Daniel Sikoski: Der Kreuzbandriss und die verpasste Chance
Sie haben sich direkt nach Ihrer Ankunft einen Stammplatz bei der Reserve erkämpft, rissen sich aber wenige Wochen später das Kreuzband. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?
Sikorski: Daran kann ich mich erinnern, als wäre es gestern gewesen. Ich habe mich beim Training am Vormittag verletzt, hatte einen Ultraschall und wurde dann zu Doktor Müller-Wohlfahrt geschickt, der den Kreuzbandriss bestätigte. Er meinte aber, dass ich mir keine Sorgen machen muss und sich alle gut um mich kümmern würden. Am Abend habe ich mich unabsichtlich aus meiner Wohnung ausgesperrt und musste mit meinem kaputten Knie über den Nachbar-Balkon in meine Wohnung klettern. Dann habe ich mir das Spiel der Profis in der Champions League gegen Club Brügge angeschaut. Ich war allein in meiner Wohnung und habe viel über die Zukunft nachgedacht. Das war sehr schwierig für mich. Zum Glück kamen ein paar Tage später meine Eltern zu Besuch.
Wie lief die Reha?
Sikorski: Roque Santa Cruz hat sich ungefähr gleichzeitig einen Kreuzbandriss zugezogen, also haben wir große Teile der Reha gemeinsam absolviert und uns gegenseitig angefeuert. Roque ist mit der Verletzung anders umgegangen als ich: Er war immer positiv und hat nur gelächelt. Ich glaube, das hat sich auf seine Heilung ausgewirkt, denn er war nach fünf Monaten wieder fit. Ich habe fast doppelt so lange gebraucht. Danach kam der Tiger zu mir und meinte, dass es schwierig für mich werden würde, Spielpraxis zu bekommen und ob ich mich nicht ausleihen lassen wolle. Das kam für mich aber überhaupt nicht in Frage, ich wollte mich unbedingt bei Bayern durchsetzen.
Rund ein Jahr später, im Sommer 2007, durften Sie unter Trainer Ottmar Hitzfeld mit der Profimannschaft eine Vorbereitungsreise nach Hongkong mitmachen.
Sikorski: Ich hatte davor schon ein paar Einsätze bei Freundschaftsspielen, aber bei dieser Reise war ich zum ersten Mal längere Zeit bei den Profis dabei. Bei einem Spiel gegen den FC Sao Paulo hat Miroslav Klose sein Debüt gefeiert und im Tor stand Oliver Kahn. Ich habe Seite an Seite mit Legenden gespielt.
Zu einem Bundesligaspiel reichte es für Sie aber nie.
Sikorski: Einmal stand ich ganz knapp davor. Im August 2007 waren Poldi und Klose verletzt. Ich wurde zum Abschlusstraining eingeladen, habe da überragend gespielt und ein paar Tore geschossen. Danach kam Hitzfeld zu mir und meinte, dass ich im Aufgebot stehe. Ich habe mich gefreut wie ein kleines Kind und gedacht: "Wow, jetzt ist mein Moment gekommen." Als wir am nächsten Tag in der Allianz Arena angekommen sind, habe ich in der Kabine mein Trikot hängen gesehen. Dann sind wir kurz auf den Rasen gegangen und als ich zurückkam, saß Hitzfeld auf meinem Platz. Er hat traurig geschaut und mir mitgeteilt, dass ich für die Bundesliga nicht spielberechtigt sei und deshalb nicht im Kader stehen dürfe. Der Klub hatte verplant, mich vorher zu einem medizinischen Test zu schicken. Während Hitzfeld das sagte, habe ich innerlich gezittert.
Wie haben Sie das Spiel verfolgt?
Sikorski: Ich saß auf der Tribüne neben Poldi. Bayern hat früh das 1:0 geschossen, noch in der ersten Halbzeit verletzte sich Toni und Sandro wurde eingewechselt. Poldi hat sich zu mir gedreht und gesagt: "Das wäre deine Chance gewesen." In diesem Moment hatte ich Tränen in den Augen. Das hat unfassbar wehgetan. Obwohl ich in den nächsten Monaten für die Reserve viele Tore geschossen habe, hat mir Hitzfeld keine Einsatzchance mehr gegeben.
Dann übernahm Jürgen Klinsmann das Traineramt.
Sikorski: Bei seiner Ankunft gab es mit Toni, Klose und Poldi drei Stürmer und ich dachte, dass den vierten Platz einer aus der Jugend bekommt. Weil ich eine ziemlich gute Saison für die Reserve gespielt hatte, war ich optimistisch, dass meine Zeit gekommen war. Klinsmann hat aber kaum den Austausch mit mir und den anderen jungen Spielern gesucht. Als vierten Stürmer holte er stattdessen Landon Donovan.
Daniel Sikorski: "Alaba hatte am Anfang großes Heimweh"
Gleichzeitig mit Klinsmann kam Ihr damals 16-jähriger Landsmann David Alaba zum FC Bayern. Was waren Ihre ersten Eindrücke von ihm?
Sikorski: Er war überhaupt nicht schüchtern, für jeden Spaß zu haben, aber gleichzeitig auch extrem fokussiert. David hat zwar ausgesehen wie ein kleiner Junge, war in Sachen Einstellung aber reifer als viele ältere Spieler.
Wie eng waren Sie mit ihm?
Sikorski: Wir waren uns gleich sympathisch und haben privat viel Zeit miteinander verbracht. Genau wie ich hatte auch er am Anfang großes Heimweh und ist oft heim nach Österreich gefahren. So wie sich einst Stefan Maierhofer um mich gekümmert hat, habe ich versucht, mich um David zu kümmern. Ungefähr gleichzeitig mit David kamen mit Dominik Burusic, Schöpfi (Alessandro Schöpf, Anm. d. Red.) und Knasi (Christoph Knasmüllner, Anm. d. Red.) noch weitere Österreicher. Wir waren oft gemeinsam unterwegs. Weil ich der einzige mit Führerschein war, musste ich bei unseren Ausflügen immer den Chauffeur spielen.
Klinsmann wurde nach nicht einmal einem Jahr entlassen. Neuer Trainer wurde im darauffolgenden Sommer Louis van Gaal, unter dem sie auch regelmäßig bei den Profis mittrainierten.
Sikorski: Unter van Gaal war ich nach jedem Training doppelt so müde wie sonst. Ich wollte Fehler unbedingt vermeiden, weil ich miterlebt habe, wie er manche Spieler angeschrien hat. Ich hatte einen ungeheuren Respekt vor ihm. Wenn er mit seiner beeindruckenden Statur vor mir stand, ist bei mir der Angstschweiß geflossen - und ich glaube, das ging einigen Profis ähnlich. Vor den Mannschaftsessen ist er immer aufgestanden und hat nacheinander die Tische aufgerufen, die sich etwas vom Buffet holen durften. Es war interessant zu sehen, dass sich routinierte Profis auf so etwas einließen.
Van Gaal gilt als Trainer, der jungen Spielern Chancen gibt. Warum kamen Sie auch unter ihm nicht zum Einsatz?
Sikorski: Er hat tatsächlich die Profi- und die Reservemannschaft enger verflochten. Davor war es wie Ostern, Geburtstag und Weihnachten an einem Tag, wenn man mit den Profis trainieren durfte. Van Gaal hat junge Spieler früher und regelmäßiger reinschnuppern lassen. Für mich ist er aber etwas zu spät gekommen: Zu der Zeit habe ich meine Leistungen nicht mehr gebracht wie davor.
Daniel Sikorski: "Müller hat sich in Indien fast vergiftet"
Seinen großen Durchbruch unter van Gaal feierte Thomas Müller, mit dem sie zuvor lange in der Reserve zusammenspielten.
Sikorski: Er war schon immer ein Spaßvogel und das hat sich nicht geändert. Er ist noch heute der Thomas, den ich damals kennengelernt habe. Fußballerisch wird er meiner Meinung nach oft unterschätzt. Er ist technisch versierter, als es aussieht. Dass er sich so entwickelt, hätte ich mir aber auch nicht vorstellen können.
Müller war auch dabei, als im Januar 2009 eine Indien-Reise mit der Reserve anstand. Was sind Ihre Erinnerungen daran?
Sikorski: Wir waren zehn, zwölf Tage unterwegs und hatten eine sehr lustige und interessante Zeit. Bayern hatte eine Partnerschaft mit einem Kinderheim, bei dem wir Kleidung vorbeigebracht haben. Dann gab es noch einen Stopp nahe dem Himalaya. Dort haben wir in einem Hotel gewohnt, in dem es keine Matratzen gab. Stattdessen haben wir auf Brettern geschlafen. Die Duschen waren Eimer mit Wasser und zum Abendessen gab es Chips und Cola von gefühlt 1953. Als wir woanders mal ein richtiges Essen bekommen haben, hat sich Thomas fast vergiftet. Bei unserer Speise stand "nicht scharf", aber sie war trotzdem scharf ohne Ende. Thomas ist das nicht so bekommen. Am nächsten Tag ist er statt zum Training nur aufs Klo gegangen.