Es sah so gut aus. Im Zuge des Dwight-Howard-Trades verpflichteten die Philadelphia 76ers im Sommer Andrew Bynum. Jenen Andrew Bynum, der zuvor bei den Lakers mit 18,7 Punkten und 11,8 Rebounds Karrierebestleistungen aufgestellt hatte, der neben Trade-Kollege Howard als bester Center der gesamten Liga galt.
Endlich, so schien es, hatten die Sixers wieder einen echten Franchise Player verpflichtet. Einen Fixpunkt für die Offensive, der auch am defensiven Ende des Courts das Spiel positiv beeinflussen sollte. Hatten die Sixers in der Vorsaison als Team ohnehin bereits gut funktioniert, so wollte man der Mannschaft mit Bynum erstmals seit Allen Iverson wieder eine individuell beeindruckende Komponente verleihen.
Dazu hatte der Center, der am Ende der laufenden Saison Free Agent wird, bereits kurz nach seiner Ankunft in Philadelphia Hoffnungen auf eine mögliche Vertragsverlängerung geweckt: "Um ehrlich zu sein, war mein erster Eindruck so gut, dass ich mir sehr gut vorstellen kann, das zu meinem zu Hause zu machen." Genügend Cap Space wäre ohnehin vorhanden.
Auch die größte Schwachstelle seines Gesamtpakets schien Bynum endlich erfolgreich angegangen zu sein: Erstmals in seiner Karriere verpasste er verletzungsbedingt nur ein Saisonspiel. Trotz komprimierter Lockout-Saison. Es sah so gut aus.
Schwachstelle Knie
Kurz vor Beginn des Trainingscamps traten allerdings die ersten Probleme auf. Eigentlich sollte der Big Man lediglich drei Wochen später ins Training einsteigen. Der Grund: Bynum war im September nach Deutschland gereist, um sich mit der Orthokin-Methode behandeln zu lassen, wie es vor ihm bereits Kobe Bryant erfolgreich getan hatte. Etwas mehr Zeit sollte lediglich einen optimalen Heilungsverlauf gewährleisten - so der Plan.
Inzwischen ist aus einer kurzen Pause jedoch mehr als ein Saisonviertel geworden. Wann, beziehungsweise ob der Center vor Vertragsende überhaupt noch einmal für die Sixers auflaufen wird, ist derzeit nicht klar.
Klar ist jedoch, dass es um Bynums Knie schlimmer bestellt ist, als noch vor zwei Monaten angenommen. "Im Moment kann ich einfach nichts machen", gibt er zu. "Es ist eine Arthritis in den Knien. Knorpel fehlt. Der wird sich nicht von selbst wieder bilden. Vielleicht gibt es in drei bis fünf Jahren etwas, das hilft. Momentan ist es eine Art Wartespiel. Es wird nicht schlimmer, aber ich habe konstant Schmerzen."
Das fehlende Puzzleteil
Keine einfache Situation. Zumal Philadelphia eigentlich keine Zeit hat, Bynums Wartespiel auch mitzuspielen. Zu sehr wurde der aktuelle Kader auf den Center abgestimmt, zu viel riskiert, um endlich wieder den ersehnten Franchise Player im Roster zu haben.
Dabei wiegt der Abgang von Andre Iguodala, der dem Blockbuster-Trade um Howard und Bynum zum Opfer fiel, noch am wenigsten schwer. Schließlich hätte der Swingman seinen Vertrag nach der laufenden Saison per Player-Option um ein weiteres Jahr für gut 15 Millionen Dollar verlängern können. Cap Space? Nicht in Philly. Darüber hinaus füllt Evan Turner Iguodalas Rolle bislang mehr als ordentlich aus.
Das Problem ist vielmehr, dass den Sixers ohne Bynum das wesentliche Teil ihres Personalpuzzles abgeht. Das Team ist in seiner Zusammenstellung auf einen, insbesondere offensiv dominanten Big Man ausgerichtet. Derzeit muss Doug Collins jedoch mit Spencer Hawes, der sich eigentlich auf der Vier wohler fühlt, Lavoy Allen, dem es deutlich an Größe fehlt, oder sogar Thaddeus Young experimentieren.
Fehlende Zonenpräsenz
Damit fehlt nicht nur die so wichtige Scoringoption in der Zone, auch der Rest des Teams muss zusätzliche Aufgaben erfüllen, die wiederum die Produktion in ihren eigentlichen Kerngebieten einschränken. Jrue Holiday muss häufiger penetrieren, mehr scoren, kann sich so weniger auf die Organisation des Spiels konzentrieren. Von Jason Richardson, als Spot-up-Shooter eigentlich wie geschaffen für ein System mit dominantem Center, ist deutlich mehr Bewegung in der Offensive gefragt.
Dazu kommt, trotz der netten Worte zur Begrüßung, die Unsicherheit, ob Bynum überhaupt in Philadelphia zu bleiben gedenkt. Eine Unsicherheit, die die Franchise in ihrer Entwicklung hemmt. Schließlich lässt sich angesichts der unsicheren Vertragssituation nur schwerlich für die kommende Spielzeit, geschweige denn die kommenden Jahre planen.
Da kommt es wenig gelegen, wenn sich dieser ohnehin bereits verletzte Unsicherheitsfaktor beim Bowlen nach dem rechten auch noch das linke Knie ruiniert. Aber - bei allem Unverständnis: Ein Gelenk, das bereits bei einer lockeren Bowlingrunde zusammenbricht, hätte im harten NBA-Alltag ohnehin eher früher als später Probleme bereitet.
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Abdul-Jabbar: "Nicht mit Fundamentals belästigen"
Dennoch passt diese Anekdote ins Bild des Profis, der seinen Beruf nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit angeht. Ein Eindruck, den Kareem Abdul-Jabbar indirekt bestätigt. Zu beginn seiner Karriere stellten die Lakers dem damals 17-Jährigen Bynum die Center-Legende als Mentor zu Seite.
Kein einfacher Job: "Als ich zum ersten Mal mit ihm gearbeitet habe, war er noch sehr wissbegierig", erzählt Abdul-Jabbar.
"Er war dankbar, dass ich ihm dabei helfen konnte, den Lernprozess zu verkürzen. Als er aber für sich beschlossen hatte, genug gelernt zu haben, sollte ich ihn nicht mehr mit Fundamentals belästigen."
Derartige Aussagen stellen die Leaderqualitäten des Centers in Frage. Bynum galt noch nie als sonderlich trainingsfleißig, fällt zudem immer wieder durch Unkontrolliertheiten, wie das Flagrant Foul in den Playoffs 2011 gegen J.J. Barea auf, das ihm vier Spiele Sperre sowie eine Geldstrafe von 25 000 Dollar einbrachte. Wie soll er so seine Teamkollegen antreiben, ihnen mehr Disziplin und Konzentration abverlangen?
Über jeden Zweifel erhaben?
Doch so kontrovers die Meinungen zur Person Andrew Bynum auch sein mögen, der Spieler Bynum ist über jeden Zweifel erhaben. "Er kann einfach alles", sagt beispielsweise Kobe Bryant. "Es gibt nichts, was er nicht kann. Andrews größtes Problem ist seine Gesundheit. Wenn er fit ist, haben die Sixers einen unglaublichen, unglaublichen Center."
Tatsächlich trennt Bynum nicht viel von Dwight Howard. Was der Neu-Laker ihm an Defensivkunst und Explosivität voraus hat, macht der Ex-Laker durch Finesse und Power im Post wett - jedenfalls in der Theorie.
Denn während Howard bereits seit Saisonbeginn im Staples Center auf dem Parkett steht, glänzt Bynum an Philadelphias Seitenlinie mit gewöhnungsbedürftiger Haarpracht.
Ob der Center überhaupt jemals das Trikot der Sixers tragen wird, bleibt abzuwarten. Immerhin gab es zuletzt positive Neuigkeiten: "Ich fühle mich deutlich besser", verriet Bynum. "Nur das linke Knie schmerzt noch, das rechte ist in Ordnung. Ich hoffe, dass der Arzt mich bald wieder spielen lässt." Sollte es irgendwann soweit sein, sähe in Philadelphia wohl alles ein wenig besser aus.
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