Um klare Ansagen war Doug Collins noch nie verlegen. Erst kürzlich wurde der Coach der Philadelphia 76ers gefragt, ob er sich denn vorstellen könne, auf die in der NBA immer beliebter werdenden statistischen Analysen zurückzugreifen.
"Ich würde mir das Hirn rausblasen. Das sind 20 Seiten nach jedem Spiel. Meine Analyse kommt von hier ... und hier", sagte er und zeigte dabei auf Kopf und Bauch. Gutes Bauchgefühl. Für den 61-Jährigen, auch in Zeiten ausgefeilter Analysemethoden immer noch der verlässlichste Gradmesser, wenn es um die bestmögliche Vorbereitung seines Teams geht. Tradition geht vor technischen Errungenschaften. Collins - der Werner Lorant der NBA.
Der Eindruck drängt sich auf, dass er im Basketball einfach schon zu viel erlebt hat, um sich nun von einer Ansammlung schwarzer Zahlen auf weißem Papier leiten zu lassen.
1972 war Collins dabei, als die USA das Olympische Finale von München höchstumstritten gegen die Sowjetunion verloren und damit die erste Niederlage eines amerikanischen Basketball-Teams überhaupt kassierten. Angesichts der skandalösen Umstände der Pleite weigern sich Collins und alle seine Mitspieler bis heute, die Silbermedaille entgegenzunehmen.
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Detailversessener Defensiv-Fanatiker
Überhaupt verlief Collins' aktive Karriere bei den 76ers keinesfalls reibungslos. Um deutliche Worte war er jedoch auch damals schon nicht verlegen. So stellte er vor den Playoffs 1976/77 trotz der besten Bilanz im Osten sowie Mitspielern wie George McInnis, World B. Free oder Julius Erving ernüchtert fest: "Wir reden über Aufopferung und gemeinsame Ziele, aber wenn genau das gefragt ist, stehen wir nur rum. Wenn wir wichtige Punkte benötigen, fallen wir auseinander." Collins sollte Recht behalten, die Sixers unterlagen im Finale den Portland Trail Blazers.
Aufgrund diverser Fußverletzungen reicht es für Collins im Anschluss nie zum großen Triumph. Nur wenige Jahre, nachdem er seine Karriere nach nur neun Jahren vorzeitig beenden muss, übernimmt er 1986 den Posten des Cheftrainers bei den Chicago Bulls und trifft dort auf einen gewissen Michael Jordan.
Als Trainer erarbeitet er sich den Ruf eines detailversessenen Defensiv-Fanatikers, eckt durch seine teils grimmige, schroffe Art immer wieder an - alle Engagements enden vorzeitig. Nicht selten werden ihm Probleme mit seinen Spielern nachgesagt, denen er körperlich wie geistig einiges abverlangt.
"Coach Collins gibt sehr viele Offensiv-Plays vor", erzählt Sixers-Forward Lavoy Allen. "Die musst du quasi im Vorbeigehen lernen. Speziell während meines Rookie-Jahres musste ich aufgrund der verkürzten Lockout-Saison extrem schnell lernen. Langsam gewöhne ich mich jedoch daran."
Harden: "Hat mir viel beigebracht"
Allerdings profitieren junge Spieler auch durchaus vom Wissen Collins'. Ein Beispiel: James Harden. Der Swingman besuchte die Arizona State University, wo Doug Collins bei den Workouts anwesend war. "Er hat mir viel beigebracht", erinnert sich Harden. "Er war gewissermaßen mein Mentor. Er war der Grund, dass ich in meinem zweiten Jahr noch härter an mir gearbeitet habe."
Der Blick für Details kam Collins auch während seiner Tätigkeit als TV-Experte zu gute, die ihm sogar mehrere Emmy-Nominierungen einbrachte. Dort lieferte er stets messerscharfe Analysen - ohne ausgefeilte Statistiken. Und nun soll er sich von ebensolchen vorschreiben lassen, wie er sein Team wann auf- und einzustellen hat?
Von Statistiken, deren Ursprung auch noch im Baseball begründet sind - genauer bei den Oakland Athletics. Deren General Manager Billy Beane verwendete angesichts begrenzter finanzieller Mittel bei der Kaderzusammenstellung neue Parameter. Nicht allein individuelle Stärke zählte, vielmehr sollten die Begabungen der einzelnen Spieler optimal aufeinander abgestimmt sein und verborgene Stärken gemäß sogenannter Sabermetrics ermittelt werden.
Auch beim Basketball werden inzwischen neue Komponenten des Spiels herangezogen, um herauszufinden, welcher Spieler am besten zum Team passt und welche Kombination der Spieler am effektivsten zusammenspielt. Ein Meilenstein war dabei das von "ESPN"-Analyst John Hollinger entwickelte Player Efficiency Rating, das das Spiel in seiner Gesamtheit erfassen und so die Produktivität einzelner Spieler messbar machen soll.
Kurioser Chefanalyst
Die Liga ist zusehends begeistert. In vielen Arenen sind spezielle Kameras installiert, die verschiedene Parameter für die Auswertung aufnehmen sollen. Hollinger erhielt zuletzt sogar eine Anstellung bei den Memphis Grizzlies und wechselte die Fronten: vom Journalisten zum NBA-Macher im Front Court. Und auch Dallas-Mavericks-Besitzer Mark Cuban ist vom Nutzen alternativer Statistiken überzeugt. So verpflichtete Dallas Elton Brand in erster Linie, da er laut Empirie einer der besten Post-Defender überhaupt sein soll.
Doug Collins möchte sich der Zahlen-Fixiertheit allerdings nur ungern anschließen. Und dennoch verpflichteten die Sixers im November einen Stats-Doktor. Aaron Barzilai, Absolvent des MIT und Doktor der Maschinentechnik, soll Philadelphia nun als Chefanalyst zur Seite stehen. Besitzer Joshua Harris und General Manager Tony DiLeo wollten den Anschluss an den Rest der Liga offenbar nicht verpassen und entschieden sich für die Verpflichtung Barzilais.
Die 76ers-Machtriege
Die Entscheidung dürfte zudem zur Profilschärfung DiLeos beitragen. Kurz nach der Verpflichtung des ehemaligen Bundestrainers waren Stimmen lautgeworden, DiLeo könne sich neben dem starken Collins nur schwer behaupten. Manch einer mutmaßte sogar, Collins sei derjenige, der eigentlich die Personalentscheidungen trifft.
Nun muss Doug Collins erst einmal die Entscheidung seiner Bosse mittragen. Aaron Barzilai darf sich schonmal auf offene und deutliche Gespräche freuen.
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