SPOX: Mr. Camby, Sie haben während Ihrer Karriere eine große Transformation bei den Big Men erlebt - als Youngster hatten Sie mit Oldschoolern wie Patrick Ewing zu tun, heutzutage wird die Center-Position völlig anders interpretiert. Hatten Sie diese Entwicklung jemals erwartet?
Marcus Camby: Nein, überhaupt nicht. Aber es ergibt natürlich Sinn, wenn man beobachtet, wie das Spiel heute generell aussieht. Alles ist ja viel mehr am Perimeter orientiert und da mussten sich natürlich auch die Big Men anpassen. Dann sieht man Spieler wie Kristaps Porzingis, DeMarcus Cousins oder Anthony Davis, die zwar auch klassisch mit dem Rücken zum Korb operieren können, gleichzeitig aber auch Range bis an die Dreierlinie haben und ein Skillset mitbringen, das eher an Guards erinnert. Das war früher kaum denkbar, aber ich schätze, dass diese Entwicklung sogar noch weitergehen wird. Die NBA hat großes Interesse daran, die Pace hochzuhalten, weil das Spiel dadurch für die Zuschauer so aufregend ist. Und dafür ist es eben am besten, wenn jeder Spieler auf dem Court nahezu alles kann, wie etwa bei den Golden State Warriors.
SPOX: Gefällt Ihnen dieser Stil?
Camby: Als Zuschauer ist es aufregend, keine Frage. Allerdings sehe ich mich schon eher als Oldschooler. Ich hatte meine besten Jahre bei den Knicks unter Jeff Van Gundy und Pat Riley, wo Defense im Vordergrund stand - 82:80 als Endstand, so mag ich das! (lacht) Mit diesem Stil fühle ich mich am stärksten verbunden, ich war ja auch in erster Linie Verteidiger. Das soll aber den heutigen Tempo-Basketball nicht schmälern. Ich denke, dass der Sport dadurch wohl noch ein größeres Publikum anspricht und das ist sicherlich eine gute Sache.
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SPOX: Es gibt ja relativ viele Oldschooler, die mit der heutigen Spielweise nur wenig anfangen können und beispielsweise Cousins dafür kritisieren, dass er heutzutage Dreier nimmt, statt ausschließlich mit dem Rücken zum Korb zu agieren und seine Gegner zu überpowern. Sie sehen das wohl anders?
Camby: Das haben Sie richtig erkannt. DeMarcus ist so ein besonderes Talent, dass er eigentlich alles beherrscht - ob er nun in der Zone wütet oder Dreier schießt, offensiv ist er so oder so effektiv und nicht zu verteidigen. Sein einziges Problem ist meiner Meinung nach der fehlende Supporting Cast in Sacramento. Wenn er in einer besseren Situation gelandet wäre, würden wir meiner Meinung nach schon ganz anders über ihn reden. Und er würde sich mit Sicherheit auch erwachsener präsentieren.
SPOX: Sie hatten als Top-Verteidiger mit einer großen Riege an unterschiedlichen Big Men zu tun. Welche Spieler sind Ihrer Meinung nach am schwersten zu verteidigen? Wäre es heutzutage Boogie?
Camby: Ich denke schon. Ich habe es immer so gesehen: Am wenigsten Spaß macht es, gegen die großen Kraftprotze in der Zone zu spielen. Man kommt leichter in Foulprobleme und nimmt mit Sicherheit einige blaue Flecken mit. Aber noch schwerer sind die mobilen Typen, die auch an der Dreierlinie herumlungern können und dich damit vom Korb wegziehen. Ich war ja nie nur im Eins-gegen-Eins gefragt, sondern musste gleichzeitig auch die Lücken stopfen und unseren Ring beschützen. Versuchen Sie das mal, wenn Ihr Gegenspieler draußen steht und einen sicheren Wurf hat. (lacht) Das war noch etwas schwieriger. Boogie vereint beides und ist physisch stärker als jeder andere Center in der heutigen NBA, damit wäre er die härteste Nuss.
SPOX: Wer war das zu Ihrer Zeit?
Camby: Shaq natürlich! (lacht) Ich weiß, dass ich mir damit ein kleines bisschen widerspreche, aber Shaq war einfach ein spezieller Fall. Der Typ war so massiv, dass man ihn nicht vom Korb weghalten konnte. So eine dominante Physis sieht man sonst nie. Ansonsten war Ewing, gegen den ich ja einige Jahre im Training verteidigen musste, auch extrem schwer zu halten. Aus den Jahren mit ihm habe ich als Verteidiger besonders viel gelernt.
SPOX: Ein komplett anderer Typ Big Man ist wiederum Dirk Nowitzki - woran erinnern Sie sich, wenn Sie an die Duelle mit ihm zurückdenken?
Camby: Dirk war einer der ersten, die die heutige Entwicklung eingeleitet haben. Mit seinem Wurf hat er die NBA revolutioniert, das sieht man heute bei fast jedem großen Spieler. Porzingis beispielsweise erinnert mich total an ihn, auch wenn Dirk nie so athletisch war. Dafür hat er diesen patentierten Stepback-Jumper auf einem Bein, den er von einem so hohen Punkt abwirft, dass man ihn einfach nicht blocken kann - glauben Sie mir, ich habe es versucht. (lacht) Und wenn man ihn nicht erwischt, denkt man bei jedem verdammten Mal, dass er ihn treffen wird, weil Dirk einfach so sicher werfen kann. Für mich ist der sicherste Wurf aller Zeiten der Skyhook von Kareem Abdul-Jabbar, dann kommt Michael Jordans Fadeaway. Und dann kommt für mich schon Dirks Flamingo-Wurf. Ein Move, den man nicht verteidigen kann.
SPOX: Wann war Ihnen klar, dass Sie sich vor allem über die Defense definieren würden? Bei der Recherche für dieses Interview habe ich festgestellt, dass Sie in Ihrer Rookie-Saison die meisten Würfe Ihrer Karriere genommen haben. Können Sie das erklären?
Camby: Ich wollte eben mein Revier markieren. (lacht) Nein, ich kam einfach als amtierender College Player of the Year mit viel Selbstvertrauen aus den Startlöchern und war sehr aggressiv. Zudem gab es in Toronto natürlich auch einfach noch ein paar mehr Möglichkeiten, weil das Team noch ganz jung war und weit davon entfernt, ein Playoff-Team zu sein. Nach meinem Wechsel zu den Knicks war das dann völlig anders, ich war ja zunächst Backup von Ewing. Und ich habe dann einfach gemerkt, dass meine Nische in dieser Liga eine andere sein würde - als Sixth Man in New York war ich vor allem für Defense, Blocks und Rebounds zuständig. Und irgendwie ist es dabei geblieben.