"Von vorne bis hinten hintergangen"

Von Interview: Frederick Müller
Fabienne Kohlmann will als saubere Athletin Zeichen setzen
© getty
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SPOX: Nach der WM steht der nächste Traum schon fast vor der Tür. Die IAAF-Norm von 2:01,00 Minuten würden Sie mit einer Bestzeit bei der WM locker erfüllen. Ist Olympia schon ein Thema?

Kohlmann: Olympia spielt auf jeden Fall schon eine Rolle. Meine Zeiten und meine aktuelle Form machen das auf einmal greifbar. Und das gibt mir wahnsinnig viel Selbstvertrauen. Natürlich kann in einem Jahr viel passieren. Aber es tut einfach so gut, das schon einmal gelaufen zu sein und zu wissen, dass man einfach nur das abrufen muss, was man schon einmal erreicht hat.

SPOX: Olympia ist auch deshalb so wichtig, weil man als Leichtathletin eigentlich nur bei Spielen so richtig in den Fokus rücken kann. Alles steht im Schatten des Fußballs. Würden Sie sich mehr Aufmerksamkeit für Ihren Sport wünschen?

Kohlmann: Ja, auf jeden Fall. Mit dem Fußball ist es wie mit der Henne und dem Ei. Wird so viel Fußball gezeigt, weil die Leute das schauen wollen oder schauen die Leute so viel Fußball, weil so viel gezeigt wird? Was definitiv nicht zu leugnen ist, ist das wahnsinnige Ungleichgewicht zwischen Fußball und sämtlichen anderen Sportarten in Deutschland. Man könnte jetzt sagen, die Leichtathletik soll interessanter werden. Aber vielleicht sollte man den Sport nicht direkt ändern, sondern vorher einfach zugänglicher machen, um überhaupt eine Nachfrage zu generieren. Die Frage ist, ob der Zuschauer Leichtathletik nicht sehen will oder ob er es einfach nicht gut genug kennt, um es zu wollen.

SPOX: Wird Ihre persönliche Leistung genug gewürdigt? Glauben Sie, die Leute wissen, was es überhaupt bedeutet, 800 Meter unter zwei Minuten zu laufen?

Kohlmann: Die meisten können schon grob etwas damit anfangen. Spätestens, wenn ich sage, dass 800 Meter zwei Stadionrunden sind (lacht). Ich erfahre schon Würdigung für das, was ich tue. Allerdings bin ich mir auch bewusst, dass sich das in einem Mikrokosmos abspielt, quasi einer Leichtathletik-Kommune. Wenn ich auf die U-Bahn warte, dann sehe ich keine Leinwand, auf der meine letzte Zeit steht, sondern wer das letzte Tor geschossen hat. Dann denke ich mir manchmal, ob manche Medien sich nicht einfach komplett als reine Fußballberichterstatter bezeichnen sollten.

SPOX: In der Weltbestenliste stehen Sie mit Ihrer Zeit aktuell auf Rang fünf. Sehen Sie sich auf Dauer in der Weltspitze?

Kohlmann: Am liebsten will ich natürlich in der Weltspitze bleiben und mich gerne auch weiter nach oben arbeiten. Aber wenn mich die letzten Jahre etwas gelehrt haben, dann dass ich nichts für selbstverständlich nehmen sollte. Es läuft derzeit, aber das wird auch wieder enden, auch wenn ich das nicht will.

SPOX: Wenn wir über das Thema Weltspitze in der Leichtathletik reden, können wir leider auch nicht vermeiden, über Doping zu sprechen. Wie schätzen Sie die aktuellen Entwicklungen ein?

Kohlmann: Als ich von den neuen Erkenntnissen erfuhr, war ich sehr erschüttert, irgendwo auch genervt und frustriert. Aber ich finde es wahnsinnig wichtig, dass solche Recherchen betrieben werden und will nicht, dass das aufhört, nur weil sich ein paar Leute dadurch auf den Schlips getreten fühlen. Für mich kommen diese Ergebnisse nicht unbedingt überraschend. Bis jetzt ist aber hauptsächlich von auffälligen Blutwerten die Rede und nicht von positiven Tests. Was im System läuft da schief, dass solche Auffälligkeiten nicht viel stärker beobachtet werden und dementsprechend gehandelt wird. Offenbar weiß die IAAF ja auch Bescheid, aber warum passiert dann trotzdem so wenig?

SPOX: Fühlt man sich als Athlet betrogen?

Kohlmann: Ich komme mir manchmal als Läuferin vor, als werde ich von vorne bis hinten hintergangen. Man sagt immer, dass man besonders im Sport so viel Fairness beobachten kann und dass Fairness gelebt wird. Das ist Quatsch. Ich wünsche mir mehr Fairness und kann meinen Teil als saubere Athletin beitragen. Aber es gibt andere, die sich dazu entscheiden, nachzuhelfen. Ich kann nicht verstehen, wie man es mit sich selbst vereinbaren kann, jubelnd über die Ziellinie zu laufen, wenn man doch selbst ganz genau weiß, dass die gelaufene Zeit nicht echt ist. Das geht in meinen Kopf nicht rein.

SPOX: IAAF-Präsidentschafts-Kandidat Sebastian Coe reagierte erzürnt und nannte die Recherchen eine "Kriegserklärung" an die Leichtathletik. Wie bewerten Sie das Verhalten des Weltverbandes?

Kohlmann: Auf mich macht der Verband den Eindruck, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Ich setze schon noch voraus, dass auf Seiten des Verbands die Motivation, Doping zu unterbinden, da ist. Aber kritische Nachfragen so abzuschmettern, bringt noch viel mehr Argwohn. Ich wünsche mir, der Verband würde reflektiert damit umgehen. Wenn sie sich wirklich nichts vorzuwerfen haben, dann brauchen sie auch nichts zu verbergen und können die Karten offen auf den Tisch legen.

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