Die Aussicht auf ein Duell mit seinem Kindheitsidol um das größte Finale seiner jungen Karriere ließ Alexander Zverev die Strapazen der vergangenen elf Monate vergessen.
Aufschlagstark und ohne jeglichen Anflug von Nervosität gewann der 21-Jährige sein entscheidendes Gruppenspiel beim ATP-Finale in London gegen John Isner mit 7:6 (7:5), 6:3 und fordert nun Rekordchampion Roger Federer heraus. Der langersehnte Urlaub muss mindestens einen weiteren Tag warten.
Am Samstag (15.00 Uhr) spielt Zverev gegen den Schweizer Maestro, der gebürtige Hamburger ist der erste Deutsche seit 15 Jahren, der es beim Turnier der acht Saisonbesten über die Vorrunde hinaus geschafft hat. 2003 hatte Rainer Schüttler, seit wenigen Tagen Trainer der Wimbledonsiegerin Angelique Kerber, das Halbfinale in Houston/Texas erreicht.
Zverev vor Duell gegen Federer: "Keiner ist mehr frisch"
Zverev weiß, was ihn in der Vorschlussrunde erwartet, fünfmal hat er bereits gegen Federer gespielt, zweimal gewonnen. "Ich hoffe, ich kann wieder mit ihm gleichziehen", sagte Zverev. Er weiß jedoch, dass es "unglaublich hart" wird gegen den sechsmaligen Sieger, der nach schwachem Start in London rechtzeitig zur K.o.-Runde wieder in Form gekommen ist.
Allerdings sei "keiner mehr frisch", sagte Zverev bei Sky. Am Donnerstagabend hatte Federer den bis dato ungeschlagenen Kevin Anderson 6:4, 6:3 bezwungen und sich doch noch den Gruppensieg gesichert.
Der Südafrikaner Anderson trifft im zweiten Halbfinale am Samstag (21.00 Uhr) auf den Weltranglistenersten Novak Djokovic aus Serbien. Es ist die Neuauflage des Wimbledonfinals mit einem klaren Favoriten: Schon vor seinem dritten Erfolg im sportlich unbedeutenden Gruppenfinale gegen den Kroaten Marin Cilic am Freitagabend (7:6, 6:2) hatte sich Djokovic als würdiger Branchenführer präsentiert.
Zverev kann sich auf seinen Aufschlag verlassen
Auch Zverev war am 14-maligen Grand-Slam-Champion gescheitert, erholte sich jedoch schnell von der klaren Niederlage. Gegen Isner konnte er sich vor allem auf seinen Aufschlag verlassen, der mit Abstand jüngste Spieler im Turnier servierte 18 Asse und damit acht mehr als der 2,08-m-Hüne.
Von der mentalen Müdigkeit, die Zverev im Endspurt der Saison begleitet und die ihn am Mittwoch gegen Djokovic nach einem ausgeglichenen ersten Satz einbrechen ließ (4:6, 1:6), war wenig zu spüren.
"Gegen John entscheiden meistens nur ein oder zwei Punkte", sagte Zverev: "Wir kennen uns so gut, vielleicht weiß ich, was er in den wichtigen Momenten denkt."
Zverev auf den Spuren von Becker und Stich
Zwar kam er selbst lange kaum in die Nähe eines Breakballs, bewies in den entscheidenden Momenten jedoch Nervenstärke. Isners Satzball im ersten Durchgang wehrte er mit einem Ass ab und blieb im Tiebreak bis zum letzten Ballwechsel konzentriert.
Im zweiten Satz verwandelte Zverev seinen einzigen Breakball zum 5:3 und wenig später nach 1:21 Stunden seinen ersten Matchball zum fünften Sieg im sechsten Duell mit Isner.
Zverev setzt mit dem Einzug ins Halbfinale seine Entwicklung fort, bei seiner Premiere im vergangenen Jahr in London hatte er das entscheidende Gruppenspiel gegen den Amerikaner Jack Sock etwas überraschend verloren.
Gegen Federer braucht Zverev erneut eine herausragende Aufschlagquote, um die Chance auf den Titel aufrechtzuerhalten. Als bislang einzige Deutsche haben Boris Becker (1988, 1992, 1995) und Michael Stich (1993) beim Saisonfinale triumphiert.