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Die Dynasty der Patriots - Trottel, Schicksal und einmalige Dominanz

Die Patriots-Dynasty könnte noch für sehr lange Zeit ihresgleichen suchen.
© getty

Wenn die New England Patriots am Sonntagabend im Super Bowl 53 auf die Los Angeles Rams treffen, sind sie der Favorit - und für nicht wenige ein Grund, für den Gegner zu jubeln. Die Pats haben seit nunmehr fast 20 Jahren eine Dynasty aufgebaut und eine Ära geprägt, wie es im Football eigentlich nicht möglich sein sollte. SPOX blickt in die Geschichtsbücher, den Super Bowl gibt's in der Nacht vom 3. auf den 4. Februar ab 0.30 Uhr live auf DAZN - mit Original-Kommentar zur Auswahl!

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Dynastien, also über einen längeren Zeitraum dominante Teams, prägen nicht nur ihren jeweiligen Sport. Sie verändern auch die Art und Weise, wie wir den Sport wahrnehmen. Die Chicago Bulls mit Michael Jordan, die Showtime Lakers, die Boston Celtics über die späten 50er und kompletten 60er Jahre mit Bill Russell. Im Football derzeit Alabama unter Nick Saban, sowie unter anderem die Browns in den 50ern, die Packers unter Vince Lombardi, die 49ers in der Bill-Walsh-Ära, die Steelers in den 70ern, die Cowboys in den 90ern.

Diese Teams haben ihre Ära geprägt, mit allem, was dazugehört: dem Fokus der Berichterstattung, dem Status ihrer Stars, dem öffentlichen Interesse. Sie wurden für jeden der Gegner, den man unbedingt schlagen will und waren das Maß aller Dinge ihrer Zeit; teilweise mit einer Reichweite, die bis in unsere Zeit geht. Ist LeBron James besser als Michael Jordan? Ist Joe Montana der beste Quarterback aller Zeiten - oder ist es Tom Brady?

Untrennbar verbunden mit diesen Dynastien ist natürlich auch der unvermeidbar wachsende Groll in den übrigen Fan-Lagern. Wer über einen längeren Zeitraum erfolgreich ist - umso mehr in den Draft- und Salary-Cap-Zeiten, die genau das verhindern sollen -, der geht dem Rest der Liga irgendwann gelinde gesagt auf die Nerven.

Das weiß auch Patriots-Besitzer Robert Kraft, wie er im Gespräch mit der Seattle Times vor einiger Zeit erzählte. Als er das Team 1994 kaufte, "war jeder unheimlich nett zu mir. Als wir dann 1996 in den Super Bowl kamen, hat sich das bei einigen Leuten geändert. Ich denke, jeder mag die schwachen Teams." Und jetzt? Neun Super-Bowl-Teilnahmen und fünf Titel später?

"Das können Sie sich ja denken", schmunzelt Kraft. "Aber mir gegenüber sind alle sehr nett."

Die Patriots-Dynasty: Eine einmalige Sache?

Eine Dominanz über einen derart langen Zeitraum hat es in der NFL noch nie gegeben, erst recht nicht in der Salary-Cap-Ära. "Das System ist eigentlich so konstruiert, dass so etwas nicht passiert", brachte es NBC-Kommentator Cris Collinsworth bereits auf den Punkt. "Der Draft, die Free Agency, Coaches, die Teams wechseln; die Liga hat ein System aufgebaut, das es den Patriots nicht ermöglichen soll, so lange erfolgreich zu sein. Ich glaube nicht, dass wir so etwas jemals wieder sehen werden."

Vor dem Super Bowl gegen die Rams - der neunte Auftritt der Patriots im Super Bowl in der Brady-Belichick-Ära - ist die Patriots-Dynasty nochmals ein zusätzlich großes Thema. Einerseits, da das Ende der Ära zunehmend greifbar wird. Andererseits aber auch, da viele New Englands ersten Super-Bowl-Sieg über die Rams vor fast exakt 17 Jahren als Start der Dynasty auffassen.

Andere würden auf Belichicks Geburtstag im Jahr 2000 hinweisen. An jenem 16. April, als Belichick 48 Jahre alt wurde, entschieden sich die Pats in der sechsten Runde des Drafts - eine Zeit im Draft, in der sich Teams bereits intensiv mit potentiellen Undrafted Free Agents befassen und eher seltener langfristige Starter gefunden werden - für Michigans Quarterback Tom Brady.

Die "Bledsoe vs. Brady"-Debatte

Es war damals ein Pick, der kaum für Interesse sorgte. Die Patriots sollten nicht einmal ein Jahr später ihrem Starting-Quarterback Drew Bledsoe einen Rekordvertrag über zehn Jahre und 103 Millionen Dollar geben, die Hierarchie in New England war klar - so zumindest dachte man.

Und wer weiß, was passiert wäre, wenn im zweiten Saisonspiel der 2001er Saison Jets-Linebacker Mo Lewis Bledsoe nicht so hart erwischt hätte, dass der eine ernsthafte Venenverletzung in der Brust erlitt und gar in Lebensgefahr schwebte? Vielleicht wäre Brady niemals aufs Feld gekommen und nach Ablauf seines Rookie-Vertrags irgendwo anders gelandet. Bledsoe war immerhin ein arrivierter, erfahrener Top-Quarterback in der NFL - und viele forderten, als er wieder fit war, den Tausch zurück.

Auch in den Medien rund um Boston entbrannte eine echte Quarterback-Debatte. Brady, so die Kritiker wie etwa Kolumnist Jonathan Cohn, habe gegen einige schwache Defenses gewonnen und wenn man rein sportlich argumentieren würde, wäre jeder "ein Dummkopf, der Brady vor Bledsoe wählt".

Belichick entschied sich bekanntermaßen anders, auch wenn Brady auf dem Weg zu seinem ersten Super-Bowl-Triumph mehr auf dem Beifahrersitz, als selbst am Steuer saß - und obwohl Bledsoe im Laufe des AFC Championship Games den angeschlagenen Brady vertreten musste und den Game-Winning-Drive dirigierte. Die Pats tradeten Bledsoe 2002 zu den Buffalo Bills.

"Habe 'Belichick' und 'Trottel' zusammen gehört"

New England war plötzlich eines der interessantesten Teams der Liga. Der Super-Bowl-Triumph über die Rams war einer der größten Upsets im Super Bowl seit sehr vielen Jahren, jeder in der Organisation kommunizierte überdeutlich den "Team-Gedanken" vor allem anderen und dann war da dieser noch weitestgehend unbekannte Quarterback, der es geschafft hatte, Bledsoe zu verdrängen.

Belichick aber mahnte schon damals, am ersten Tag des Training Camps nach dem Super-Bowl-Sieg: "Ich bin schon seit einer Weile dabei. Ich habe "Belichick" und "Genie" zusammen gehört, ich habe "Belichick" und "Trottel" zusammen gehört."

Ein paar Plays oder ein paar Spiele, erklärte Belichick damals weiter, "reichen, und diese Beschreibungen werden an deinen Namen gepackt. Wir werden von Woche zu Woche beurteilt, das habe ich schon lange verstanden, und ich weiß, dass es auch weiterhin so sein wird. Wenn wir gewinnen, sehe ich ziemlich clever aus. Wenn wir nicht gewinnen, sehe ich wahrscheinlich ziemlich dumm aus."

Die Patriots Dynasty? Permanent im Wandel!

Es dürfte für niemanden, der bis hierher gelesen hat, ein Schock sein, dass Belichick tendenziell häufiger clever als dumm aussah. Und vielleicht wird man nie eine richtige Antwort bekommen, wie erfolgreich Belichick ohne Brady sein kann und in wie weit das "System New England" mit einem durchschnittlichen Quarterback funktioniert hätte. Klar aber ist: Die Patriots-Dynasty hätte es in dieser Form nicht gegeben, wenn Belichick und sein Trainerstab nicht permanent anpassungsfähig gewesen wären.

"Wir hatten große Receiver, wir hatten schnelle Receiver, wir hatten kleine Receiver. Wir hatten die Jahre mit mehreren Tight Ends, wir hatten Running Backs als Receiver, wir hatten Running Backs, die 235 Pfund wiegen", brachte es Offensive Coordinator Josh McDaniels bereits im Vorjahr so treffend auf den Punkt.

So hatten die Patriots "agilere Linemen, wir hatten physischere Linemen. Ich denke, das Wort "System" wird inflationär genutzt. Wenn ich eine Sache über uns herausstellen würde, dann wäre es die Tatsache, dass unsere Basis breit genug ist, damit wir die meisten Spieler einbauen können. Und dann können wir herausfinden, was wir als Team gut machen und versuchen, das möglichst oft umzusetzen."

Doch die Art und Weise, wie sich die Patriots scheinbar permanent im Wandel befinden, geht weiter als die offensive Flexibilität innerhalb des Patriots-Schemes. Es fängt ganz konkret mit Belichick an.

Brady, Belichick, Kraft - die Konstanten der Dynasty

Wenn man auf die Patriots-Dynasty blickt, dann gibt es ohne Frage drei wirkliche Konstanten: Team-Besitzer Robert Kraft, Belichick und Brady. Natürlich prägten einzelne Spieler daneben bestimmte Phasen - Richard Seymour, Junior Seau, Tedy Bruschi, Vince Wilfork, Randy Moss, Wes Welker, Julian Edelman, Rob Gronkowski, um einige zu nennen -, doch diese Spieler kamen und gingen. Der erweiterte Kern des Teams änderte sich immer wieder, und dennoch war New England über Jahre hinweg ein Super-Bowl-Kandidat.

Zum Teil kann man dabei tatsächlich auf Brady deuten, der über die Jahre konstant Deals unter seinem Marktwert zustimmte und den Pats so einen gewissen zusätzlichen Spielraum gab. Doch die Kader-Zusammenstellung geht weit darüber hinaus, hier ist Belichick ebenfalls ein Meister seines Fachs.

Schon seit langer Zeit hat sich der 66-Jährige jegliche Sentimentalität bei Personalentscheidungen untersagt. New England ist längst dafür berüchtigt, sich eher ein Jahr zu früh als ein Jahr zu spät von großen Stars zu trennen, und so den eigenen Salary Cap zu schonen - stets mit dem Wissen im Hinterkopf, dass Brady, die Coaches, das Scheme und die Art der Kaderzusammenstellung auch namhafte Abgänge auffangen können.

Eine Konstante, die dabei immer wieder auffällt: New England ist in der Lage, aus Spielern, die andere Teams nicht (mehr) wollen, deutlich mehr raus zu holen. Moss ist da vermutlich das extremste Beispiel, doch auch der Undrafted Free Agent Malcolm Butler, der 232. Pick im 2009er Draft Julian Edelman oder ein Spieler wie Linebacker Kyle Van Noy passen in diese Kategorie: Die Lions hatten für ihren einstigen Zweitrunden-Pick keine Verwendung mehr, New England ertradete ihn 2016 für einen Late-Round-Pick. Van Noy ist inzwischen eine feste Größe in der Pats-Defense und ein zentraler Spieler für die Blitz- und Pressure-Pakete.

Generell gilt: Während die NFL insgesamt gerade erst nach und nach aktiver auf dem Trade-Markt wird, haben die Patriots hier schon seit Jahren immer wieder Mid- und Late-Round-Picks investiert, um Spieler zu erwerben. Längst nicht immer mit Erfolg, doch wie Safety Devin McCourty gegenüber SI verriet: "Manchmal kommen neue Jungs und ich weiß nicht immer genau, wo ihre Stärken liegen. Aber meist innerhalb der ersten Woche kommt dieser Moment, wo man sich sagt: Deshalb ist er hier. Diese Rolle soll er ausfüllen."

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