Nick Kyrgios tut dem Tennissport gut
Florian Regelmann: Absolut ja. Ich kann mir nicht helfen, ich mag ihn. Rom war typisch Kyrgios. Erst haut er auf dem Centre Court Medvedev raus und spielt dabei phasenweise so stark, dass es ein Genuss ist. Und ein paar Tage später muss er auf einem Nebenplatz gegen Casper Ruud ran und tickt halt aus, das war fast abzusehen. Ich finde es mega-schade, dass der Typ nicht so gestrickt ist, dass er sein Potenzial ausschöpfen kann. Wenn er das tun würde, wäre er eines Tages ganz sicher die Nummer eins der Welt, aber wir müssen akzeptieren, dass das einfach nicht in seiner Natur liegt. Dafür bereitet er sich eben auf Rasen auf die French Open vor und sagt, dass er Sand eh kacke findet, weil da seine Basketball-Schuhe dreckig werden, mit denen er immer auf den Court läuft. Legendär. Und mittlerweile hat er ja sogar komplett seine Teilnahme abgesagt. Aber ernsthaft: Kyrgios ist im Grunde ein feiner Kerl. Wer das nicht glaubt, der muss nur seinen Buddy Andy Murray oder auch Roger Federer fragen. Und ganz ehrlich: Vielem, was Kyrgios so raushaut, zum Beispiel allem, was er über Djokovic gesagt hat, würde ich ja zu 100 Prozent zustimmen.
Felix Götz: Wir alle sehnen uns im Sport nach Typen. Aber man muss sich schon die Frage stellen, was denn einen Typen ausmacht? Sich permanent so aufzuführen wie Kyrgios, macht für mich definitiv keinen Typen aus! Ich finde Kyrgios' Verhalten ehrlich gesagt einfach nur peinlich. Und noch schlimmer: hochgradig unsportlich und respektlos gegenüber seinen Gegnern. Meine Theorie ist, dass er ein unfassbar schlechter Verlierer ist. Deshalb schenkt er in schöner Regelmäßigkeit Matches ab. So kann er im Nachhinein sagen, dass er ja eigentlich gar nicht verloren hätte, wenn er sich nur Mühe gegeben hätte. Wenn Kyrgios dann teilweise mit John McEnroe verglichen wird, verstehe ich die Welt nicht mehr - you cannot be serious! Big Mac hat sich natürlich auch teilweise wie ein Idiot benommen. Aber einfach so zu verlieren, wäre ihm niemals in den Sinn gekommen.
Lukas Zahrer: Kyrgios muss sich klar werden, dass er als Spitzensportler eine Vorbildfunktion hat. In Rom hat er mit seinem Ausraster eine rote Linie überschritten. Ich denke, dass ihm das bewusst ist, er kann aber nicht aus seiner eigenen Haut heraus. Man sollte nicht zu hart mit Kyrgios ins Gericht gehen, denn in ihm wohnen ganz offensichtlich mindestens zwei verschiedene Persönlichkeiten. Es wäre schön, wenn sich die ATP ein wenig um ihn kümmern könnte, was den psychologischen Zuspruch betrifft. Er braucht Freunde auf der Tour, sein Verhalten auf dem Platz ist ein Hilfeschrei nach Zuwendung.
Stefan Petri: Der gute Kyrgios tut dem Tennissport gut. Der mit dem unberechenbaren, knallharten Spiel auf dem Court und der "Ich sage, was ich denke!"-Attitüde abseits. Nadal ein schlechter Verlierer? Nole lechzt nach der Liebe des Publikums? Immer her damit! Aber der schlechte Kyrgios, der aus dem Nichts aufgibt, Gegner beleidigt und Stühle schmeißt? Das bringt dem Sport zwar eine nette Schlagzeile, wo sonst keine wäre. Gut ist es deshalb aber noch lange nicht. Noch hat er viele Befürworter, bei den Spielern und bei den Fans. Aber auch die werden sich den Zirkus irgendwann nicht mehr antun wollen. Die "Liebenswerter Chaot mit inneren Dämonen"-Nummer nutzt sich langsam ab - aber es wird ja nicht besser mit ihm, sondern nur noch schlimmer. Vielleicht wäre eine lange Sperre tatsächlich das Beste für ihn. Eine Strafe, die ihm wehtut. Und die ihn zwingt, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob er wirklich bereit ist, das zu investieren, was der Sport von ihm, von einem jeden Spieler abverlangt. Derzeit ist er das nicht.