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Cardinals, Browns und Co.: Wie ein Rebuild in der NFL funktioniert
Am Sonntag brodelte plötzlich die Gerüchteküche um die Arizona Cardinals, deren Saison schon längst als Übergangsjahr abgestempelt werden kann: Die Cardinals sollen sich Angebote für Cornerback Patrick Peterson anhören, anderswo hieß es, dass die New York Jets Pass-Rusher Chandler Jones als Trade-Ziel ins Auge gefasst haben - oder, anders gesagt: Arizonas beide beste Verteidiger, die bisher beide sehr gute Saisons spielen, und die beiden besten Spieler dieses Teams aktuell sind.
Wie solche Gerüchte aufkommen ist klar: Ein Team, das kurzfristig gesehen nichts mit den Playoffs zu tun haben wird, sollte Spieler, die hohe Draft-Picks einbringen könnten, lieber abgeben und sich für die Zukunft rüsten.
Gelinde gesagt ist das enormer Quatsch.
Wer über die vergangenen drei Jahre die NFL auch nur im Ansatz verfolgt hat, der weiß, wie schnell ein Umbruch in der NFL gehen kann. Die Philadelphia Eagles und die Los Angeles Rams sind das Paradebeispiel, die Bears auf bestem Wege dahin. Und was eint diese Teams? Es ist der Franchise-Quarterback auf dem Rookie-Vertrag und damit kombiniert eine große Aggressivität bei Trades und in der Free Agency, mit Gewichtung auf sofortigem Erfolg und weniger auf Draft Picks sowie der langfristigen Zukunft.
Die vier beziehungsweise fünf Jahre, in denen ein Quarterback unter seinem Rookie-Vertrag spielt, sind das bestmögliche Titelfenster für eine NFL-Franchise; es gibt schlicht keinen größeren Cap-Vorteil als den Quarterback vor seiner ersten Vertragsverlängerung.
Wenn man den Gedanken also weiterdenkt: Für Teams wie Arizona, Cleveland oder die Jets ist genau jetzt der Zeitpunkt, um aggressiv zu sein. Diese Teams werden in der kommenden Free Agency zu den Franchises mit dem meisten Cap Space gehören, und genau das sollten sie jetzt ausnutzen. So absurd es jetzt noch klingen mag: für diese Teams sollte mit der kommenden Saison ein vierjähriges Titelfenster aufgehen, von denen man mindestens in den letzten beiden Jahren ernsthafte Contender-Ambitionen haben sollte.
So geht man einen Rebuild in der NFL an, und so kann er auch schnell vonstatten gehen. Nicht, indem man seinen Kader erst einmal auf Anfang zurücksetzt, nachdem man den Rookie-Quarterback hat. Und auch nicht, indem man wie die Cowboys über Jahre seine Cap Hits so vor sich hergeschoben hat, dass sie einem dann Probleme bereiten, wenn man Dak Prescott auf dem extrem günstigen Viertrunden-Rookie-Deal hat.
Die Oakland Raiders: Ein totaler Rebuild
Gewissermaßen das Gegenteil zu den Jets, den Browns, den Cardinals und womöglich ja auch den Bills sind die Oakland Raiders. Kein Team in der NFL scheint aktuell vor einem längeren Umbruch zu stehen, was den Entscheidungsprozess, der dazu führte, Khalil Mack weg zu traden, auch zumindest nachvollziehbarer macht. Für mich war es immer noch ein Fehler, aber man sieht, warum Gruden sich dieses Team angeschaut hat und dann entschieden haben könnte, dass man eher drei bis fünf Jahre weg ist.
Dazu passt, dass inzwischen auch Amari Cooper eine Trade-Option sein soll. Und Karl Joseph. Und Gareon Conley, der seinen Start-Platz verloren hat und gegen die Seahawks keinen Defense-Snap absolvierte. Junge, durchaus talentierte Spieler, die das vergangene Regime gedraftet hat - und die vielleicht nicht in Grudens langfristigen Plan passen.
All das deutet auf eine Sache hin: einen totalen Rebuild, ein Team, das Gruden von den Grundpfeilern an nach seinen Vorstellungen neu aufbauen will. Was natürlich irgendwann die Frage aufwirft: wie schätzt Gruden Derek Carr wirklich ein?
Carr ist ein Kurzpass-Quarterback, der funktioniert, wenn die Umstände um ihn herum gut sind. Gegen die Seahawks in London schaffte er als erster Starting-Quarterback in dieser Saison das Kunststück, dass über 70 Prozent seiner Pässe ankamen und er dennoch weniger als fünf Yards pro Pass verzeichnete. Grafisch sieht das dann so aus, und sobald Pressure ins Spiel kommt - was gegen die aktuellen Raiders-Tackles durchaus passieren kann - dann neigt Carr nicht nur zu Fehlern, sondern zu mitunter absurden Interceptions.
Meine Meinung zu Carr ist jetzt, nach einigen Jahren, in denen ich ihn nicht wirklich greifen konnte, immer konkreter: Für mich ist er ein Game Manager, extrem abhängig von der Situation um ihn herum, mit teilweise schlimmen Aussetzern bei seinen Pässen und zu wenig Big Play Potential.
Die Folge daraus: Man kann mit Carr Erfolg haben, wenn alles passt. Wenn die Raiders aber den Umbruch durchlaufen, den ich immer mehr kommen sehe, dann werden sie mit Carr unter schwierigen Umständen und mit einigen schlechten Teams mittelfristig nicht viele Spiele gewinnen.
Deswegen entlässt man ihn natürlich nicht einfach nach dieser Saison, auch wenn das Cap-Einsparungen über 15 Millionen Dollar bedeuten würde. Die Raiders sollten mit Carr - sofern nicht ein spektakuläres Trade-Angebot kommt - auch die 2019er Saison bestreiten, die ebenfalls noch eine groß angelegte Übergangs-/Umbruchs-Saison werden sollte.
Nicht nur ist die Quarterback-Klasse für das Jahr 2020 deutlich vielversprechender, Carr und Gruden können ihre Chemie noch ausprobieren - und nach der 2019er Saison könnte Oakland ihn mit einem Dead Cap über nur noch fünf Millionen Dollar entlassen.
Diese Art massiver Umbruch erwarte ich in Oakland inzwischen, und Gruden wird sich genau überlegen, ob er seine Offense mit Carr aufziehen kann. Schematisch passen Carrs Stärken zumindest in Grudens West Coast Scheme, ich sehe in ihm aber zunehmend weniger eine langfristige Franchise-Antwort, wenn man sein Team mehr oder weniger komplett neu zusammenstellen will.
Vielleicht muss man es ja auch einfach entspannter sehen. So wie Bruce Irvin nach dem Spiel in London, der zum Besten gab: "Wir haben verloren, aber ich habe eine wunderschöne Frau, zu der ich nach hause komme. Ich werde versuchen, ein paar Babys zu machen!"
Wie die Cowboys die Jaguars-Defense knackten
Wenn vor dem Spiel jemand gesagt hätte, dass die Cowboys Jacksonville schlagen, dann hätte ich dafür nur ein realistisches Szenario im Kopf gehabt: Die Front Seven der Cowboys dominiert die Partie gegen Bortles und die anfällige Jags-Line komplett, erzwingt mehrere kritische Turnover und Dallas gelingt am Ende ein knapper Erfolg.
Die Realität: Dallas blitzte sechs Mal und kam dabei kein einziges Mal zu Bortles, der bei 31 Dropbacks nur 13 Mal unter Pressure stand. Das Passing Game der Jaguars war zwar extrem ineffizient, Bortles kam auf nicht einmal sechs Yards pro Pass - doch war es dieses Mal nicht der primäre Grund für die (überraschend deutliche) Niederlage der Jaguars.
Dallas vielmehr lief die Jags für 4,9 Yards pro Run und 206 Rushing-Yards insgesamt in Grund und Boden, und hier sieht man einen sich fortsetzenden Trend: Die Cowboys, mit dem schlechtesten Receiving-Corps der Liga ausgestattet, finden zunehmend andere Wege, um Yards zu kreieren. Über Screens und Play Action auf der einen, aber auch über das Run Game auf der anderen Seite.
Dazu gehört, dass die Cowboys Prescott vor allem als Bedrohung im Run Game immer besser einsetzen. Der Zone Read war gegen die Jaguars ein zentrales Element für den Sieg, dabei ist gar nicht wichtig, wie häufig Prescott selbst mit dem Ball läuft (gegen Jacksonville: 4 Designed Runs für 21 Yards, dazu 7 Scrambles für 61 Yards) - dass die Defense ihn in ihrem Ansatz berücksichtigen muss ist eher das Mittel zum Erfolg.
Und die Cowboys waren beharrlich in ihrem Rushing-Ansatz, gleichzeitig hatten sie offensichtlich die linke Seite der Jaguars-Front als Schwachpunkt ausgemacht. Dallas lief 21 seiner 35 Runs (QB-Scrambles nicht eingerechnet) über die rechte Seite, und hatte vor allem Interior auf der rechten Seite enormen Erfolg.
Ein Beispiel: Dieser lange Run von Elliott. Die Cowboys - eigentlich ein klassisches Zone-Run-Team - mischen hier einen Pull-Blocker mit rein und bekommen so eine Überzahlsituation auf der Seite, auf der sich der Run entwickelt. Die Defense dagegen reagiert auf die Formation und weil das Play im ersten Moment wie ein Inside Run aussieht, werden die Linebacker kurz ins Zentrum gezogen.
Gleichzeitig nimmt der In-Line postierte Receiver den ihm gegenüber postierten Defensive Back mit nach außen, und so entsteht eine riesige Lücke für Elliott.
Dieses Vorgehen konnte man mehrfach beobachten, so auch bei diesem 20-Yard-Run von Elliott, der den zweiten Cowboys-TD-Drive so richtig ins Rollen brachte.
Wieder ist es ein Pull-Konzept zur rechten Seite, bei dem die Cowboys ihre beiden Tackles und dem Center vertrauen, die Mitte kurzzeitig zu halten, während beide Guards als Pull-Blocker eingesetzt werden, mit der Unterstützung sehr guter Tight-End-Blocks von außen.
Und bei diesem Run wird auch sichtbar, wie eine Defense reagieren muss, wenn die Offense nur vielseitig genug auftritt: schon bei diesem vergleichsweise frühen Play erkennt man, wie die Jaguars-Safeties und Linebacker kurz zögern und den Play-Action-Rollout beziehungsweise den Quarterback-Keeper respektieren und kurz zögern, ehe sie attackieren.
Dallas bei First Down gegen die Jaguars:
1st Down Splits | ||||||||||||
Runs | +1 | +3 | +3 | +6 | +20 | 0 | +4 | +5 | -2 | +2 | PEN (O) | +3 |
Runs | +4 | -4 | +21 | +15TD | +2 | +3 | +7 | +2 | ||||
Pässe | +11 | +11 | +1 | INC | +17TD | PEN (D) | +3 | Sack |
Dabei war selbstverständlich nicht alles perfekt. Die Cowboys knackten einmal mehr die 200-Passing-Yard-Marke nicht, und das Play-Calling bei First Down war wieder durchaus fraglich: obwohl das Passing Game hier vergleichsweise sehr gut funktionierte, musste Elliott häufig in eine Mauer rennen.
Die gute Nachricht aber: Es war nicht nur das Run Game, das funktionierte. Die Cowboys mixten Play Action effizient mit Screens und kurzen Dumpoffs, Prescott hatte nicht viele, aber genügend Big Plays im Passspiel und attackierte die Jags auch auffällig häufig tief - und das obwohl er in knapp der Hälfte seiner Dropbacks unter Pressure stand: Von seinen 27 Pässen flogen 13 zehn Yards oder weiter. Mit dem Zone Read und Play Action brachten die Cowboys Prescott auch in Bewegung und aus der Pocket, was das Spiel für ihn vereinfachte.
Vor allem aber Cole Beasley bekamen die Jaguars nicht in den Griff. Jacksonville spielt keine komplexe Defense, sondern setzt eher auf die Explosivität und die individuelle Klasse auf jedem Level - umso gravierender ist es dann, wenn trotzdem Coverage-Breakdowns auftreten.
Genau das passierte bei Beasleys erstem Touchdown. Die Jaguars scheinen eine Art Zone-Man-Mischung zu spielen, mit zwei Underneath-Verteidigern in Zone. Der zentral postierte Linebacker ist für die tiefe Route des Tight Ends verantwortlich und verfolgt ihn dementsprechend, während die beiden Outside-Corner ebenso vertikal beschäftigt werden und der linke Linebacker die Flat-Route des Running Backs covern muss.
Das sollte zwei Verteidiger im Zentrum lassen, und es sieht vor dem Snap auch so aus, als wäre Beasley im Slot in Man Coverage genommen. Nach dem Snap aber lassen sich die beiden Spieler in eine ähnliche Zone fallen, was so nicht geplant gewesen sein kann - womöglich hat einer der beiden nicht richtig auf die tiefe Route des Tight Ends und die daraus entstehenden Coverage-Aufgaben reagiert. In jedem Fall ist die Mitte komplett offen für Beasley zum Touchdown. Beasley bereitete vor allem den Cornerbacks in diesem Spiel immer wieder große Probleme, seine Route war oftmals diejenige, die als Zone-Konzept-Beater eingesetzt wurde.
Im Endeffekt sind es zwei Teams, die beide große Probleme bekommen, wenn sie mit zwei Scores ins Hintertreffen geraten. Dallas kam in diese Partie mit 16,6 Punkten pro Spiel, der drittschwächste Wert ligaweit und hatte seit Week 7 2017 gegen die 49ers keine 40 Punkte mehr aufs Scoreboard gebracht.
Jacksonville auf der anderen Seite hatte schon mehrfach in dieser Saison einige Anfälligkeiten gegen den Run und ist da noch nicht auf dem erhofften Level. Und es wirft eine generelle Frage auf: in wie weit kann man in der heutigen NFL, in der Offenses nicht nur über mehrere Jahre konstanter sind, sondern für den Ausgang von Spielen auch eine größere Gewichtung einnehmen müssen, noch sein Team über eine Elite-Defense aufbauen?
Das ist ein Thema für eine andere, tiefere Analyse, für die Jaguars aber gilt ganz klar: in Spielen, in denen man früh ins Hintertreffen gerät, sind die Chancen auf einen Sieg am Ende äußerst gering. Und das ist ein Problem.