SPOX: Herr Ruhnert, Horst Heldt hat kürzlich verraten, dass bei Ihnen jemand vom FC Bayern München angerufen habe, um über die erfolgreiche Schalker Nachwuchsarbeit zu sprechen. Um was ging es dabei?
Oliver Ruhnert: Ein solcher Anruf ist keineswegs ungewöhnlich, wie man vielleicht im ersten Moment annehmen mag. Wir erkundigen uns auch bei anderen Nachwuchsleistungszentren, wie dort bestimmte Dinge gehandhabt werden oder welche Ideen es gibt. So haben die Bayern das auch gemacht. Das war auch nicht deren erster Anruf.
SPOX: Wieso verrät man denn solche Dinge, gibt es auf dieser Ebene kein Konkurrenzdenken?
Ruhnert: Natürlich gibt es das, denn jeder Verein bemüht sich um die besten Talente. Bei solchen Telefonaten geht es aber vielmehr um strukturelle Fragen. Was das angeht, ist man innerhalb der Liga sehr solidarisch und hilft sich gegenseitig.
SPOX: Sie haben Schalke 04 dabei geholfen, eine sehr erfolgreiche Nachwuchsabteilung aufzubauen. Sie sind jetzt seit sechs Jahren da, waren Scout und sportlicher Leiter der sogenannten "Knappenschmiede". Seit Jahresbeginn nennt man Sie Direktor Nachwuchs. Wie sehr unterscheidet sich der Nachwuchsbereich auf Schalke im Jahr 2014 von dem, den Sie 2008 kennen gelernt haben?
Ruhnert: Auf Schalke wird grundsätzlich schon seit vielen Jahren eine gute Nachwuchsarbeit betrieben, also auch vor meiner Zeit. Was sich geändert hat ist, dass wir eine durchgängig noch bessere Struktur innerhalb des Vereins etabliert haben. Die Zusammenarbeit mit der Gesamtschule Berger Feld wurde 2006 und besonders seit 2010 stark intensiviert, die Schlagzahl erhöht. Dazu wurde die Bedeutung der U 23 deutlich aufgewertet und die Mannschaften spielstärker gestaltet. Grundsätzlich wurde der Fokus des Vereins noch stärker auf die Nachwuchsarbeit ausgerichtet.
SPOX: Als Sie anfingen, lag noch vieles brach. Die DFL-Zertifizierung des Leistungszentrums fiel laut Heldt "desaströs" aus. An welchen Stellschrauben musste dann gedreht werden?
Ruhnert: Wir hatten auf Schalke strukturelle Probleme, das muss man zugeben. Nach dem Abgang von Helmut Schulte entstand ein Vakuum, da hat einiges nicht gepasst. Dort haben wir angesetzt und uns personell neu aufgestellt - beispielsweise im Scouting, aber auch durch Menpower in der gesamten Führungsebene. Wir haben einen Pädagogen sowie eine Psychologin eingestellt. Wir können nun einen viel höheren Arbeitsaufwand gehen.
SPOX: Wieso gab es früher nicht dieses ausgeprägte Bewusstsein für einen effizienten Nachwuchsbereich?
Ruhnert: Ich denke, dass das letztlich daran gescheitert ist, dass man der Bedeutung der Nachwuchsabteilung nicht genügend Gehör verschafft hat und nicht verschaffen konnte. Es besteht da immer eine Abhängigkeit vom amtierenden Vorstand. Nun haben wir verbunden mit der Personalie Horst Heldt einen Vorstand, der sehr großen Wert auf den Nachwuchsbereich legt und mit Menschen zusammenarbeitet, die aus dem Nachwuchsbereich kommen und diesen sehr viel Vertrauen schenkt.
SPOX: Mittlerweile ist der Kontakt zwischen Jugendbereich und Profiabteilung sehr eng verzahnt. Zuvor wurschtelte unter anderem die U 23 relativ autark vor sich hin.
Ruhnert: Die Abhängigkeit vom Vorstand, die ich eben skizzierte, lässt sich natürlich auch bis zum Cheftrainer der ersten Mannschaft erweitern. Wenn sich dieser nicht darum schert, was im Nachwuchsbereich passiert, dann wird das vom gesamten Verein so gelebt, als ob es sich um vollkommen verschiedene Abteilungen handeln würde. Nun suchen Jens Keller und Horst Heldt den Kontakt zur Knappenschmiede und zeigen den Spielern damit, dass eine Transparenz und Durchlässigkeit besteht.
SPOX: Die Verpflichtung von Horst Heldt, der sich bereits in Stuttgart sehr für den Jugendbereich stark machte, dürfte der entscheidende Baustein gewesen sein, oder?
Ruhnert: Ja. Horst Heldt ist ein Segen und Glücksgriff für Schalke. Man kann mit jedem Anliegen zu ihm kommen. Er bemüht sich selbst in Phasen des größten Stresses immer darum, ein offenes Ohr zu haben.
SPOX: Das fruchtet seit einiger Zeit. Spieler wie Julian Draxler, Joel Matip oder Max Meyer haben die U 23 auf dem Weg in den Profikader fast vollständig übersprungen. Ist das bald mehr als nur eine Tendenz?
Ruhnert: Es ist letztlich wie in der Schule: Es wird immer Überflieger geben, die Klassen auf dem Weg zum Abitur überspringen. Es wird aber auch immer diejenigen geben, die das Abitur über den zweiten Bildungsweg erreichen und trotzdem richtig gut werden. Das ist ein Thema, das nicht übergeordnet, sondern individuell betrachtet werden muss.
SPOX: Heutzutage muss ein Spieler schon sehr früh sehr weit im Kopf sein. Spielverständnis, taktische Intelligenz, Antizipationsgabe - all das braucht es heute schon deutlich früher.
Ruhnert: Diese Thematik ist aufgrund der Enge des Spielfeldes und der immer weiter gestiegenen taktischen Vorgaben sehr wichtig geworden. Unsere Spieler müssen handlungsschnell und klug im Kopf sein. Unsere Jungs, die es bis nach ganz oben geschafft haben, können eben nicht nur sehr gut Fußball spielen, sondern verstehen auch das Spiel.
SPOX: Können dann also auch Spieler, die am Ball nicht hochbegabt, dafür aber besonders spielintelligent sind, den Sprung nach ganz oben schaffen?
Ruhnert: Das lässt sich nicht sehr genau beantworten, aber solche Spieler hätten heutzutage durchaus Vorteile. Ein Spieler mit ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten hat sehr gute Chancen, den Durchbruch zu schaffen.
SPOX: Lassen sich diese Fähigkeiten auch trainieren oder muss das gottgegeben sein?
Ruhnert: Abläufe lassen sich trainieren. Handlungsschnelligkeit, das Erkennen von Situationen oder peripheres Sehen allerdings nur bedingt. Das gehört zwar zur Trainingsmethodik, beispielsweise mithilfe von Life Kinetik. Aber es ist so wie mit der "normalen" Schnelligkeit: Man kann sie ein bisschen verbessern, aber nicht von Null auf Hundert steigern.
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