentopf und die Sixers fügten sich langsam ihrem Schicksal. Caldwell Jones (Lieblings-Meeresfrucht: salzige Toffees) wurde nach dem Spiel gefragt, was sich nun ändern müsse, und sorgte für Staunen: "Ich vermisse meine Cartoons. Ich bin froh, wenn die Saison vorbei ist, damit ich mich wieder meinen Comics widmen kann."

Jellybean erneuerte seine Kritik, während Coach Shue eine Tür beschädigte. Dawkins zerstörte eine Kühlbox und McGinnis fragte Sixers-Legende Billy Cunningham, ob er von ihm eine Zigarette schnorren könne.

Sixers: Eine Blamage bis auf die Knochen

Zwei Tage später war der Spuk für die Sixers endlich vorbei. Trotz eines letzten Aufbäumens unterlag der einstige Favorit in Portland mit 109:107, wobei Erving (40 Punkte), McGinnis (28) und auch Free, der seinen Wunsch nicht zu spielen erneuert hatte, in den letzten Sekunden noch einmal die Chance auf den Ausgleich hatten.

Noch schlimmer als die Niederlage war der Imageschaden. Das teuerste Team aller Zeiten hatte sich auf nationaler Bühne bis auf die Knochen blamiert, die jungen Blazers dagegen wurden als Helden stilisiert. Sie standen für den "richtigen" Basketball, der individuelle Klasse geschlagen hatte, wobei stets auch ein gewisser weiß-elitärer Unterton mitschwang. Mit der Schlusssirene fluteten die frenetischen Blazers-Fans das Feld, in der Masse verschwanden die enttäuschten Sixers.

So unglaublich es klingen mag: Die Sixers brachten das komplette Team für die folgende Saison sogar noch einmal zurück, auch weil man unter anderem keinen Abnehmer für McGinnis fand. Stattdessen stand die Spielzeit 1977/78 im Zeichen der Wiedergutmachung. "Wir schulden euch einen Titel", lautete der Slogan und zeigte den Doctor mit ausgestrecktem Zeigefinger.

Julius Erving: Nach der Schmach folgt der Titel 1983

Nach vier Niederlagen aus den ersten sechs Spielen wurde Shue sofort entlassen, Cunningham führte das Team immerhin zu 55 Siegen. In den Conference Finals war jedoch gegen den späteren Champion Washington Endstation.

Nach und nach zerfiel das Team, 1980 und 1982 ging es zumindest wieder jeweils in die Finals, wo jedoch die Lakers um Magic Johnson und Kareem Abdul-Jabbar jeweils zu stark waren. Erst ein Jahr später mit der Ankunft von Moses Malone holten die Fo'-Fo'-Fo'-Sixers nach einer Durststrecke von 16 Jahren endlich wieder den Titel.

Vom 77er-Team war nur noch Erving im Kader, vom Rest hatte sich die Franchise über die Jahre getrennt. Das Versprechen der Wiedergutmachung konnte also nur von Dr. J eingehalten werden, der sich als einziger professionell verhalten hatte.

Patrick Williams, damals GM der Sixers, bereute mit der Zeit die Kampagne. "Die Leute kamen und sagten, dass wir ihnen nun zwei Titel schulden. Jahr für Jahr ging das so", erinnerte sich Williams. "Erving zeigte den Zeigefinger, aber eigentlich hätte es der Mittelfinger sein müssen."

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