Denn das Barcelona, das Tata auf den Platz schickt, ist nicht mehr das, das er selbst vor Augen hatte. Es ist das Vermächtnis von Pep Guardiola, Tito Vilanova und Jordi Roura. Allerdings in einer grotesken Form. Der Ballbesitz ist nicht mehr länger ein Mittel, um Tore zu erzielen, sondern viel mehr eines, um über Schwächen in der Defensive hinwegzutäuschen.
Wer den Ball nicht verliert, der kommt auch nichts ins Verteidigen, so der Plan. Offensive Gefahr versucht man durch Flanken auszustrahlen - auf eine Offensive, die im Schnitt kaum größer ist als 1,75 Meter. Ein sinnvolles Gegenpressing ist nicht mehr möglich, dürfen sich doch einzelne Spieler aus der Defensivarbeit ausnehmen. Ganz Barcelona hofft auf Lionel Messi, doch von diesem fordert der Trainer wiederum sich "weniger am Spiel zu beteiligen."
"Das ist nicht mein Barca"
Die Vorwürfe werden lauter, doch will kaum einer die Schuld bei Martino sehen. Eine Umfrage der "Sport.es" ergab nur 20 Prozent Schuldzuweisungen an den Trainer, 33 Prozent an die Spieler und ganze 47 Prozent sehen die Vereinsführung als ausschlaggebend an. Eine Theorie, der Johan Cruyff neuen Wind in die Segel bläst.
"Das ist nicht mein Barca", wütete der Niederländer nach dem Champions-League-Aus gegen Atletico Madrid.
Den Trainer wollte er jedoch nicht verantwortlich machen: "Man kann ihn nicht belangen, weil er tut, was er kann. Aber es ist hart, ein Team zu managen, wenn dich keiner lässt." Denn das Problem geht viel tiefer, als es das öffentliche Bild vermuten lässt.
Trainer ausmanövriert
"Derjenige, der die Entscheidungen in der Kabine treffen sollte, ist der Trainer. Aber in den letzten vier Jahren war das nicht der Fall, es war jemand anderes", stellt der 66-Jährige in den Raum. "Sie haben sogar einen Spieler verkauft, den Pep behalten wollte, Dmytro Chygrynskiy."
"Sie" bedeutet in diesem Falle das Präsidium rund um den inzwischen zurückgetretenen Sandro Rosell, dessen Nachfolger und engen Vertrauten Josep Maria Bartomeu sowie Andoni Zubizarreta.
Schon im Vorjahr hatte es Gerüchte gegeben, Vilanova und vor allem Roura seien in der Kabine regelmäßig überstimmt worden, sei es aus der Führungsetage oder durch routinierte Spielern selbst. Xavi bestätigte bereits während der Krankheit von Vilanova, dass man "kaum noch Taktik trainiert habe", die Spieler hätten sich selbst organisiert.
Katalanische Dickköpfigkeit
Der Frage, der sich Martino stellen muss, ist, ob Veränderung überhaupt gewünscht ist. Der Klub ist von den jüngsten Mannschaften bis hin in die Profimannschaft nach einem Prinzip erzogen. Destruktives Denken, das Spiel gegen den Ball findet nicht statt. Trainingsschwerpunkt sind die Ballannahme und Weitergabe, sowie das offensive Eins-gegen-eins.
Die Führung beruft sich gerne auf das Motto: "Mes que un Club", lässt dies aber in der Praxis vermissen. Barca trägt erstmals in der Vereinsgeschichte einen Trikotsponsor, der Vorstand verbrüdert sich still und unauffällig mit katarischen Geldgebern.
Seine einzigartige, unnachahmliche Spielweise ist das letzte Aushängeschild, das den FC Barcelona vom Rest der Mannschaften aus Europa unterscheidet - und wird inzwischen vom FC Bayern unter Pep Guardiola in Frage gestellt.
Dies könnte nun zum Stolperstein für Gerardo Martino werden. Der so ambitioniert gestartete Trainer ist an etwas gescheitert, das schon viele andere zuvor in die Knie gezwungen hat: katalanische Dickköpfigkeit. Denn Barca will sich gar nicht ändern.