Trainer-Talent Fabian Hürzeler im Interview: "Als Trainer kannst du Partys vergessen"

Fabian Hürzeler ist erst 25 Jahre jung und gilt schon jetzt als großes Trainer-Talent.
© imago

Vom Supertalent beim FC Bayern zum Supertalent als Trainer: Fabian Hürzelers Vita ist eine der spannendsten im deutschen Fußball. Hürzeler wird in dieser Saison für SPOX die Champions League (u.a. Schalke - Porto und Liverpool - PSG am ersten Spieltag live auf DAZN) aus taktischer Sicht beleuchten. SPOX-Chefreporter Florian Regelmann traf den Spielertrainer des Regionalligisten FC Pipinsried zum Interview.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Der erst 25-jährige Hürzeler spricht über bemerkenswerte Parallelen zu Julian Nagelsmann und Thomas Tuchel, die Gabe, ein Spiel lesen zu können und einen denkwürdigen Tag im Grünwalder Stadion.

SPOX: Herr Hürzeler, Sie gelten als Fußball-Besessener. Was war das letzte Spiel, bei dem Ihre Freundin nicht verstanden hat, warum Sie sich das anschauen?

Fabian Hürzeler: (lacht) Meine Freundin versteht oft nicht, warum ich mir ein Spiel anschaue. Aber ich beschäftige mich eben 23 Stunden am Tag mit Fußball, da muss sie durch. Atalanta gegen die Roma war letztens so ein Fall. Das war ein Spiel, das mich brutal interessiert hat. Atalanta ist ja in der vergangenen Saison in der Europa League gegen den BVB ausgeschieden. Da hätte Atalanta weiterkommen müssen. Mich fasziniert, wie diese Mannschaft Fußball spielt. Wie man dort sehr klar die Handschrift des Trainers Gian Piero Gasperini erkennt. Er lässt Dreierkette spielen, nach hinten extrem mannorientiert, schiebt aber die Innenverteidiger raus bis ins Mittelfeld. Er spielt mit zwei Sechsern, einem Zehner und zwei Spitzen und er versucht, mit den beiden Sechsern den Raum nach außen zu öffnen, um so wieder den Pass ins Zentrum auf die beiden Spitzen zu ermöglichen. Das ist total interessant. Spiele anzuschauen und zu analysieren ist eine Leidenschaft von mir. Es macht mir extrem viel Spaß und ich lerne dabei viel dazu.

SPOX: Worauf achten Sie besonders, wenn Sie ein Spiel anschauen?

Hürzeler: Mir geht es in erster Linie um das Spiel mit Ball. Die entscheidende Frage ist: Wie kommst du in das letzte Drittel? Ab dann ist es die Individualität, Kreativität und das Tempo der Einzelspieler wie eines Leroy Sane oder Marco Reus, das den Unterschied macht und zum Tragen kommen muss. Aber die Aufgabe des Trainers ist es, Lösungen zu haben, um ins letzte Drittel zu kommen und diese Spieler in eine offene Stellung zu bringen. Natürlich schaue ich aber auch aufs Gegenpressing, wie viel Personal bringt der Trainer in die gegnerische Hälfte, wie viel Personal in die Zwischenräume, wie viel Personal in die eigene Hälfte, um die erste und zweite Linie zu überspielen? Es gibt viele Kleinigkeiten, aus denen man dann gut im Gesamtbild die Handschrift des Trainers erkennen kann. Manchmal fällt mir aber auch gar nichts auf. (lacht)

regelmann
© spox

Fabian Hürzeler über seine Taktik und seine Anfänge

SPOX: Wie würden Sie denn Ihre Handschrift charakterisieren? Wie soll ein Team von Fabian Hürzeler spielen, auch wenn Sie in der Regionalliga vielleicht aktuell noch nicht den Kader dafür haben?

Hürzeler: Grundsätzlich bin ich ein Fan von Ballbesitzfußball. Aber, und das ist mir wirklich extrem wichtig, die Mischung muss stimmen. Mit einer Hurra-Ballbesitz-Einstellung kann ich wenig anfangen. Es benötigt genauso eine gewisse Stabilität und vor allem Flexibilität. Wenn ich an einem Tag mit meinem Ballbesitzfußball nicht durchkomme, dann muss ich auch mal tief stehen und kontern oder mit langen Schlägen nach vorne auf den zweiten Ball gehen und nachrücken. Wenn ich mir anschaue, wie Frankreich Weltmeister geworden ist, dann standen da die Kompaktheit und die individuelle Klasse der Offensivspieler im Vordergrund. So sind sie Weltmeister geworden. Und darum geht es letztlich, um Ergebnisse und Erfolg. Also muss ich mir genau anschauen, was Mannschaften aktuell zum Erfolg führt.

SPOX: Wir reden bereits intensiv über Coaching-Aspekte, dabei müssten Sie vom Talent 2018 vielleicht eher Champions League spielen, als in der Regionalliga trainieren. Sie sind von Hermann Hummels entdeckt worden und haben in der Bayern-Jugend eine beeindruckende Karriere hingelegt.

Hürzeler: Das stimmt, wobei das am Anfang noch gar nicht so aussah. Ich bin mit zwölf Jahren zu den Bayern gekommen und weiß noch genau, dass ich bis 14 wahrscheinlich der schlechteste Spieler überhaupt bei den Bayern war. Das war wirklich so. Klar, es hat gereicht, um zu den Bayern zu kommen, aber ich musste jeden Tag hart trainieren und an mir arbeiten, ehe sich der Fleiß ein paar Jahre später endlich auszahlte. Aber dann bin ich zum ersten Mal zu einem DFB-Lehrgang eingeladen worden und es ging bergauf. Ich bin auch schnell Kapitän geworden in der Bayern-Jugend, einerseits aufgrund der Leistung, aber sicher auch damals schon, weil es mir liegt, vorneweg zu gehen.

SPOX: Diese Führungsrolle wurde auf dem Feld dann auch in einem Positionswechsel a la Bastian Schweinsteiger dokumentiert. Sie verließen Ihre offensive Rolle, in der Sie groß geworden waren, und wurden nach hinten geschoben. Um Stratege zu werden.

Hürzeler: Genau, das war in der U19 unter Coach Kurt Niedermayer. Wir haben damals mit Raute gespielt, leider gibt es das aktuell nicht mehr so oft, und er hat mich auf die Sechs beordert. Ich war glücklich damit, weil ich natürlich gemerkt hatte, dass ich nicht der abschlussstärkste war. Mein Schuss hatte vielleicht für die U17 noch gereicht, aber je höher es ging, desto besser wurden die Schüsse der anderen oder die Fähigkeiten der Torhüter, das reichte für mich dann nicht. Also war meine Spielintelligenz auf der Sechs eher gefragt.

Fabian Hürzeler über Emre Can und seinem Abschied vom FC Bayern

SPOX: Sie haben in der Zeit auch mit Emre Can zusammengespielt, der sich zum Star entwickelte, während es bei Ihnen irgendwann nicht mehr weiterging. Wie haben Sie seinen Werdegang miterlebt?

Hürzeler: Emre war mein bester Kumpel, wir haben eigentlich täglich was zusammen gemacht. Er hatte vor allem körperlich ganz andere Voraussetzungen als ich. Ich war immer der dünne Schlaks, während Emre viel robuster um die Ecke kam und mehr aufgefallen ist. Er war aber auch einfach insgesamt eine Klasse besser. Für uns alle war immer völlig klar, dass er seinen Weg gehen wird. Bei mir sind dann einige Dinge zusammengekommen. Die ein oder andere Verletzung hat mich aus dem Tritt gebracht. Wenn du in dem Alter mal fünf Monate raus bist, fällt es schwer, wieder in die Spur zu finden. Das war auch schwer für den Kopf. Ich konnte meine Leistung teilweise nicht vom Training ins Spiel transportieren.

SPOX: Gab es zu diesem Zeitpunkt schon erste Gedanken an eine Trainerkarriere?

Hürzeler: Nein, für mich war zu diesem Zeitpunkt immer noch klar, dass ich Profi werden will. Aber ich habe schon früh gemerkt, dass ich eine andere Begabung habe und gerne eine Mannschaft führe. Ich habe schon in der U19 viele Dinge aus Trainersicht betrachtet. Als Kurt Niedermayer dann begann, mich in die Besprechungen einzubeziehen, habe ich das regelrecht aufgesogen. Ich fand es unglaublich interessant, zu überlegen, wie wir spielen wollen. Aber wie gesagt, die Trainerschiene war da noch weit weg gedanklich.

SPOX: Es ging dann ja auch erstmal von den Bayern nach Hoffenheim.

Hürzeler: Das war eine sehr prägende Zeit für mich. Dort habe ich zum ersten Mal die Schattenseiten kennengelernt. Ich war zum ersten Mal aus München und von der Familie weg. Ich saß plötzlich ganz alleine in Wiesloch. Im Dorf. So wahnsinnig viel war da jetzt nicht los. Sportlich ging es zwar noch ganz gut los, aber nachdem ich die Vorbereitung mit den Profis mitgemacht hatte, kam der damalige Trainer Markus Gisdol auf mich zu und erklärte mir, dass er mich nicht gebrauchen kann. Ich war ein typischer Bayern-Ballbesitzspieler, aber er wollte für sein System Umschaltspieler. Das war ich nicht, also ging es zu den Amateuren. Auch wenn ich die Entscheidung irgendwo nachvollziehen konnte, ich habe einfach nicht zu seiner Philosophie gepasst, hat mir das natürlich einen Knacks gegeben. Ich habe länger gebraucht, um das zu verkraften. Ich habe zum ersten Mal Selbstzweifel bekommen. Aber es hat mir gutgetan. Ich habe zum ersten Mal erfahren, wie sich persönliche Krisen anfühlen und dass man sich durchkämpfen muss.