SPOX: In Roland Garros stand ihm Wawrinka im Weg. Wie sehen Sie die Perspektiven von Stan the Man? Erwarten Sie, dass er zu seinen zwei Grand-Slam-Titeln noch weitere hinzufügt?
Bollettieri: Jemand, der so Tennis spielen kann wie Stan Wawrinka, ist in der Lage, noch mehr Grand Slams zu gewinnen. Das ist ja klar. Wenn ich an seine Rückhand-Winner aus dem Finale denke: Das sah aus wie im Training, wie er die Djokovic um die Ohren gehauen hat. Seit Wawrinka mit Magnus Norman zusammenarbeitet, hat er sich enorm verbessert. Allerdings weiß man bei ihm nie so ganz genau, was kommt. Wir dürfen nicht vergessen, dass es in den Monaten vor Paris eigentlich nicht so gut lief. Aber genau zur richtigen Zeit konnte er dann sein bestes Tennis abrufen.
SPOX: Wir haben noch gar nicht über Rafael Nadal gesprochen. Er scheint sich nach seiner sehr schwierigen Phase langsam wieder seinem alten Niveau anzunähern, aber als Wimbledon-Sieger hat ihn eigentlich keiner auf der Rechnung.
Bollettieri: Ich kann nur jedem sagen, der Rafael Nadal abschreiben will: Vorsicht! Er hatte eine schlechte Phase, in der er sich schlecht bewegte und vor allem extrem an Selbstvertrauen verlor. Das hat er ja selbst zugegeben. Wenn du dein Selbstvertrauen verlierst, dann tut das deinem Spiel natürlich sehr weh. Aber er ist gerade dabei, es sich wieder zu erarbeiten. Ich bin sehr gespannt, wie es in den nächsten Monaten für ihn weitergeht. Eines kann ich sagen: Ich bin sicher, dass er wieder gewinnen wird. Niemand fightet mehr als Nadal. Deshalb kann ich nur nochmal den Rat geben: Schreibe Nadal niemals ab, niemals.
SPOX: Wir müssen auch noch über den letzten Teil der Big Four sprechen: Andy Murray. Wenn man nach aktueller Form geht, spricht dieses Jahr ziemlich viel für einen zweiten Wimbledon-Erfolg von Murray. Wie sehen Sie seine Entwicklung?
Bollettieri: Andy Murray ist in der Form seines Lebens. Sein Coaching-Team mit Amelie Mauresmo an der Spitze hat einen tollen Job mit ihm gemacht. Murray war schon immer der beste Returnspieler auf der Tour. Niemand bringt den Ball so schnell zurück, das macht ihn so verdammt gut. Aber jetzt hat er sich weiter verbessert. Sein Spiel ist offensiver geworden, was ihn noch viel gefärlicher macht. Er steht näher an der Grundlinie und ist viel aggressiver geworden.
SPOX: Murray, Djokovic, Federer, Nadal, Wawrinka, vielleicht auch Kei Nishikori oder Milos Raonic: Was in der Liste an möglichen Champions aktuell fehlt, ist weiterhin ein US-Amerikaner. Jack Sock nähert sich der Elite und bei den French Open standen mit Tommy Paul und Taylor Harry Fritz jetzt zwei US-Boys im Junioren-Finale. Fritz ist sogar die Nummer eins in der Junioren-Weltrangliste, insgesamt vier US-Boys stehen da in den Top 10. Erleben wir in den nächsten Jahren die Wiedergeburt des US-Herrentennis?
Bollettieri: Ich bin noch etwas zögerlich. Es wäre mir noch zu früh, davon zu sprechen. Wir wissen nicht, ob wir hier zukünftige Superstars sehen und müssen jetzt erst einmal abwarten, wie sich diese Jungs in den nächsten Jahren entwickeln. Aber es ist natürlich ein ziemlich gutes Zeichen, dass wir jetzt bei den Junioren so gut dastehen und zwei Jungs im Finale der French Open hatten. Wir müssen den leichten Aufschwung jetzt weiter nutzen und alles dafür tun, dass die besten Athleten unseres Landes nicht alle Football, Baseball oder Basketball spielen, sondern auch wieder Tennis. Das ist ganz entscheidend.
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