Es war buchstäblich der letzte Strohhalm, nach dem Teamchef Carsten Arriens an diesem denkwürdigen Davis-Cup-Wochenende griff. Von seinen vier Spielern hatten sich drei aus gesundheitlichen Gründen für Sonntag abgemeldet, unglücklicherweise warteten die Zuschauer in der Frankfurter Ballsporthalle aber noch auf zwei Matches. Da kam Teamchef Arriens die vermeintlich rettende Idee: Er ließ Tommy Haas, Philipp Kohlschreiber und Florian Mayer Strohhalme ziehen, um zu ermitteln, wer trotz aller Wehwehchen raus musste.
Kohlschreiber soll es getroffen haben, und das, obwohl die im Davis Cup gebräuchlichen harten Bälle seiner ohnehin schon lädierten Schulter im ersten Einzel und im Doppel nicht gerade gutgetan hatten. Nach sorgfältigem Abwägen von Für und Wider traf der Verlierer deshalb eine folgenschwere Entscheidung: Er hatte zwar den Kürzeren gezogen, legte aber am Sonntagmittag ebenso wie Haas und der am Freitag im Einzel gegen Feliciano Lopez schwer gestürzte Mayer ein Attest vor, das ihn definitiv als spieluntauglich auswies. Die Reaktion der Zuschauer war eindeutig.
Tennis-Nation enttäuscht
Für den veranstaltenden DTB könnte das Frankfurter Fiasko Konsequenzen haben. Der Weltverband ITF, das bestätigte dessen Präsident Francesco Ricci-Bitti dem "SID" auf Anfrage, hat Ermittlungen eingeleitet und bereits den Oberschiedsrichter offiziell befragt. "Das war eine sehr unglückliche Situation", sagte Ricci-Bitti: "Die Spieler haben mit dieser Aktion eine ganze Tennis-Nation enttäuscht. Die eigenen Zuschauer sollte man mit Respekt behandeln."
Und auch innerhalb des DTB will man die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen, einige der mächtigen Landesverbände erwarten eine schnelle Reaktion von Präsident Karl Altenburg. In einem dem SID vorliegenden Schreiben fordert beispielsweise der württembergische Verband die sofortige Entlassung von Arriens, den Verzicht auf Haas und Kohlschreiber in künftigen Davis-Cup-Begegnungen und eine finanzielle Entschädigung der Frankfurter Zuschauer.
Arriens gestützt
Altenburg weist diese Forderungen weit von sich. "Carsten Arriens hat in Frankfurt einen tollen Job gemacht, er hat auch alles versucht, um die Spieler umzustimmen", sagte der DTB-Chef dem "SID": "Man muss sich in diesem Zusammenhang aber einfach auch mal fragen, ob diese Spieler immer so gut beraten sind."Ein Seitenhieb auf Kohlschreibers Manager Stephan Fehske und Haas-Berater Edwin Weindorfer, die dem Vernehmen nach maßgeblich am Verzicht ihrer Spieler beteiligt waren. "Stand heute", so Altenburg weiter, "gibt es jedenfalls keinen Grund, warum Arriens im Viertelfinale in Frankreich nicht auf der Bank sitzen sollte."
Kiefer fordert Neuanfang
Der DTB-Präsident sieht aber auch einen Teil der Schuld in seinem eigenen Verband. "Unsere sportliche Leitung hätte für so eine Situation lange vorher einen Plan B in der Schublade haben müssen", sagte Altenburg: "Irgendetwas, das man den Zuschauern hätte anbieten können." Als man letztlich kurz vor dem geplanten Beginn der Veranstaltung bei den Spaniern anfragte, ob man nicht einen Schaukampf zwischen Andre Begemann, dem Sparringspartner der deutschen Mannschaft, und Feliciano Lopez arrangieren könne, winkte Spaniens Teamchef Carlos Moya ab: Viel zu kurzfristig.
Nicolas Kiefer, einst die Nummer vier der Welt und heute Tennisexperte bei Sat.1, hatte schon am Montag den Rücktritt von Arriens und einen Neuanfang mit jungen Spielern gefordert. Zu der Sache mit dem Strohhalm wollte sich Kiefer gar nicht mehr äußern: "Am Ende haben doch alle den Kürzeren gezogen."