Ein kanadischer Nationalheld Seite an Seite mit dem besten europäischen Basketballer aller Zeiten. Und das in einem Raptors-Trikot. Steve Nash und Dirk Nowitzki, zwei gute Kumpels vereint in der Jagd nach Trophäen. Und das tagein, tagaus im Air Canada Centre.
Die Geschichtsbücher der NBA sind prall gefüllt mit solchen "What ifs": Was wäre, wenn ein kleiner Dominostein in der Ligahistorie anders gefallen wäre, als sich die Realität letztlich präsentierte? Was wäre, wenn einer der zahlreichen diskutierten und wieder verworfenen Fast-Trades doch über die Bühne gegangen wäre?
Hätten die Mavs mit Shaquille O'Neal viel früher eine Championship gewonnen? Wäre der Lakers-Repeat 2009 und 2010 mit einem Trade von Kobe Bryant Jahre zuvor zerstört worden? Hätte es die Warriors-Dynastie nie gegeben, wenn Golden State Stephen Curry anstelle von Monta Ellis getradet hätte?
Und hätten die Raptors mit dem Duo Nowitzki und Nash womöglich gar nicht so lange auf den ersten Titel der Franchise-Geschichte (2019) warten müssen?
Dirk Nowitzki und Nash in Toronto? Es blieb ein Fiebertraum
Was klingt wie ein Fiebertraum eines heißblütigen Toronto-Fans, war Anfang der 2000er-Jahre tatsächlich eine Option. Zumindest wenn man John Shannon Glauben schenken darf. Shannon fungierte kurz nach der Jahrtausendwende als Executive bei Maple Leafs Sports and Entertainment Ltd., der Mutterfirma hinter den NBA- und NHL-Franchises der Raptors und der Toronto Maple Leafs.
Wie Shannon Jahre später nach seinem Wechsel in die Medienbranche bei Prime Time Sports verriet, soll den Raptors-Verantwortlichen 2001 folgendes Angebot der Dallas Mavericks auf den Tisch geflattert sein: Dirk Nowitzki und Steve Nash zu den Raptors, im Gegenzug wollten die Mavs Vince Carter und Antonio Davis nach Texas lotsen.
Der damalige General Manager der Kanadier, Glen Grunwald, habe jedoch den Deal abgelehnt, erinnerte sich Shannon. Der Fiebertraum von Nowitzki und Nash im Raptors-Trikot blieb letztlich genau das: ein Traum.
Doch auch wenn Toronto aus heutiger Sicht zwei sichere Hall of Famer durch die Lappen gingen, zwei spätere MVPs, ein Finals-MVP und ein Champion. Und auch wenn das Kapitel Vince Carter in Kanada unrühmlich endete: Aus damaliger Sicht ist die Entscheidung vertretbar.
Vince Carter in Toronto: Es ging in die richtige Richtung
In besagtem Jahr stand mit Nowitzki und Nash auf der einen Seite ein noch unerfahrenes Duo ohne große Auszeichnungen in der Vita. Der kanadische Point Guard hatte kurz zuvor in seiner fünften Saison in der Association erstmals überhaupt einen zweistelligen Punkteschnitt geknackt. Nowitzki war nach seinen Startschwierigkeiten in den USA ebenfalls in einem relativ frühen Stadium seiner Entwicklung, erstmals kam er auf mehr als 20 Zähler pro Partie.
Und Carter? Der hatte sich im denkwürdigen Dunk-Contest im Vorjahr bereits als "Half-Man, Half-Amazing" einen Namen gemacht. Der 5. Pick des Draft 1998, vier Positionen vor Nowitzki gezogen, hatte im Sommer 2001 gerade seine zweite All-Star-Saison hinter sich und es bereits zweimal ins All-NBA-Team geschafft. Die Raptors hatten sich im sechsten Jahr ihrer Existenz in erster Linie dank Carter auf der NBA-Landkarte etabliert, er war die große Attraktion der Liga.
In Toronto schien sich alles in die richtige Richtung zu entwickeln. Die Raptors hatten gerade erst die beste Saison der Franchise-Geschichte mit 47 Siegen in der regulären Saison abgeschlossen, dazu mit dem ersten Seriengewinn der Raptors-Historie, aber auch einem bitteren Playoff-Aus in Spiel 7 der zweiten Runde, nachdem Carter einen Buzzer-Beater an den Ring setzte.
Die Statistiken von Nowitzki, Nash und Carter in der Saison 2000/01
Name | Spiele / Minuten | Punkte | Rebounds | Assists | FG% | 3FG% |
Dirk Nowitzki | 82 / 38,1 | 21,8 | 9,2 | 2,1 | 47,4 | 38,7 |
Steve Nash | 70 / 34,1 | 15,6 | 3,2 | 7,3 | 48,7 | 40,6 |
Vince Carter | 75 / 39,7 | 27,6 | 5,5 | 3,9 | 46,0 | 40,8 |
Nowitzki und Nash nach Toronto? "Ist nicht wahr"
Den aufstrebenden Superstar und eine aussichtsreiche Zukunft im Tausch für zwei Grünschnäbel aus Texas abzugeben, machte vom damaligen Standpunkt aus betrachtet nur wenig Sinn. Mal ganz abgesehen davon, dass sich Grunwald an ein entsprechendes Angebot seitens der Mavs nicht erinnern kann.
"Ich glaube nicht, dass das wahr ist", sagte der heute 63-Jährige, angesprochen auf die Story von Shannon in einem Interview mit dem SB Nation-Blog "Raptors HQ" im Jahr 2014. "Soweit ich weiß, wurden uns diese beiden Jungs niemals angeboten. Ich glaube nicht, dass sein Statement wahr ist, aber vielleicht hat John auch ein besseres Gedächtnis als ich."
Wer von den beiden nun recht hat, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Von Seiten der Mavs sickerten bisher zumindest nie Spekulationen um einen Nowitzki-plus-Nash-für-Carter-Trade durch. Das muss aber nicht heißen, dass ein solcher Deal nie zumindest rudimentär diskutiert wurde.
Toronto Raptors: Der Knacks in Carters Karriere
Fakt ist, dass Carters Kapitel in Toronto nach den erfolgreichen Anfangsjahren relativ schnell eine Wendung nahm. Das begann bereits in den besagten Playoffs 2001: Vor dem alles entscheidenden Spiel 7 gegen die Sixers startete der damals 24-Jährige einen Kurztrip nach North Carolina, um sein College-Abschlusszeugnis entgegenzunehmen - wohlgemerkt am Tag des Spiels.
Carter spielte die Partie letztlich durch und beendete Spiel 7 mit 20 Punkten bei 6/18 aus dem Feld und dem vergebenen Buzzer-Beater. Zahlreiche Fans und Medienvertreter nahmen den Trip als Anlass für harsche Kritik, der Youngster habe seine eigenen Interessen über die des Teams gestellt.
In den darauffolgenden Jahren setzten erstmals Verletzungssorgen bei Carter ein, der Shooting Guard verpasste zunächst 22, in der anschließenden Saison 39 Spiele. Seine Auftritte auf dem Parkett waren aufgrund seiner wachsenden Unzufriedenheit im hohen Norden nun eher geprägt von Lustlosigkeit als Spektakel, begleitet von einer Menge Pleiten des einst so hoffnungsvollen Teams.
Und so spielte Toronto in der Saison 2003/04 etwas ernsthafter mit dem Gedanken eines Carter-Trades - und wieder waren angeblich die Mavs interessiert. "Eine meiner letzten Aufgaben, bevor ich entlassen wurde, war es, einen Nash-für-Carter-Trade auszuloten", erinnerte sich Grunwald, der von 1997 bis zum Sommer 2004 die Geschicke in Toronto leitete.
"Es war damals eine schwierige Zeit für Vince, er wurde von den Medien stark kritisiert. Einerseits wegen seinen zahlreichen Verletzungen, andererseits, weil er Konzerte besuchte, während er verletzt war", so Grunwald weiter. "Es war an der Zeit, nach einem Trade Ausschau zu halten. Aber soweit ich mich erinnere, hatten wir mit den Mavs keine echten Gespräche um Nash."
Vince Carter für Steve Nash: Zweiter Trade-Anlauf?
Wie Sportsnet Jahre später berichtete, soll Grunwald den Verantwortlichen von Maple Leaf Sports and Entertainment aber immerhin den Vorschlag unterbreitet haben, Carter für Nash sowie einen weiteren Spieler, möglicherweise Michael Finley, zu akquirieren. Das MLSE-Board lehnte den Vorschlag ab, Grunwald wurde wenig später entlassen.
Wenige Monate später rollten aber doch die Umzugswagen vor Carters Haus in Toronto vor. Im Dezember 2004 verschifften die Raptors den Franchise-Star für ein dünnes Paket um Alonzo Mourning, Aaron Williams, Eric Williams sowie zwei Erstrundenpicks (Joey Graham und Renaldo Balkman) zu den New Jersey Nets.
Für Toronto ging es in Richtung Tabellenkeller, was erst Chris Bosh einige Jahre später berichtigen sollte. Doch auch für Carter stellte sich weiterhin kein Teamerfolg ein, weder in New Jersey, noch in Orlando oder Phoenix, noch auf seine alten Tage in Dallas, Memphis, Sacramento oder Atlanta. Bei den Mavs sorgte er mit seinem Buzzer-Beater in Spiel 3 der Erstrunden-Serie 2014 gegen die San Antonio Spurs (3-4) immerhin noch für ein Highlight, doch für einen Titel kam er knapp zu spät nach Dallas.
Nash startete derweil nach seiner Mavs-Karriere mit den Seven-Seconds-or-Less-Suns durch, gewann zweimal den MVP-Award, aber scheiterte immer spätestens in den West-Finals.
Carter und Nash blieb ein Ring Zeit ihrer aktiven Karriere verwehrt, Nowitzki tütete dagegen die Championship 2011 ein und setzte seinem Vermächtnis als Maverick for life die Krone auf. Der Dirkster im Raptors-Trikot? Man mag es sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen.