Keine "Touristen": Japan will in Russland den WM-Durchbruch
Eine Gewissheit hatte Vahid Halilhodzic direkt nach der geschafften Qualifikation: Als "Tourist" werde man nicht nach Russland reisen. "Wir wollen unsere Fans stolz machen", sagte der Trainer der japanischen Nationalmannschaft. In Russland soll für die Blauen Samurai um BVB-Star Shinji Kagawa endlich der Durchbruch auf der großen WM-Bühne gelingen. Denn auf einen großen Erfolg warten die Japaner trotz nachgewiesener fußballerischer Qualität bei einer WM noch immer.
Die Mission für Russland liegt auf der Hand: erstmals über das Achtelfinale hinauskommen. Seit 1998 qualifizierte sich die Auswahl Nippons jedes Mal für die WM-Endrunden. Doch die vergangenen Weltmeisterschaften liefen für die Japaner alles andere als zufriedenstellend. Bei ihren fünf Teilnahmen erreichte Japan bei der Heim-WM 2002 und 2010 die Runde der besten 16, schied aber auch dreimal als Gruppenletzter aus.
Die Vorzeichen für die WM 2018 stehen nicht unbedingt besser. Der viermalige Asienmeister erledigte die Pflichtaufgabe WM-Qualifikation zwar souverän und löste als vierte Mannschaft vorzeitig am vorletzten Spieltag der Qualifikation das WM-Ticket, doch mit Lostopf vier steht dem Weltranglisten-55. in Russland eine schwierige Gruppe bevor.
Mit Kagawa, Makoto Hasebe (Eintracht Frankfurt), Genki Haraguchi (Hertha BSC), Gotoku Sakai (Hamburger SV), Yuya Osako (1. FC Köln), Yoshinori Muto (Mainz 05) und Takuma Asano (VfB Stuttgart) dürfen sich mehrere Bundesliga-Spieler berechtigte Hoffnungen auf eine Nominierung für Russland machen, doch eine Garantie gibt es unter Trainer Halilhodzic für niemanden.
Der Bosnier, der die algerische Nationalmannschaft bei der WM 2014 erstmals ins Achtelfinale führte, ist dafür bekannt, seine Spieler zu rotieren und auch große Namen auf der Bank zu lassen. So berücksichtigte er beispielsweise drei der erfolgreichsten Torjäger der WM-Qualifikation - Kagawa (sechs Tore), Ex-Bundesligaspieler Shinji Okazaki (fünf), und Keisuke Honda (sieben) - im entscheidenden Qualifikationsspiel gegen Australien (2:0) nicht.
Für die Länderspiele gegen Brasilien (1:3) und Belgien (0:1) im November wurde Dortmunds Mittelfeldspieler Kagawa nicht einmal in den Kader berufen. "Um ehrlich zu sein, wundere ich mich über das Timing", sagte Kagawa, dem Halilhodzic eine Erklärung schuldig blieb. "Diese Spiele sind wie eine WM-Imitation. Ich habe sie nicht als Freundschaftsspiele gesehen", sagte Asiens internationaler Fußballer des Jahres 2012, der es auch in diesem Jahr auf die finale Shortlist geschafft hat.
Doch Namen spielen für Trainer Halilhodzic offenbar keine Rolle. "Wer in Russland dabei sein wird? Das weiß ich selbst nicht", sagte der 65-Jährige. "Kein Spieler hat seinen Platz im Team sicher", ist auch Kapitän Hasabe überzeugt, aber: "Positiv ausgedrückt bedeutet dies, dass jeder eine Chance hat."
Tite, Neymar und das 1:7: Brasilien läuft heiß zur WM
Eigentlich ist es wie immer: Mit dem neuen Kulttrainer Tite und Superstar Neymar ist Brasiliens Fußball-Selecao auch in Russland Titelkandidat. Das Ego wurde dank des phänomenal Schlussspurts in der südamerikanischen WM-Qualifikation kräftig aufpoliert. Vergessen der Holperstart in die Eliminatorias. Abgehakt das deutsche 1:7-Trauma.
Sicher? "Darüber habe ich mit den Spieler nicht geredet. Das hatte Nachwirkungen, als Dunga das Amt übernommen hat", behauptet Tite steif und fest. Das Thema wird aber irgendwann wieder hochkochen. Spätestens am 27. März 2018, wenn die beiden Gegner des historischen Halbfinales der WM 2014 sich in Berlin erneut duellieren.
"Bei meinem Amtsantritt war der Druck ein komplett anderer: Brasilien irgendwie zur WM zu bringen", erinnert der 56-Jährige, der am 20. Juni 2016 Dunga nach dem blamablen Vorrunden-Aus bei der Copa America ablöste. Da stand der Rekord-WM-Champion in der Qualifikation mit nur zwei Siegen aus sechs Spielen auf Rang sechs, drohte die Zuschauerrolle in Russland, galt der Neuanfang nach der Heim-WM als gescheitert.
Tite legte jedoch den Schalter um. Es folgte der Quali-Durchmarsch mit zehn Siegen und zwei Unentschieden. Weil er von seinen Spielern weniger Ergebnisse, dafür ständig Höchstleistung fordert. Der Erfolgscoach ist als Motivator und für das Zusammenschweißen einer Gruppe bekannt. Fähigkeiten, mit denen er schon den SC Corinthians 2012 zum Klub-Weltmeister formte.
Wäre heute WM, sähe Brasiliens erste Elf so aus: Alisson - Daniel Alves, Marquinhos, Miranda, Marcelo - Casemiro, Paulinho - Renato Augusto, Coutinho, Neymar - Gabriel Jesus. Doch auf seine Wunsch-Startformation konnte Tite wegen Verletzungen und Sperren erst im 17. Anlauf zurückgreifen, im November beim 0:0 in London gegen England.
Beim ersten Vergleich gegen einen Europäer seit März 2015 (!) verlor das wiederentdeckte "jogo bonito", die Schönspielerei, im flexiblen Abwehrsystem der Briten aber seine Effizienz. Bleibt mal wieder die Erkenntnis: Talent allein, wie das eines Neymars, reicht vielleicht in Südamerika, aber nicht im Konzert der ganz Großen.
Mit seinen 53 Toren in 83 Länderspiel ist Neymar unangefochtener Leistungsträger der Selecao, auch wenn der Superstar von Paris St. Germain 2017 mit drei Toren in acht Spielen nicht mehr Alleinunterhalter der Canarinhos war.
Augenscheinlich wurden vielmehr Mätzchen: Gerangel mit den Gegenspielern, für die er sich überflüssig Gelbe Karten einhandelte. Übertriebene Dribblings, die das Spiel nach vorne erlahmten. Für Tite eine der (wenigen) Baustellen bis zur WM.
Daneben heißt es, noch ein paar Reservistenplätze zu füllen. Auf einen hofft auch die einstige Bundesliga-Zaubermaus Diego. Unter Tite wirkte der Ex-Bremer und -Wolfsburger im Januar 48 Minuten in einem Benefizspiel gegen Kolumbien mit. Seitdem verfolgt den 32-Jährigen das Verletzungspech in der Selecao. Die letzte Chance käme vielleicht ausgerechnet gegen Deutschland.
Für Diego wäre Russland dann WM-Premiere. Brasilien ist dagegen als einzige Nationalmannschaft der Welt Stammgast bei allen WM-Endrunden, konnte bei den bisherigen 20 Turnieren fünfmal den Siegerpokal hochstemmen, letztmals nach dem 2:0 gegen Deutschland im WM-Finale 2002. Weil aber der allerletzte Eindruck zählt, wären wir aber wieder beim Thema 7:1.