Nach 20 Jahren: Marokko mit Bayern-Flop und "weißem Zauberer" wieder bei der WM
Nach dem Ende der fast 20-jährigen Leidenszeit konnte auch Marokkos König seine Freude nicht zurückhalten. Noch als die Fußballer des Wüstenstaats auf dem Platz ausgelassen die WM-Qualifikation feierten, griff Mohammed VI. zum Telefon und beglückwünschte Nationaltrainer Herve Renard sowie Kapitän Medhi Benatia persönlich. Erstmals seit 1998 spielen die "Löwen vom Atlas" im kommenden Sommer wieder im Konzert der Großen mit und versetzen ein ganzes Land in Freudentaumel.
Während Zehntausende Menschen auf den Straßen von Rabat, Casablanca und Marrakesch tanzten und ihre Helden besangen, erklärte Abwehrchef Benatia im fernen Abidjan die Gemütslage der Nation. "Wir mussten die WM 20 Jahre lang am Fernseher schauen. Aber jetzt sind wir wieder dabei, und darauf können wir wirklich stolz sein", frohlockte er nach dem entscheidenden 2:0 bei der Elfenbeinküste.
Dieser Mann mit Freudentränen in den Augen ist jener Medhi Benatia, der einst bei Bayern München nach zweijährigem Missverständnis als Flop abgestempelt und 2016 an Juventus Turin abgegeben wurde. In Marokkos Nationalteam ist er hingegen unumstrittener Führungsspieler und Star der Mannschaft. Als "wundervollsten Moment" seiner Karriere beschrieb er daher die Qualifikation für Russland.
Der Anteil des 30-Jährigen an der fünften WM-Teilnahme der Nordafrikaner ist immens. Rund um Benatia hat Nationaltrainer Renard ein Defensivbollwerk errichtet, ohne ein einziges Gegentor marschierte Marokko durch die sechs Spiele seiner Qualifikationsgruppe. "Medhi ist der Kapitän, mein Vertrauter, das Vorbild der Spieler und der Trainer auf dem Feld", lobte der Coach daher seinen Abwehrchef auf dem Portal Le 360 Sport überschwänglich.
Vater des Erfolgs ist aber Renard - wie schon so oft auf dem schwarzen Kontinent. Sowohl mit Außenseiter Sambia (2012) als auch mit der Elfenbeinküste (2015) gewann er die Afrikameisterschaft. Aufgrund seiner Vorliebe für weiße italienische Designerhemden brachte ihm dies gar den Beinamen "weißer Zauberer" ein.
Auch im Königreich Marokko wirkte die Magie des Franzosen schnell. Binnen kürzester Zeit nach seinem Amtsantritt im Februar 2016 gelang es dem 49-Jährigen, aus einer Mannschaft von technisch versierten Individualisten eine verschworene Gemeinschaft mit defensiver Disziplin und gnadenlosem Pressing zu formen.
Zu diesem Team gehört seit Kurzem auch Amine Harit von Schalke 04. Nachdem der nahe Paris geborene Spielmacher die Junioren-Nationalmannschaften Frankreichs von der U18 bis zur U21 durchlaufen hatte, entschied er sich im September dieses Jahres für das Heimatland seiner Eltern.
Sein Wunschgegner bei der WM? Natürlich Frankreich. "Sie haben eines der besten Teams der Welt. Aber wir in Marokko haben auch eine sehr gute Mannschaft mit jungen, talentierten Spielern", sagte Harit und drückte das neue marokkanische Selbstbewusstsein aus: "Daher können wir auch gegen sie etwas erreichen."
Ganz Marokko fiebert dem Highlight in Russland entgegen - die bisherige Begeisterung im Land soll dabei nur das Aufwärmprogramm sein. So kündigte Kapitän Benatia bereits an: "In sechs Monaten wird es eine unglaubliche Party in Marokko geben. Denn es ist ein Land, das Fußball lebt."
Frankreich träumt mindestens vom Halbfinale
Der Horizont ist wieder blau. Die Bilanz von Frankreichs Fußball-Nationalmannschaft 2017 verzeichnet acht Siege, zwei Unentschieden (darunter ein peinliches 0:0 gegen Luxemburg) und eine Niederlage (0:2 im Länderspiel gegen Spanien). Vor allem das von den Fans der Equipe tricolore wie ein Sieg gefühlte 2:2 im November in Köln gegen Deutschland katapultierte den Vize-Europameister in den Kreis der Anwärter auf eine Halbfinal-Teilnahme bei der WM in Russland. Was da an Schnelligkeit und technischer Präzision zu sehen war, nötigte auch dem neutralen Beobachter Hochachtung ab.
Beim Anpfiff in Köln waren sieben Franzosen 24 Jahre alt oder jünger, und so hat Trainer Didier Deschamps - seit Juli 2012 im Amt - wie sein Pendant Joachim Löw die Qual der Wahl unter rund drei Dutzend Spielern, wenn er im Mai den WM-Kader nominieren muss. Deschamps stöhnte schon: "Die nachrückenden Spieler machen es mir nicht einfacher."
Zu denen gehört vor allem der erst 18-jährige Kylian Mbappe, der im Sommer den Lockrufen aus Spanien und England widerstand und für schlappe 180 Millionen Euro von Monaco nach Paris wechselte - die Ablöse wird aber erst im kommenden Jahr fällig ...
Frankreich jubelte: Endlich ein Franzose im Land gehalten! Das geschätzte Monatsgehalt von 1,5 Millionen Euro (plus Bildrechte) regen da niemanden auf. Der Stürmer ist pfeilschnell, seine Stärken sind Rhythmuswechsel und präzise Flanken.
Überhaupt ist die Offensive wieder einmal das Trumpf-Ass der Franzosen. Als Mittelstürmer hat Antoine Griezmann (Atletico Madrid, 26 Jahre, 49 Länderspiele, 19 Tore) beste Karten, während Karim Benzema (Real Madrid, 29/81/27), obgleich juristisch nicht verurteilt, nach seinem Sextape-Erpressungsversuch gegenüber einem Mitspieler bei Trainer Deschamps in Ungnade gefallen ist.
In den Vordergrund gespielt hat sich als kluger Passgeber und intelligenter Spieleröffner auch Bayern-Profi Corentin Tolisso (23/5 /0) während Vereinskollege Kingsley Coman (21/15/1)in der Nationalmannschaft noch seinen Platz sucht.
Im Tor hat Hugo Loris (Tottenham, 30/94/0) seinen Stammplatz so sicher wie Manuel Neuer in Deutschland. In der Abwehr zählt Frankreich vor allem auf die Verteidiger Raphael Varane (Real Madrid, 24/40/2) und Samuel Umtiti (FC Barcelona 24/14/1).
Eins jedenfalls steht fest: Mit Knysna, als bei der WM 2010 in Südafrika ein Training boykottiert wurde und die Spieler nicht aus dem Bus ausstiegen, haben Les Bleus von heute nichts mehr zu tun. Die Spieler sind andere, haben eine andere Mentalität, und die Fans haben verziehen.