Alexander Zverev liebt den Lärm in London. Wenn die Zuschauer das "Fan Meter" in die Höhe treiben, der Bass bei den Seitenwechseln wummert und Asse zischend nachhallen, ist er in seinem Element. "Mich stört das überhaupt nicht, ich mag so was", sagte Zverev: "Ich finde, mehr Turniere sollten auch abseits vom Tennis etwas bieten."
Die Stimmung in der gigantischen o2-Arena gibt Zverev die Energie, die er in seinem zweiten Gruppenmatch am Mittwoch (15.00 Uhr MEZ/Sky) dringend braucht. Nach dem hart erarbeiteten Auftaktsieg gegen den Kroaten Marin Cilic (7:6, 7:6) wartet Novak Djokovic und damit der unumstrittene Top-Favorit des Saisonfinals.
Djokovic: "Ich fühle mich fit, physisch und mental"
Der Weltranglistenerste aus Serbien, der die zweite Jahreshälfte nicht nur bei den Grand Slams in Wimbledon und New York fast nach Belieben dominiert hat, bewies auch in London seine derzeitige Ausnahmestellung. Dem Aufschlagriesen John Isner (USA) raubte Djokovic beim 6:4, 6:3 spielend leicht dessen stärkste Waffe, sein Selbstvertrauen könnte vor dem Duell mit Zverev kaum größer sein.
"Ich bin nicht allzu erschöpft. Ich fühle mich fit, physisch und mental", sagte Djokovic. Für Zverev ist die letzte Turnierwoche des Jahres dagegen in allen Belangen eine Herausforderung, gegen Cilic absolvierte er sein 73. Match der Saison (55 Siege, 18 Niederlagen). Doch er unterstrich nach einem schwachen Start, was er vor dem Turnier angekündigt hatte: "Ich bin bereit, an meine Grenzen zu gehen."
Der "Djoker" meinte, dass es ein "großartiges Match" werden könnte
Um Djokovic in dessen derzeitiger Form zu bezwingen, muss er die eigenen Grenzen jedoch nicht nur ausloten, sondern verschieben. Das war ihm vor genau einem Monat im Halbfinale des Masters von Shanghai nicht gelungen, damals bekam er beim 2:6, 1:6 eine Lehrstunde erteilt. In London erwartet Djokovic allerdings einen anderen Gegner. "In Shanghai war er nicht auf seinem Top-Level", sagte der 31-Jährige: "Es könnte ein großartiges Match werden."
Immerhin kennt Zverev das Gefühl, Djokovic zu bezwingen. Seinen ersten großen Titel gewann er 2017 in Rom durch einen Finalsieg über den Serben, den damals Selbstzweifel und Ellbogenprobleme plagten. Die Sinnkrise und die Verletzung sind ausgestanden, der sechste Titel beim Abschlussturnier der Saisonbesten, mit dem er Roger Federers Bestmarke egalisieren würde, in Sicht. Mit weniger will sich Djokovic nicht zufrieden geben.
Selbst bei einer Niederlage hätte Zverev noch Halbfinal-Chancen
Für den 21-jährigen Zverev, in London mit Abstand der jüngste Spieler, wäre dagegen bereits der Einzug in die K.o.-Runde ein Erfolg. Bei seinem Debüt 2017 reichte ein Sieg in der Gruppenphase nicht für das Halbfinale, diesmal besitzt er zwei Chancen, um weiterzukommen. Selbst bei einer Niederlage gegen Djokovic hätte es Zverev am Freitag gegen Isner noch selbst in der Hand.
Spätestens dann hat er sich auch an den blauen Untergrund in der riesigen Arena gewöhnt. Noch fremdelt er ein wenig mit dem seiner Meinung nach "sehr schnellen" Court. "Der Platz ist ziemlich komisch. Er ist ganz anders als bei anderen Turnieren", sagte Zverev. So wie auch die Stimmung in der 17.800 Zuschauer fassenden Halle. Doch die liebt Zverev, sie soll ihn zur Überraschung gegen Djokovic tragen.