Von Jens Huiber aus Paris
Die Trefferquote von Jelena Ostapenko lag bei genau null Prozent an diesem Dienstag in Paris: Dreimal hatte die Lettin die Stuhlschiedsrichterin an eine Linie gebeten, dreimal einen Ballabdruck eingekreist, der einen Fehler von Caroline Wozniacki suggerieren sollte, dreimal musste Ostapenko einsehen, dass sie falsch lag. Dass die 19-Jährige dies mit großem Gestus, der völliges Unverständnis vermitteln sollte, quittierte, liegt im Charakter jener Frau begründet, die mit ihrem Einzug in das Halbfinale der French Open lettische Tennis-Geschichte geschrieben hat. "Die ist einfach so", hatte Christopher Kas, der Coach von Mona Barthel, im Laufe des Turniers von Prag angemerkt. Und das überhaupt nicht böse gemeint.
Jelena Ostapenko, geboren in Riga, feiert heute ihren 20. Geburtstag. Netterweise am selben Tag, an dem Timea Bacsinszky ihr 28. Wiegenfest begeht. Die Organisatoren der French Open können also nicht viel falsch machen, wenn sie mit einer Geburtstagstorte den Court Philippe Chatrier betreten, eine rechtmäßige Abnehmerin wird sich auf jeden Fall finden. Die Schweizerin kennt dieses Stadium des Turniers von Roland Garros bereits, vor zwei Jahren war sie einer dahin siechenden Serena Williams in der Vorschlussrunde unterlegen. Ostapenko gibt ihre Premiere, bis jetzt war die dritte Runde bei den Australian Open in diesem Jahr ihr bestes Grand-Slam-Ergebnis.
Damen-Trio
Wer Jelena Ostapenko in Paris abseits des Wettkampfbetriebes beobachtet, bekommt in der Regel ein Drei-Mädel-Haus serviert: Jelena selbst, die Frau Mama und Anabel Medina Garrigues. Die Spanierin hat sich vor gar nicht allzu langer Zeit von der Tour verabschiedet, sie versucht Struktur in das bisweilen noch etwas unkontrollierte Spiel von Ostapenko zu bringen, 50 unerzwungene Fehler im Match gegen Wozniacki lassen grüßen. In Prag hatte Ostapenko im Viertelfinale gegen Ana Konjuh lamentiert, sich selbst bemitleidet, Medina Garrigues auf den Platz zitiert. Letztlich, um sich den Sanktus für eine Aufgabe wegen einer leichten Verletzung am Oberschenkel einzuholen.
Anabel hat ihr den Gefallen nicht getan, lediglich gemeint, dass es schließlich nicht ihr Oberschenkel sei, der schmerze. Das müsse Ostapenko schon selbst entscheiden. Die Lettin hat weitergespielt, das Match gewonnen.
In Charleston hat Ostapenko vor ein paar Wochen ihr erstes Finale auf der WTA-Tour gespielt, recht glatt gegen Daria Kasatkina aus Russland verloren. Sollte sie es in Paris tatsächlich bis über die Ziellinie schaffen, stünde Ostapenko in einer Reihe mit einem ganz Großen des Tennissports: Gustavo Kuerten. Auch der Brasilianer hat auf der Terre Battue seinen ersten Turniersieg überhaupt gefeiert, vor exakt 20 Jahren.
Bald Top 20
Die Mittel dazu hat Jelena Ostapenko, das hat das Match gegen Wozniacki deutlich gemacht. Die Dänin hat mit Fortdauer des Viertelfinales ihren Bällen immer mehr Spin mitgegeben, Ostapenko gnadenlos in Schulterhöhe mit ihrer Vorhand drauf gehalten. So habe sie immer schon gespielt, hatte die nunmehr 20-Jährige im Interview mit tennisnet in Stuttgart erklärt, Zurückhaltung sei ihre Sache nicht.
Mindestens Position 21 wird Jelena Ostapenko am kommenden Montag in der WTA-Weltrangliste einnehmen, bei einem Triumph am Samstag könnte sogar Platz zwölf winken. Für Gustavo Kuerten war der erste Sieg in Paris jedenfalls eine Initialzündung: Es sollten 19 weitere Titel folgen, zwei davon auf dem Court Philippe Chatrier.
Die French Open im Überblick