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Einen Rekord hat Carter wohl für lange Zeit sicher. Er ist der einzige Spieler, der gleich drei NBA-Unterbrechungen miterleben musste. Carter machte beide Lockouts in den Jahren 1998 und 2011 mit, nun zwingt ihn und den Rest der NBA der Coronavirus in den Standby-Modus.
Kurz vor der Unterbrechung seiner 22. NBA-Saison stand er noch mit den Atlanta Hawks auf dem Parkett, als sich verganene Woche in Oklahoma City bizarre Szenen abspielten. 13,4 Sekunden vor dem Ende der Verlängerung im Spiel der Hawks gegen die Knicks versenkte der Forward seinen 2290. Dreier - womöglich sein Letzter.
Auch wenn die Spielzeit irgendwie beendet werden sollte, Carter wird unvollendet bleiben. Eine streitbare Figur der Liga, die dennoch einen enormen Einfluss über vier verschiedene Dekaden nahm - auch ohne einen Ring. Im Spätherbst seiner Karriere polierte Carter schließlich noch einmal sein Image etwas auf, das in seiner Prime gelitten hatte, durchaus selbstverschuldet.
Vince Carter: Kanadas Basketball-Pionier
Dabei flogen dem High Flyer zu Beginn seiner Laufbahn die Sympathien nur so entgegen. Nach drei Jahren auf der legendären Uni von North Carolina (wo er unter anderem auch mit dem deutschen Nationalspieler Ademola Okulaja zusammenspielte), eroberte Carter mit seinen spektakulären Dunks die Liga im Sturm - auch wenn er in der damaligen Basketball-Exklave Toronto spielte.
Wer weiß, ob es die Toronto Raptors heute noch geben würde, wenn Carter nicht 1998 mit dem fünften Pick (die Warriors wählten Carter, tauschten ihn aber sofort gegen Nr.4-Pick Antawn Jamison) am Lake Ontario gelandet wäre. Die Vancouver Grizzlies hatten weniger Glück und mussten bereits nach sechs Jahren nach Memphis umziehen.
Carter brachte Toronto dagegen auf die Landkarte der NBA. Er wurde Rookie of the Year, wurde in seinem zweiten Jahr ins All-NBA Third Team gewählt und führte die Raptors erstmals in die Playoffs. Dort setzte es jedoch in Runde eins einen Sweep gegen die New York Knicks, auch wenn Toronto die drei Spiele zusammengerechnet nur mit zwölf Zählern verlor.
Dennoch blieben nicht die Playoffs im Jahr 2000 im Gedächtnis der Fans hängen, es war der legendäre Dunk-Contest wenige Monate zuvor.
Vince Carter und der legendäre Dunk Contest 2000
Sind wir ehrlich, wer kann sich noch an die anderen Bewerber erinnern? Es waren Steve Francis, Ricky Davis, Larry Hughes, Jerry Stackhouse und Carters Cousin sowie Mitspieler bei den Raptors Tracy McGrady.
Der Dunk-Contest erlebte damals eine Krise, die vorherigen beiden Ausgaben wurden allesamt abgesagt, nur wegen Carter versuchte es die NBA noch einmal und wurde nicht enttäuscht.
Ein 360-Windmill, ein Reverse-360-Windmill von hinter der Korbanlage, ein Bounce-Pass-Alley-Oop von T-Mac, den Carter durch die Beine verwandelte und dann mit seinem Arm am Korb hängen blieb. Eine Legende war geboren.
Air Canada, Half-Man, Half-Amazing, Vinsanity - Carter wurde mit Spitznamen überhäuft und zementierte seinen Status wenige Monate später im Sommer, als die ganze Welt zuschaute.
Carter: Dunk of Death als bester Dunk der Geschichte
Bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney kreierte er den Dunk of Death (in Frankreich besser bekannt als Le dunk de la mort), als er über 2,18-Meter-Mann Frederic Weis stopfte - vermutlich für immer der beste Dunk innerhalb eines Spiels, den die Welt je gesehen hat.
Kevin Garnett verriet später, dass das komplette US-Team eine Wette abgeschlossen hatte. Wer auch immer über den französischen Center dunken würde, sollte eine Million Dollar vom Team bekommen, Carter gelang es. Das Geld hatte Carter schon da nicht mehr nötig. Der 1,98-Meter-Guard hatte Werbedeals mit Nike oder Gatorade und wurde vor allem in Kanada das Aushängeschild der jungen Basketball-Nation.
"Keiner wollte auf einem Carter-Poster landen", erklärte Celtics-Legende Paul Pierce später, wenn es darum ging, gegen Carter zu verteidigen. "In seiner besten Zeit hatte er rund fünf solcher Aktionen in jedem Spiel. Ich wollte das immer verhindern, so war er schon in meinem Kopf, bevor das Spiel begann."
Denn Carter war nicht nur ein begnadeter Dunker, sondern auch einer der besten Scorer der damaligen Zeit. T-Mac hatte sich zwar gen Orlando verabschiedet, aber dank Vinsanity gewannen die Raptors trotzdem mehr Spiele als im Vorjahr (47) und gingen als Fünfter im Osten erneut in die Playoffs.
Carter gegen Iverson: Ein Duell für die Ewigkeit
Es gelang die Revanche gegen die Knicks, auch dank 27 Punkten von Carter im entscheidenden fünften Spiel im Madison Square Garden, der erste Seriengewinn der Raptors-Geschichte. Was folgte, war eine denkwürdige Schlacht, die für immer ihren Platz in den Geschichtsbüchern haben wird: der Showdown zwischen Carter und dem damaligen MVP Allen Iverson von den Philadelphia 76ers.
Carter und The Answer legten zusammengerechnet drei 50-Punkte-Spiele auf und zelebrierten den damaligen Eins-gegen-Eins-Basketball. Immer wieder doppelten die Mannschaften den Gegner, am Ende hatten die Sixers in einem dramatischen Spiel 7 das bessere Ende für sich - auch weil Carter den möglichen Gamewinner knapp verpasste.
Dieses Spiel 7 stellte gewissermaßen den Wendepunkt in Carters Karriere dar. Vor dem entscheidenden Spiel flog der Raptors-Star am Tag der Partie nach North Carolina, um sein Abschlusszeugnis von der Universität entgegenzunehmen und stellte damit seine eigenen Interessen vor die des Teams - nicht zum letzten Mal in seiner Laufbahn.