Pfiffe haben den Schweizer Teamgeist gestärkt
Vielleicht hatten die unschönen Pfiffe gegen Haris Seferovic ja auch ihr Gutes. Nach den Unmutsbekundungen der eigenen Fans gegen den Stürmer ausgerechnet bei der erfolgreichen WM-Qualifikation im Play-off-Duell gegen Nordirland sind die Schweizer Nationalspieler noch enger zusammengerückt. Es könne "die Mannschaft noch mehr anspornen, wenn ein paar Chaoten pfeifen", glaubt Ex-Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld.
Seferovics Sturmrivale Breel Embolo von Bundesligist Schalke 04 nannte die Pfiffe "eine Frechheit", Mittelfeldkämpfer Valon Behrami stand seinem Teamkollegen in einem offenen Brief zur Seite: "Sportler sind auch Menschen, und Pfiffe zu hören tut weh, vor allem, weil sie nach so einem Abend einfach keinen Sinn machen."
Denn die Schweiz hatte sich - wenn auch mit viel Mühe - an diesem Abend am 12. November in Basel zum vierten Mal in Folge für eine WM-Endrunde qualifiziert. "Ein Wunder für ein kleines Land, wie wir es sind", schrieb die Zeitung Blick. Doch nur dabei zu sein, das reicht vielen Anhängern der Nati längst nicht mehr. Der Anspruch ist der Einzug ins WM-Viertelfinale. Das ist der Schweiz zuletzt vor 64 Jahren im eigenen Land gelungen.
Gemessen an der Qualität im Kader ist dieses Ziel nicht unrealistisch. Spieler wie Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri, Ricardo Rodriguez, Embolo oder Roman Bürki können den Unterschied ausmachen. Zudem hat Trainer Vladimir Petkovic im Kader einen guten Mix aus aufstrebenden und erfahrenen Profis zusammengestellt. In der aktuellen FIFA-Weltrangliste steht die Schweiz als Achter vor Nationen wie Frankreich, England oder Italien.
"Meine Mannschaft hat einen hervorragenden Teamgeist, positive Energie und Willen", sagt Coach Petkovic: "Sie will immer die höchsten Ziele erreichen." Für Hitzfeld ist aber Petkovic hauptverantwortlich für das WM-Ticket. Sein Nachfolger mache "einen sensationellen Job", sagte der frühere Münchner und Dortmunder Meistercoach, "der Fußball unter Petkovic ist attraktiv."
Beim 2:0-Heimsieg in der WM-Qualifikation gegen Europameister Portugal bewiesen die Schweizer, dass sie auch einen Großen schlagen können. Teaminterner Topscorer war übrigens Seferovic mit vier Toren und drei Vorlagen. Der frühere Profi von Eintracht Frankfurt, mittlerweile in Diensten von Benfica Lissabon, war nach dem Pfeifkonzert in Tränen ausgebrochen. Die Mannschaft hat ihn wieder aufgefangen - und ist auch deshalb enger zusammengerückt.
WM-Neuling Panama: "Davon haben wir immer geträumt"
Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, hätte Walter Lopez nicht, bei allem Respekt, Tomaten auf den Augen gehabt. Lopez, Schiedsrichter aus Guatemala, verhalf dem kleinen Panama am 10. Oktober 2017 zur ersten Qualifikation für eine WM-Endrunde, weil er einen Treffer gesehen haben wollte, der tatsächlich keiner war. Gut, seine Assistenten widersprachen auch nicht, als er ein "Phantomtor" anerkannte.
Die krasse Fehlentscheidung resultierte im Ausgleich zum 1:1 von Panama im letzten Qualifikationsspiel gegen Costa Rica, es lief die 53. Minute. Zwei Minuten vor dem Anpfiff erzielte Ramon Torres, der bis dahin nie als Torjäger aufgefallene Innenverteidiger, dann mit einem Volleyschuss das entscheidende 2:1. Gegen den "Treffer" von Blaz Perez, von dessen Brust der Ball abgeprallt und am Tor vorbeigekullert war, wurde nie Protest eingelegt.
Für Juan Carlos Varela war die Sache eh klar. Noch in der Nacht nach dem Spiel unterzeichnete der Staatspräsident von Panama ein Dekret, das den 11. Oktober zum Nationalfeiertag machte - er trug dabei den Trainingsanzug der Nationalmannschaft, die wahlweise "La Maera Roja" (Die Rote Flut) oder "Los Canaleros" in Anspielung auf den Panama-Kanal genannt wird. So macht man sich beliebt bei vier Millionen Panamaern.
Auch Kevin Kuranyi ließ all das nicht kalt, verständlicherweise. Der in Brasilien geborene ehemalige Nationalspieler ist schließlich Sohn einer Panamaerin. "Das ist sensationell", sagte er dem SID, er habe "die gesamte Qualifikation mitgefiebert" und freue sich "riesig, dass es die Jungs geschafft haben." Er habe, ergänzte er, noch Verwandte in Panama und sei dort auch regelmäßig zu Besuch, "deshalb weiß ich, was die Qualifikation für die Menschen dort bedeutet."
Es wird in der Tat etwas Besonderes sein. "Es wird uns so glücklich machen, unsere Nationalhymne bei der WM zu hören", glaubt Julio Cesar Dely Valdes. Der 50-Jährige ist der wohl beste Fußballer, den Panama hervorbebracht hat, er ist "Fußballer des Jahrhunderts", hat in Italien, Frankreich (Paris St. Germain) und Spanien gespielt, außerdem 87-mal für sein Land (45). Seine Nachfolger haben es so weit noch nicht gebracht, aber das soll noch werden.
"Wir haben endlich erreicht, wovon wir immer geträumt haben", sagt Dely Valdes. Panamas U20 hatte es immerhin fünfmal seit 2003 zu einer WM-Endrunde geschafft, doch die Versprechen, die daraus resultierten, erfüllten sich bislang nicht. Die größten Erfolge waren zwei zweite Plätze (2005/2013) und ein dritter (2015) Platz beim Gold Cup (Nord- und Mittelamerika-Meisterschaft) und 2009 der Sieg bei der unbedeutenden Zentralamerika-Meisterschaft.
Siegtorschütze Roman Torres wurde nach seiner heroischen Tat gleich als Ehrengast zum offiziellen Unabhängigkeitstag am 3. November eingeladen, durfte er die Nationalflagge bei der Abnahme der traditionellen Parade schwenken. "Es war die Arbeit einer Familie", sagte er, "ich bin ein einfacher Mensch. Und jetzt bin ich auch ein Beispiel für die Jugend. Viele Kinder tragen mein Trikot. Das macht mich stolz."
Torres spielt bei den Seattle Sounders in den USA - einige seiner Mannschaftskollegen sind in der Major League Soccer (MLS) beschäftigt, die anderen in Kolumbien, Argentinien oder Panama. Trainer ist Hernan Dario Gomez, "El Bolillo" (der Kegel) früher Assistent von Francisco Maturana bei Kolumbiens guter WM 1990 (Achtelfinale), danach selbst Chefcoach, zweimal in Kolumbien, dazu in Ecuador und Guatemala. Panama trainiert er seit Februar 2014.
Fußball ist in Panama nach wie vor nur Sportart Nummer zwei hinter Baseball - aber das soll sich nun ändern. "Es gibt noch viel zu tun", weiß Dely Valdes, "aber was wir jetzt zuerst machen müssen, ist: genießen."