Überbewertung der Rückrunde 2013/2014
Die Saison 2013/2014 mit Vizemeisterschaft und dem internen Vereinsrekord von 101 Saisontoren war durchaus bemerkenswert, jedoch wurde sie wohl nicht nur von den Fans etwas überbewertet. Klar, in der Rückrunde zeigte man einen extrem ansehnlichen Fußball und spielte fast jeden Gegner an die Wand (Beispiel 5:1 gegen Arsenal), jedoch hätten zwei überaus wichtige Punkte bei der Zukunftsplanung nicht außer Acht gelassen werden sollen:
- Das Team spielte sich in einen absoluten Rausch. Jeder der selbst einmal die Schuhe geschnürt hat weiß, was die Psyche und Selbstvertrauen für einen enormen Einfluss auf die Leistung haben. Die Reds fühlten sich unschlagbar und hatten kaum einen negativen Gedanken im Kopf. Solch eine Phase ist nie von Dauer und erst recht nicht planbar.
- Die Offensive war rekordverdächtig unterwegs und kaschierte daher die extrem wackelige Defensive. 101:50 ist kein gutes Torverhältnis für einen Titelanwärter, 50 Gegentore eindeutig zu viel! Die schwache Abwehr wurde nach dem Abgang von Suarez und dem Ausfall von Sturridge regelrecht entblößt. Das aktuelle Torverhältnis von 52:48 spricht Bände! Nur 2 Gegentore weniger bei 49 (!) weniger erzielten Treffern bedeuten einen Absturz von Platz 2 auf Platz 6. Vorbei sind die Zeiten der 5:3-, 4:3- oder gar 6:3-Resultate. Drei Gegentore kannst du dir selbst mit einer außergewöhnlichen Offensive nur ab und zu mal erlauben und dass diese nach dem Abgang von Suarez enorm an Qualität einbüßen würde, war klar. Denn Suarez erzielte nicht nur einen Haufen Tore, er beschäftigte auch komplette Defensivreihen, machte seine Mitspieler besser und schaffte somit Freiräume für seine Mitspieler.
Die Transferfensterphilosophie
Rodgers erkannte zwar teilweise, dass die oberen zwei Punkte verantwortlich für die überraschende Saison 2013/2014 waren, doch sein Lösungsansatz war etwas naiv. Tottenham bewies bereits im Vorjahr, dass man durch mehrere teure und individuell gute Einzelspieler (unabhängig von System und Eigenschaften) keinen Weltstar ersetzen kann. Die Transferphilosophie weckt Zweifel:
- In Lallana, Lambert und Lovren verpflichtete man zwar talentierte Spieler, doch letztendlich waren sie allesamt Teil eines hervorragend funktionierenden Konzepts in Southampton, dass Spieler besser aussehen lässt als sie vielleicht tatsächlich sind. Es ist kein Zufall, dass keiner der "hochkarätigen" Saints-Abgänge bislang bei ihren neuen Arbeitgebern vollends überzeugen konnten
- Rodgers holte zu viele überbewertete und vor allem überteuerte Spieler. Joe Allen, Sakho, Balotelli, Lallana, Lovren, Markovic und Moreno konnten bisher ihren hohen Ablösesummen nicht gerecht werden. Sie sind alle zweifelsohne talentiert, jedoch nicht so wie annonciert. Das bedeutet nicht nur, dass man sich finanziell die Hände bindet, sondern auch, dass diese Spieler an übertrieben Erwartungen gemessen werden. Die Folgen sind ein unnatürlicher Druck für die Spieler, ein ungeduldiges und somit auch unruhiges Umfeld. Es ist kein Wunder, dass die "Schnäppchen" Coutinho (10 Millionnen) und Sturridge (15 Millionen) die echten Volltreffer sind.
- Quantität statt Qualität: Besonders im Sommer 2013 hatte man ein Faible für spanische Spieler, die nicht unbedingt billig waren, aber sich als absolute Flops entpuppten: Luis Alberto (8 Millionen), Iago Aspas (9 Millionen) und Thiago Ilori (8,25 Millionen). Das Scouting und vor allem die Prüfung auf System- und Ligatauglichkeit muss deutlich verbessert werden.
Insgesamt wurden die Neuzugänge den 276 Millionen Euro, die Rodgers in den Kader steckte, nicht mal ansatzweise gerecht. Der Trainer und die Scouting-Abteilung müssen ein besseres Händchen beweisen, denn bei einem Transferminus von 134 Millionen Euro muss deutlich mehr erwartet werden.
Ständige Änderungen in der Formation
Teamchemie und Konstanz mussten bei den vielen personellen Veränderungen erst erarbeitet werden, das ist schwer genug. Brendan Rodgers belastete seinen Kader jedoch unnötig zusätzlich, indem er mit einer Vielzahl an taktischen Varianten experimentierte - und das von Spiel zu Spiel!
Am ersten Spieltag lief Liverpool in einem 4-2-3-1 auf, ehe man bereits am zweiten Spieltag bei Man City ein 4-1-4-1 favorisierte. Insgesamt liefen die Reds in 38 Spieltagen in neun verschiedenen Formationen auf. Nur am 3-4-3 hielt man länger als 3 Spieltage am Stück fest (7). Zufälligerweise war man auch genau zu zu dieser Zeit ungeschlagen.
In diesem Bereich ist vor allem Geduld und Ruhe gefordert.
Fazit
Brendan Rodgers ist ein kompetenter Trainer. Er ist weder der erhoffte Heilsbringer, für den ihn die Fans nach der unglaublichen Rückrunde 2013/2014 hielten, noch der einzige Sündenbock für die vergangene Saison.
Zu Beginn stellten wir uns die Frage, ob der FC Liverpool unter Rodgers endlich Kontinuität finden kann und wir stellen fest, dass das natürlich nicht nur in der Macht des Nordiren steht. Der Trainer hat definitiv Fehler gemacht, doch hat der Vorstand vielleicht mehr und vor allem schwerwiegendere Fehler zu verantwortent?
Nach neun Jahren ohne bedeutenden Titel herrscht beim Traditionsverein ein großer Erfolgsdruck, zu einer Zeit, in der eigentlich Geduld und Ruhe erforderlich ist. Als Rodgers übernahm, war klar, dass es einen Umbruch geben musste und der erfolgt nicht einfach über Nacht. Die Verpflichtungen, die der Club jedoch speziell 2014 auf dem Transfermarkt tätigte, zeigten ein Stück weit Panik.Wollte man nach der Vizemeisterschaft den Prozess beschleunigen und einige erforderliche Kapitel bei der Entwicklung zu einem Top-Team überspringen? Wollte man, anstatt eine Mannschaft reifen zu lassen, zu früh bei allen Wettbewerben eine bedeutende Rolle spielen? Dieses Gefühl bringt Rodgers nicht nur in eine extrem ungünstige Lage, es schafft auch einen ungeheuren Druck auf den gesamten Club!
Der Verein muss seine Erwartungen drosseln, einen natürlichen Entwicklungsprozess zulassen und seinem erarbeiteten Konzept vertrauen. Dabei darf man sich auch nicht von zwischenzeitlichen Hochs oder Tiefs und den Wechseldrohungen eines Suarez & Sterling beirren lassen.
Das Ziel muss sein, sich treu zu sein, etwas Nachhaltiges aufzubauen und dies wachsen und reifen zu lassen - denn in der aktuellen Situation hätte es sogar der große Bill Shankly extrem schwer gehabt, die so lang ersehnte Kontinuität zu finden.
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Der FC Liverpool im Überblick