Denver wird nicht umsonst "Mile-High City" genannt. Die Stadt nahe der Rocky Mountains liegt in knapp 1,6 Kilometern Höhe, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge des großen Goldrauschs gegründet. Im Winter wird in den Bergen Ski gefahren, im Sommer gehts zum Campen oder zur Kayaktour raus in die Wildnis.
Hoch sind in der beschaulichen 630.000-Einwohner-Stadt auch die Erwartungen. Doch mit dem Verlust von drei Schlüsselfiguren drohen die Träume der Denver-Nuggets-Fans bereits vor dem Start der Saison 2013/2014 zu platzen.
Karl: "Dumme Entscheidung!"
"Ich verstehe es einfach nicht", schüttelte TV-Experte Jeff van Gundy schon während der vergangenen Playoffs immer wieder den Kopf über die Nuggets.
Das Team von Coach George Karl hatte gerade die beste Saison der Franchise-Geschichte hinter sich, eine gerade im starken Westen überragende Bilanz von 57-25 bedeutete Platz 3 in der Endabrechnung.
In der Postseason aber kam es zum Desaster: 2-4 in der Erstrundenserie gegen die Golden State Warriors - ein jähes, unerwartetes Ende aller Träume. Jedoch war es nicht das Aus der Nuggets, das van Gundy so bewegte.
Es war vielmehr das Ende der Ära Karl in Colorado - denn der langjährige Trainer der Nuggets wurde beinahe umgehend entlassen. Als frisch gewählter Coach of the Year.
Auch GM Ujiri geht
"Das ist noch immer ein schwerer Schlag für mich, man fühlt sich so machtlos, traurig, hilflos, sprachlos", sagte Karl vor kurzem im Rückblick seiner Demission nach knapp acht Jahren im Amt. "Ich denke einfach, das war eine dumme Entscheidung der Nuggets."
"Der ganz logische Weg wäre doch aber weiter Kontinuität gewesen", sprang van Gundy dem erfahrenen Karl bei. "Natürlich ist es enttäuschend, als Drittplatzierter schon in der ersten Runde auszuscheiden. Aber man muss doch auch überlegen, wo die Nuggets hergekommen sind. Alles in allem war die Saison doch ein überwältigender Erfolg, auf dem man hätte aufbauen müssen."
Fast wirkt es im Nachhinein, als hätte Van Gundy schon geahnt, was noch folgen würde. Denn quasi zeitgleich mit Karls Entlassung ging auch General Manager Masai Ujiri von Bord. Auch er wurde hoch gelobt, auch er war gerade erst ausgezeichnet worden - als Executive of the Year.
Die Toronto Raptors - bei denen der gebürtige Nigerianer schon zuvor drei Jahre lang Assisant-GM war - zahlen dem Rückkehrer 15 Millionen Dollar in den nächsten fünf Jahren.
Fehlstart für neuen GM
Sein Nachfolger Tim Connelly erklärte gleich bei seiner Vorstellung: "Es hat absolute Priorität, dass wir Andre Iguodala halten können - noch vor wenigen Minuten hatte ich ein Gespräch mit ihm."
Das "Gespräch" hatte allerdings nicht den gewünschten Effekt - nur wenige Tage später wechselte der begehrte Free Agent per Sign-and-Trade zu den Golden State Warriors.
Plötzlich war also auch der wohl wichtigste Spieler weg, das Bindeglied zwischen Defense und Offense, der Goldmedaillengewinner von London 2012, der die Nuggets von einem guten Team zum potenziellen Contender gemacht hatte.
Innerhalb nur weniger Wochen wurde so - völlig unnötigerweise - aus einem Spitzenteam mit Zukunft ein Verlierer der bisherigen Offseason.
Faried bleibt optimistisch
Zwar ist der Großteil des Kaders zusammengeblieben, wurde dazu mit Guard Nate Robinson und Forward J.J. Hickson in der Breite solide verstärkt.
Mit Brian Shaw steht zudem ein vielversprechender Neuling als Head Coach bereit, der nach mehreren Assistant-Jobs nun seine große Chance bekommt. Ein Komplettabsturz ist also nicht zu befürchten.
Auch Nuggets-Forward und Hoffnungsträger Kenneth Faried bleibt optimistisch: "Wir werden keine großen Probleme haben", sagt der 23-jährige Youngster. "Wir haben einen Kern von Spielern, der zusammengeblieben ist, und dazu noch einige, die nur darauf warten, den nächsten Schritt zu tun. Ty Lawson könnte seinen endgültigen Durchbruch feiern, JaVale McGee hat so viel Potenzial, und vielleicht überrascht sogar einer wie Jordan Hamilton oder Evan Fournier."
Josh Kroenke um Schadensbegrenzung bemüht
Trotzdem: Die Konkurrenz ist - auch durch das unfreiwillige Mitwirken der Nuggets - stärker geworden (Warriors), hat hochkarätig aufgerüstet (Rockets), glaubt, die fehlenden Puzzleteile gefunden zu haben (Mavericks) oder vertraut auf große Namen an der Seitenlinie (Clippers).
Ein erneuter dritter Platz im Westen scheint derzeit illusorisch, Fragen bleiben offen: Kann Iggy mit vereinten Kräften an beiden Enden des Courts ersetzt werden? Funktioniert das Shaw-Experiment?
"Masai hat mir persönlich gesagt, dass ich mit dem Raptors-Angebot nicht mitgehen soll, er hätte sich schon entschieden. Toronto hat immer einen besonderen Platz in seinem Herzen eingenommen", beteuert Team President Josh Kroenke derzeit immer wieder und versucht, zumindest die Schuld für den Ujiri-Abgang von sich zu weisen.
Der 33-Jährige ist Sohn von Klubbesitzer Stan Kroenke. Er ist präsent in den Medien, gibt Interviews, bemüht sich um eine zumindest einigermaßen vorteilhafte Außendarstellung. Ganz anders als der Vater.
"Silent Stan" hält sich bedeckt
Zwar ist auch Kroenke senior - oft zusammen mit seinem Sohn - bei Spielen der eigenen Teams wahlweise im Stadion oder in der Halle, sein Spitzname "Silent Stan" jedoch ist Programm. Interviews gibt er so gut wie keine, und nur an Tagen äußerster Großzügigkeit lässt die eigene PR-Abteilung ein Zitat des großen Chefs in die Pressemitteilungen rutschen.
Der 66-Jährige Bau- und Immobilienmilliardär mit dem markanten Schnauzbart, verheiratet mit einer Erbin des selbst milliardenschweren Walton-Clans (Wal Mart), ist die treibende Kraft im Sport nicht nur der Stadt im mittleren Westen der USA.
Ihm gehören seit 2000 die Nuggets und der NHL-Klub Colorado Avalanche, auch das Pepsi Center, eine 180 Millionen Dollar teure Multifunktionshalle in Denver, und seit 2004 die Colorado Rapids aus der Major League Soccer sowie das Lacrosse-Team Colorado Mammoth.
Nach der Komplettübernahme der Footballer der St. Louis Rams 2010 musste der Unternehmer die Kontrolle der Nuggets und Avalanche an Sohn Josh abgeben, darf dazu ab 2014 auch nicht mehr die Mehrheitsanteile dieser Teams halten, so wollen es die NFL-Statuten. Dazu ist Kroenke seit 2011 Mehrheitseigner des Premier-League-Klubs FC Arsenal. Trotzdem: Geldexzesse wie bei Fußball-Investoren aus Katar oder Russland sind nicht an der Tagesordnung.
Minimale Ausgaben, maximaler Gewinn
Einen fast schon exklusiven Auftritt von "Silent Stan" gab es vor einem knappen Jahr, als bei Arsenal Fragen über die zukünftige Ausrichtung aufkamen.
"Wir haben nie gesagt, dass kein Geld vorhanden ist. In jeden unserer Klubs haben wir reinvestiert, keine Schulden übertragen. Ich bin im Sport, um zu gewinnen." Die Statistiken sprechen aber eine andere Sprache: Profit ist das Ziel.
Die Payroll der Colorado Avalanche in der abgelaufenen Saison? Platz 22 - von 30 NHL-Teams. Die Payroll der St. Louis Rams in der abgelaufenen Saison? Platz 27 - von 32 NFL-Teams. Die Payroll der Colorado Rapids? Platz 19 - von 19 MLS-Teams. Da passen Ty Lawson, Wilson Chandler und Co. ins Bild, aktuell liegen die Nuggets in der Gehaltsliste auf Rang 19 der 30 NBA-Mannschaften.
Sportlicher Abstieg wird in Kauf genommen
In Denver wird daher vermutet, der Klub wäre auch ohne Ujiris Anweisung beim Raptors-Angebot auf keinen Fall mitgegangen, allein aus purer Sparsamkeit. Dazu wurden bei allen Teams Kosten in vielerlei Bereichen reduziert, Ressourcen zusammengeführt, um den Gewinn zu maximieren - dass Kroenke senior gleichzeitig auch die Spielstätten gehören, ist kein Zufall.
Auch Karls Rauswurf soll nicht nur sportliche Gründe gehabt haben, sondern auch und vor allem taktische: Der Coach of the Year wäre 2013 in sein letztes Vertragsjahr gegangen. Früh wurden Gerüchte laut, nach denen Karl eine vorzeitige Verlängerung anstreben würde.
Und das natürlich - das wäre als Trainer des Jahres sein gutes Recht gewesen - zu verbesserten Konditionen und mit langfristiger Ausrichtung. Diese Diskussion wollte Kroenke aber offenbar nicht führen - und entschied sich stattdessen für die "Billiglösung".
Mit den Abgängen von Karl und Ujiri wiederum nahm Kroenke in Kauf, dass Iguodala gehen würde. Dem Flügelspieler stand in seinen besten Jahren die Lust eher nach Kontinuität und Stabilität - sowie der Chance, um den Titel mitzuspielen. Diese Chance hat er mit den Warriors.
Titel? Fehlanzeige
So zögerlich die Ausgaben der Nuggets-Eigner sind, so profitabel die Klubs auch sein mögen, so spärlich gesät sind die Erfolge: Die Avalanche gewannen zwar den Stanley Cup 2001, verpassten seitdem aber fünf Mal die Playoffs, zuletzt drei Jahre in Folge.
In St. Louis bei den Rams warten die Fans sogar schon seit acht Jahren auf eine Postseason-Teilnahme - der Super-Bowl-Gewinn 1999 und die Finalniederlage 2002 wirken wie aus einer anderen Zeit. Immerhin wurden die Rapids 2010 Meister der MLS.
Zwar haben die Nuggets nun schon zehn Jahre in Folge die Playoffs erreicht, mussten dabei aber neun Mal in der ersten Runde die Segel streichen.
Arsenal-Umfrage: Klub entwickelt sich zurück
In London trauert man glorreichen Zeiten der Konkurrenzfähigkeit mit Chelsea und Manchester (United und City) hinterher, die sich nach und nach immer weiter in Luft aufgelöst haben. Die Punkteabstände zum Spitzentrio werden immer größer.
Bei Arsenal übrigens hat sich mittlerweile beträchtlicher Widerstand gegen den ungeliebten Eigner aus Übersee formiert - die Anhänger werfen ihm vor, Klub und Fans mit seiner Nichtkommunikation und der Inthronisiering eigener Leute in der Führungsetage zu entfremden.
Dazu kommen die höchsten Ticketpreise der gesamten Premier League - in einer Umfrage unter 3500 Gunners-Fans meinten 87 Prozent, seit dem Kroenke-Einstieg hätte sich der Klub negativ entwickelt.
Wie eine solche Umfrage wohl in der "Mile-High City" ausfallen würde?