SPOX: Viele Ihrer Treffer fielen per Standard, wofür Sie in der Liga gefürchtet waren. Denken Sie, mit den heutigen Bällen wäre da noch mehr drin gewesen?
Kastenmaier: Wenn ich heute mit den neumodischen Bällen spiele, gelingen mir manchmal Schüsse, die mich selber überraschen. Die Bälle flattern viel mehr. Das kann ein Vorteil für die Angreifer sein, aber auch ein Nachteil. Es ist unheimlich schwer geworden, Flanken mit viel Druck zu berechnen. Ich habe schon gestandene Spieler von früher gesehen, die das Ding dann einfach wegknüppeln.
SPOX: In Gladbach erzählt man sich noch immer eine Geschichte, nach der Sie mal vom Bökelberg aus die Fensterscheibe eines der umliegenden Häuser kaputt geschossen haben.
Kastenmaier: Ganz so war es zwar nicht, aber ich bin der einzige, der es mal fertig gebracht hat, den Ball im Spiel aus dem Stadion zu schießen. (lacht)
SPOX: Sie galten auch als "harter Hund". Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie heute hören, dass Spieler aufgrund einer Erkältung fehlen?
Kastenmaier: Die Krankheit gab es damals noch gar nicht. Wegen eines eingewachsenen Zehennagels hat da keiner blau gemacht. Aber das waren andere Zeiten. Heute musst du keine 30 Spiele plus X machen, damit du auf dein Geld kommst. Damals haben wir uns fitspritzen lassen, auch wenn wir gar nicht genau wussten, was wir da bekommen. Das würde ich heute nicht mehr machen.
SPOX: Waurm nicht?
Kastenmaier: Weil es dir im Nachhinein keiner dankt. Ich habe nur ans Spielen gedacht, spielen, spielen, spielen - und wenn es mal eng wurde, hat man sich durchgebissen. Heute stehe ich deswegen mit meinem kaputten Knie da.
SPOX: Während es heute nach dem Spiel also Kühl-Akkus gibt, ging es in Ihrer aktiven Zeit nach einem Sieg vermutlich eher in die Disko...
Kastenmaier: Ja, das gab es natürlich auch. Da hatte noch nicht jeder ein Handy und man musste keine Angst haben, überall fotografiert zu werden. Wir konnten uns viel freier bewegen. Es gab mal eine Zeit, in der Saison '95, da reden unsere Frauen heute noch drüber. Wir hatten eine Serie von fünf oder sechs Auswärtssiegen in Folge, von denen wir immer sehr gut gelaunt nach Hause gekommen sind. (lacht)
SPOX: Das klingt nach wilden Abenden.
Kastenmaier: Da konnte es schon mal hoch hergehen. Wir waren da schon eine andere Truppe. Wir haben es auch mal krachen lassen. Gleichzeitig gab es aber auch Kollegen, die zwar nichts getrunken haben, aber trotzdem immer mitgegangen sind.
SPOX: Probleme mit dem Trainer gab das nicht?
Kastenmaier: Nein, Bernd Krauss hat meist ein Auge zugedrückt, weil er wusste, dass wir am nächsten Morgen immer alle fit waren und im Training voll durchgezogen haben.
SPOX: Heiko Herrlich verließ den Verein dann jedoch etwas unrühmlich. Wie haben Sie die Umstände erlebt?
Kastenmaier: Das war nach unserem Pokalsieg '95. Heiko bestand darauf, dass Rolf Rüssmann ihm versprochen hatte, gehen zu dürfen, wenn sich bestimmte Vereine melden würden. Wir Spieler haben uns dann eingeklinkt, konnten seinen Abgang aber auch nicht verhindern.
SPOX: Wie war die Stimmung im Team?
Kastenmaier: Schlecht - und sie wurde immer schlechter. Wir dachten, wir spielen im nächsten Jahr um den Titel, wenn wir zusammenbleiben. Aber dann ging erst Heiko und zwei Monate später sind auch Max und Salou gewechselt. Als Ersatz wurden Andrzej Juskowiak und Michael Sternkopf verpflichtet, die nicht die gleiche Qualität hatten. Unser Kader war besser besetzt als der der Bayern und dann ging plötzlich alles, was wir uns in sechs Monaten aufgebaut hatten, den Bach runter.
SPOX: Mit der Borussia ging es fortan Stück für Stück bergab. Wie haben Sie die Zeiten mitverfolgt, als Altstars wie Marek Heinz oder Wesley Sonck für viel Geld geholt wurden?
Kastenmaier: Da fing das Chaos an. Dick Advocaat kam aus Glasgow und hat dann nur noch irgendwelche Spieler aus dem Ostblock geholt, die überhaupt keiner kannte. Wenn du nicht mehr weißt, wer da im Gladbach-Trikot auf dem Platz steht, hast du einiges verkehrt gemacht. Gott sei Dank kam dann Hans Meyer.
SPOX: Aber Meyer holte ebenfalls viele Spieler...
Kastenmaier: Richtig, aber der hatte wenigstens einen Plan und die Spieler haben kein Geld gekostet. Mit Hans hatte man immer eine riesen Gaudi, ich habe ihn im Trainingslager miterleben dürfen, als ich ein Praktikum bei der Borussia gemacht habe. Wie er die Mannschaft geführt hat, das war schon einmalig. Auch wenn es nicht immer leicht mit ihm war. (lacht)
SPOX: Worauf spielen Sie an?
Kastenmaier: Als ich für die Borussia als Scout tätig war, hat er mich mal in die Kabine gerufen, um mir zu erklären, was mein nächster Auftrag ist. Er ist aber ständig von a zu b gesprungen, dass ich am Ende aus der Kabine gegangen bin und die Co-Trainer Michael Frontzeck und Manfred Stefes gefragt habe, wo ich denn jetzt überhaupt hin soll und wen ich da beobachten soll. Man war nie sicher, ob Hans das jetzt gerade ironisch gemeint hat oder nicht.
SPOX: Wie war Ihre Zeit als Scout?
Kastenmaier: Da habe ich schon ein paar abenteuerliche Touren erlebt. Ich kann mich noch an eine Tour in den Niederlanden erinnern, wo ich ich einen Torwart von Willem II Tilburg beobachten sollte. Da war nur ein ganz kleines Stadion, immer ausverkauft und es war schon ein Heidenaufwand, überhaupt da rein zu kommen. Dazu musste man vorher Mark gegen Gulden tauschen.
SPOX: War der Torwart wenigstens gut?
Kastenmaier: Im Gegenteil, das Team hat 1:4 verloren und der Keeper war an drei Gegentreffern schuld. Dafür war mir aber ein Innenverteidiger aufgefallen - Sami Hyypiä. Nach meiner Rückkehr habe ich von ihm berichtet, da haben mich alle ausgelacht und gesagt, dass ich nicht alle Tassen im Schrank hätte. Als er in der folgenden Saison für acht Millionen Euro zu Liverpool gewechselt ist, hat keiner mehr gelacht.
SPOX: Blieb das wenigstens ein Einzelfall?
Kastenmaier: Tatsächlich gab es noch einen zweiten, da war ich allerdings Trainer der U17 mit Jungs wie Marcell Jansen und Eugen Polanski. Gegner von uns war der SVV Ulm, von dem ich schon Andreas Spann an den Niederrhein geholt hatte. Aber da war auch ein großer, schneller Stürmer, der sich sehr gut bewegt hat. Auf dem Spielbogen habe ich dann gelesen, dass er Mario Gomez heißt. Als ich dann wieder in Gladbach war, bin ich zu Uli Sude, dem Trainer der U19, gegangen und habe von Gomez erzählt. Sude war dann drei Wochen später da, hat ihn sich angeschaut und gesagt: 'Den Gomez brauchen wir nicht, von dem Typ haben wir in Gladbach selber schon genug.' Darüber lachen wir heute noch.
Seite 1: Heynckes' Riesen-Anschiss, Reitmaiers Wechsel-Trauma und Gladbachs AVs
Seite 2: Gescheiterte Talent-Sichtungen und der Untergang der Pokalsieger-Elf