Motorsport - Walter Röhrl im Interview: "Scheiß, auf den ich keinen Wert lege"

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Sie sollten ursprünglich den Steinmetz-Betrieb Ihres Vaters übernehmen. Nachdem er sich von Ihrer Mutter trennte, machten Sie jedoch eine Ausbildung beim Ordinariat Regensburg. Nach drei Jahren im Innendienst wurden sie als Sekretär plötzlich Fahrer eines Verwaltungsbeamten der bayrischen Bischöfe. Wie ist der mit Ihrem Fahrstil zurechtgekommen?

Röhrl: Der Mann war über 60 und hat sich nie beschwert. Er fragte nur, ob wir es wieder eilig hätten oder warum uns die Entgegenkommenden anblinkten. "Den hab ich gekannt, Herr Doktor", war meine Antwort. Im Büro erklärte er: "Der Walter kennt jeden Zweiten in Bayern." (lacht) Es gab aber einen Grund, warum ich so gefahren bin: Er hat sich mit beiden Händen festgehalten. So konnte er nicht rauchen. Also bin ich volle Maschine gefahren, ab dem 7. März 1965 im Jahr 120.000 Kilometer. Das war ein Glücksfall für meinen Perfektionswahn. Wenn ich in der Kurve den Einschlag ändern musste, habe ich mich unheimlich geärgert.

Wie kamen Sie dann zum Motorsport?

Röhrl: Ich bin mit Herbert Marecek an den Wochenenden gemeinsam zu unseren Skirennen gefahren. "So wie du Auto fährst, musst du Rallyefahrer werden", hat er gesagt. Ich habe ihn für einen Spinner gehalten. Wer sollte das bezahlen? Er hat die Autos dann besorgt, ich bin in drei Jahren mit ihm als Beifahrer fünf Rallyes gefahren. Nach jeder hat er den Fachzeitungen geschrieben: "Mein Freund ist der beste Autofahrer der Welt." Ich dachte, er sei nicht ganz dicht. Ich bin schon rot geworden, wenn er mir gesagt hat, dass er das schreibt.

Der Plan ging aber auf. Sie bekamen einen Werksfahrervertrag.

Röhrl: Am 23. Dezember 1970 kam ein Telegramm bei ihm an: "Alles klar. Zur Vertragsunterschrift im Januar. Gruß, Ford. Köln, Deutschland." Als ich im Auto saß, habe ich versucht, Dinge vom Skifahren umzusetzen. Wir sind im Ford Capri im Schnee mit 40 Sekunden Vorsprung Bestzeit gefahren. Ich habe nicht erkannt, dass das schnell ist. Dieses Glück muss man haben: Dass einen der Mensch entdeckt und jahrelang pusht, der dein einziges Talent wahrnimmt. Er hat nicht locker gelassen. Ich bin froh, dass es ihn gibt.

Der Durchbruch gelang bei der Olympia-Rallye 1972 von Kiel nach München. Sie schieden zwar kurz vor dem Ziel aus, waren aber trotzdem bekannt, weil Sie lange führten.

Röhrl: Ich war ein Niemand, völlig unbekannt. In Kiel war die gesamte Weltelite am Start. Ich bin mit meinem Capri einfach losgefahren und nach den ersten Prüfungen haben sie meine Bestzeiten gestrichen. "Zeitfehler." Erst nach sieben Prüfungen hat ein Journalist nachgeforscht. Irgendjemand sagte ihm: "Das ist ein Verrückter aus dem Bayrischen Wald. Der fährt wirklich so schnell." Danach war ich in aller Munde und habe bei Opel unterschrieben. 1973 hat mir die Benzinkrise den EM-Titel gekostet, weil die letzten Rallyes ausgefallen sind. 1974 haben wir den Titel mit der Maximalpunktzahl geholt.

Zurück zur Saison 1980 mit Fiat. Schon vor der Nacht von Arganil hatten Sie sich Ihren Traum erfüllt.

Röhrl: Der Höhepunkt meiner Laufbahn! Mein Lebensziel war, einmal die Rally Monte Carlo zu gewinnen. Für mich war das wie Wimbledon beim Tennis - der Inbegriff des Sports. Ich wusste: Wenn ich da gewinne, darf ich mir einbilden, dass ich Auto fahren kann. Das Schlimme: Ich habe am Jahresende rumdiskutiert, dass ich aufhören will. Ich wollte niemand sein, der für Werbung benutzt wird.

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Die Vorbereitung auf die Monte Carlo war nicht optimal. Sie haben Testfahrten verweigert.

Röhrl: Wir waren fünf Fiats. Am 22. Dezember sollten wir neue Reifen von Pirelli testen und dann über Weihnachten nach Hause fliegen. Sie wurden aber erst einen Tag später fertig. Wir wollten alle abreisen. Der Teamleiter ist angereist und beim Abendessen sind alle umgefallen - außer mir. Ich habe gesagt: "Ob ich die Reifen kenne oder nicht, die Wichser kriegen von mir alle zehn Minuten aufgedrückt!" Ich habe die Rallye mit zehn Minuten Vorsprung gewonnen (lacht).

Plötzlich fieberte eine ganze Nation mit Ihnen mit.

Röhrl: Sobald ein Lokaler in der Weltspitze rumspringt, weckt das Interesse. Das Auto war das Goldene Kalb der Nation. Plötzlich war Deutschland Rallyeland. 1985 wurde der Gegenwind dann stark, die Rallyes sollten sterben, in dem man keine Genehmigungen mehr erteilt hat. Das ist der Grund, warum wir bis heute im Niemandsland leben. Es gab zehn Jahre keinen Nachwuchs, weil keiner fahren durfte. Mir hat das den Abschied erleichtert: Ich mache ungern Dinge, die andere nicht wollen. Das belastet mich.

Nach der Saison 1980 hatten Sie die Qual der Wahl: Es gab unter anderem Angebote von Audi und Mercedes. Sie haben sich für die Stuttgarter entschieden, sind aber nie für sie gefahren.

Röhrl: Sie hatten einen Fünfjahresplan, 1983 sollte zum 100. Firmenjubiläum die WM gewonnen werden. Bei Testfahrten im Dezember hatten wir die Genehmigung der Polizei, die Straße zu sperren. Ein LKW-Fahrer hat den Posten überredet ihn durchzulassen. Ich bin mit 180 km/h entgegengekommen. Das Problem: Ein TV-Reporter hat bei meinem Schwiegervater den Ort herausgefunden und zehn Minuten nach dem Unfall gefilmt. Im Bericht hieß es, Mercedes würde auf nicht gesperrten Straßen testen. Der Vorstand hat deshalb die Sportabteilung geschlossen.

Sie waren plötzlich arbeitslos.

Röhrl: Es hat acht Tage gedauert, bis mich der Entwicklungsvorstand von Porsche anrief und sagte: "Jetzt können wir Sie uns leisten. Das Geld bekommen Sie von Mercedes und das Auto von uns." So bin ich 1981 für Porsche gefahren, danach ging ich wieder zu Opel - ohne den Gedanken an die Weltmeisterschaft. Ich habe wieder die Monte Carlo gewonnen und bin in einen Strudel hineingekommen. Michelle Mouton lag hinter mir. "Das ist eine Katastrophe, wenn ich Zweiter hinter einem Mädel werde", habe ich mir gedacht. Diplomatisch wie ich bin, habe ich das laut gesagt. Deshalb war es ein sehr stressiges Jahr.