SPOX: Herr Breitenreiter, Sie haben 2009 in Ihrer letzten Saison als Spieler die Trainer-A-Lizenz erworben. Wann und warum fiel die Entscheidung, als Trainer arbeiten zu wollen?
Andre Breitenreiter: Ich hatte mich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht endgültig festgelegt, ich wollte mich nach meiner aktiven Karriere einfach möglichst breit aufstellen. Mein Einstieg war dann eine Anstellung als Scout beim 1. FC Kaiserslautern. Als es dann die Anfrage des TSV Havelse gab, wollte ich diese Chance nicht verstreichen lassen. Mir wurde dort schnell klar, dass mir der Job als Trainer sehr viel Spaß macht. Havelse war sozusagen der Startschuss, deshalb folgte dann auch die Fußballlehrer-Lizenz.
SPOX: Wie kam es zu Ihrer Anstellung als Scout beim FCK?
Breitenreiter: Der Verein war auf der Suche nach einer geeigneten Person, die zunächst nur ein Spiel analysieren sollte. Da ich mit Teammanager Marco Haber sehr gut befreundet bin, kam dieser auf mich zu und fragte mich, ob ich nicht Interesse hätte. Da der damalige Trainer Marco Kurz mit dem Ergebnis sehr zufrieden war, wuchs das Pensum immer weiter an. Irgendwann habe ich dann sämtliche Gegner analysiert und vorbereitet. Diese Erfahrung war für meine Entwicklung als Trainer sehr hilfreich.
SPOX: Kölns Sportdirektor Jörg Schmadtke sagte kürzlich im SPOX-Interview, dass es die große Kunst sei, als Scout auch als Trainer arbeiten zu können und seine gewonnenen Erkenntnisse in eine Mannschaft zu implementieren. Worin bestehen für Sie die größten Unterschiede zwischen Ihrer Arbeit als Scout und jetzt als Trainer?
Breitenreiter: Die Arbeit als Trainer beinhaltet vor allem ein ganz anderes Maß an Verantwortung. Während beim Scout das Analytische und die Suche nach Lösungen im Vordergrund stehen, ist ein Trainer als Vermittler gefragt. Es müssen Trainingsinhalte gestaltet werden, die dafür sorgen, dass eine Mannschaft neue Elemente auch verinnerlicht.
SPOX: Wie vermittelt man diese Inhalte am besten?
Breitenreiter: Ein guter Trainer muss über verschiedene Kompetenzen verfügen. In erster Linie wirken sich Führungs- sowie Sprachkompetenz entscheidend auf den Erfolg aus. Nur wenn dies stimmt, kann ich auch der Vermittlungskompetenz gerecht werden. Die Spieler müssen meine Philosophie verstehen. Neben visuellen und auditiven Reizen spielt vor allem die Kinästhetik eine wichtige Rolle. Spieler müssen fühlen können. Sie müssen auf dem Trainingsplatz spüren, was sie in den unterschiedlichen Situationen zu tun haben. Nur so können sie es auch verstehen.
SPOX: Als Trainer stiegen Sie in der Regionalliga Nord bei Havelse ein. Fiel es Ihnen leicht, dort zuzusagen und den Job als Scout hinter sich zu lassen?
Breitenreiter: Natürlich habe ich mir meine Gedanken gemacht. Der Job beim FCK hat mich jedoch nicht wirklich ausgefüllt, ich brauchte Verantwortung. Direkt in der Regionalliga einsteigen zu können, sah ich als große Chance an. Da der TSV zum Start meines Engagements mit sieben Punkten Rückstand auf dem letzten Tabellenplatz lag, hatte ich zudem die Möglichkeit, meine Philosophie frei einfließen zu lassen.
SPOX: Das funktionierte ausgezeichnet. Der Abstieg wurde vermieden, in den Folgejahren gewann man die Vizemeisterschaft, den Niedersachsenpokal und schmiss den 1. FC Nürnberg im DFB-Pokal raus. Waren Sie da von sich selbst verblüfft?
Breitenreiter: Das muss man als zweieinhalbjährigen Prozess betrachten. Ich kann die Ergebnisse vor allem in Anbetracht der finanziellen Möglichkeiten des Vereins nicht hoch genug bewerten. Sämtliche Akteure waren sozusagen "Feierabendspieler", die nebenbei ihre Vollzeitjobs hatten oder studierten. Wir waren mehrfach praktisch am Maximum, haben aber dennoch immer wieder neue Wege zur Leistungssteigerung gefunden. Diese ganze Entwicklung war aber natürlich so niemals zu erwarten.
SPOX: Wie sind Sie vorgegangen, um die Mannschaft hinter sich zu bekommen?
Breitenreiter: In erster Linie wollte ich die Unsicherheit aus den Köpfen der Spieler vertreiben und Vertrauen aufbauen. Ich war ein halbes Jahr zuvor mit dieser Mannschaft aufgestiegen und wusste deshalb, dass es sich um tolle Typen handelte. Als ich sie im Winter übernahm, galten sie jedoch als charakterlos. In meiner ersten Ansprache habe ich genau dort angesetzt und verdeutlicht, dass ich diesen Vorwurf nicht nachvollziehen könne. Ich habe den Jungs allerdings zugleich vor Augen geführt, dass der gemeinsame Weg nur über Disziplin und absolute Bereitschaft führen kann. Das Motto lautete: Wer nicht mitzieht, hat keine Zukunft. Wir haben dann aussortiert und die Jungs gaben Vollgas.
SPOX: Unterscheidet sich dieser Ansatz eklatant von dem, mit dem Sie in Paderborn der Profimannschaft gegenübertreten?
Breitenreiter: Nicht wirklich. Alle Spieler, egal ob Profi oder Amateur, sind zunächst Menschen. Unterschiede in der Herangehensweise liegen primär darin, die persönliche Situation der einzelnen Personen anders zu gewichten. Das ist bei Profispielern einfacher, da es sich bei ihnen ja um ihren Beruf handelt. Doch grundsätzlich bleibt es beim Ansatz der hohen Kommunikation: Jeder einzelne Spieler ist wichtig und soll mitgenommen werden.
SPOX: Stefan Pralle, Geschäftsführer des TSV, sagte damals, dass der Verein nicht mit Ihrer Entwicklung mithalten könne. Waren Sie aus diesem Grund gewissermaßen dazu verdammt, den Verein zu wechseln?
Breitenreiter: Das würde ich so nicht sagen. Ich denke vielmehr, dass die Entwicklung der Mannschaft und des Vereins mit meiner gleichzusetzen ist. Ich bin kein Alleinunterhalter, sondern ein Teamplayer. Alle haben ihren Teil zum Erfolg beigetragen.
SPOX: Dennoch trennten sich die Wege.
Breitenreiter: Ich bekam nach der Vizemeisterschaft höherklassige Anfragen. Wir waren am absoluten Limit abgekommen. Profifußball ist in Havelse aufgrund der Strukturen schlichtweg nicht möglich. Da ich mich als Trainer weiterentwickeln möchte, wollte und musste ich den nächsten Schritt gehen und den Verein verlassen.
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