"Als Kind wollte ich sterben"

Von Interview: Bärbel Mees
Edison Miranda (r.) kämpfte im Mai 2009 gegen Andre Ward
© Getty

Im Januar sollte der kolumbianische Boxer Edison Miranda gegen Robert Stieglitz in den Ring steigen, doch krankheitsbedingt musste er den Kampf absagen. Nun kämpft Miranda am 17. April gegen Lucian Bute, IBF-Weltmeister im Super-Mittelgewicht. Im SPOX-Interview spricht der Pantera über seine traurige Kindheit, einer Jugend auf der Straße und über seine Bestimmung zu Boxen.

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SPOX: Ihre Mutter hat Sie nach der Geburt verlassen. Sie mussten sehr schnell erwachsen werden und sehr früh Geld verdienen. Woher nahmen Sie die Kraft, das durchzustehen?

Edison Miranda: Ich habe immer an Gott geglaubt und war mir sicher, dass er einen Plan für mich hat. Als ich jung war, gab es Zeiten, in denen ich sterben wollte. Wenn es Gott nicht gäbe, wäre ich schon vor langer Zeit irgendwo auf den Straßen gestorben. Ich fühlte mich wertlos und dachte, ich hätte keinen Grund mehr zu leben. Aber jedes Mal bekam ich ein Zeichen, dass es für mich eine Bestimmung in dieser Welt gibt.

SPOX: Mit neun Jahren sind Sie losgetrampt, um Ihre Mutter zu finden. Sie haben sie gefunden - und wurden wieder verstoßen. Waren diese Erfahrungen wichtig für Ihre Boxkarriere?

Miranda: Boxen ist mir immer sehr leicht gefallen. Ich musste mein ganzes Leben so viele Hürden überwinden und Herausforderungen annehmen. Im Gegensatz dazu ist es ein Leichtes, in den Ring zu steigen und den härtesten Konkurrenten gegenüberzustehen.

SPOX: Mit 15 Jahren haben Sie mit dem Boxen begonnen. Warum?

Miranda: Als ich aufwuchs, wusste ich nichts über Boxen. Eines Nachts aber habe ich vom Boxen geträumt und den Traum überhaupt nicht verstanden. Aber am nächsten Tag sah ich zufällig einen Boxklub. Also bin ich einfach hineingegangen und habe dem Mann dort gesagt, dass ich Boxer werden möchte. Er hat mich ausgelacht und gemeint, ich wäre zu klein. Aber ich sagte ihm: "Ich werde dir beweisen, dass ich der Beste werden kann." Er ließ mich also in der Halle schlafen und jeden Tag trainieren.

SPOX: Sie sind mittlerweile ein berühmter Boxer. Kommt es Ihnen manchmal wie ein Traum vor im Vergleich zu Ihrem früheren Leben? Damals schliefen Sie auf der Straße und wussten nicht, woher Sie etwas zu Essen bekommen.

Miranda: Es fühlt sich nicht an wie ein Traum, denn ich weiß, dass es meine Bestimmung ist. Manchmal, wenn ich daran zurückdenke, woher ich komme, und wo ich jetzt stehe, dann macht es mich stolz. Ich möchte, dass die Kinder wissen, dass jeder eine Bestimmung im Leben hat und nicht aufgeben sollte. Vertraut darauf!

SPOX: Sie sind sehr schnell erfolgreich geworden. Was bedeutet Boxen für Sie?

Miranda: Boxen hat mir das Leben gerettet und mir einen Sinn gegeben. Gott wollte es so. Mein Schicksal ist noch nicht erfüllt und ich werde Weltmeister werden.

SPOX: Was sind Ihre größten Ziele im Leben und im Ring?

Miranda: In meinen größten Kämpfen habe ich meine Fans enttäuscht, wie bei den beiden Niederlagen gegen Arthur Abraham. Ich will sie aber stolz machen und Weltmeister werden. Ich habe aus den Fehlern gelernt, die ich im Ring und auch außerhalb gemacht habe und bin stärker und cleverer geworden. Wenn ich viel Geld verdient und meine Karriere beendet habe, möchte ich zurück nach Kolumbien gehen und den Kindern helfen, denen es so geht wie mir früher.

SPOX: Inzwischen sind Sie in Kolumbien ein Vorbild für viele Kinder in ähnlichen Verhältnissen.

Miranda: Ich liebe Kinder, und ich versuche, sie immer zu ermutigen. Allerdings empfehle ich ihnen nicht, sich meine Kämpfe anzuschauen. Manchmal sind die Fernseh-Übertragungen meiner Kämpfe für Kinder nicht erlaubt - aufgrund der Gewalt. Also sagen Sie bitte den Kindern, sie sollen früh ins Bett gehen. Denn das ist nicht für ihre Augen bestimmt (lacht).

SPOX: Ursprünglich sollten Sie im Januar gegen den deutschen WBO-Weltmeister Robert Stieglitz kämpfen. Wie sehr hat es Sie verärgert, dass Sie den Kampf krankheitsbedingt absagen mussten?

Miranda: Es hat mir das Herz gebrochen. Ich habe so hart trainiert und habe mich richtig gut gefühlt. Es war nur noch eine Woche, bis wir nach Deutschland geflogen wären und plötzlich bekam ich eine Erkältung, die nicht mehr weggehen wollte. Ich habe versucht, trotzdem zu trainieren, aber das hat überhaupt nicht geklappt. Es war eine schwere Entscheidung, aber ich wusste, was ich zu tun hatte.

SPOX: Sie mussten die Vorbereitung komplett über den Haufen schmeißen, denn Ihr neuer Gegner ist der Weltklasse-Boxer Lucian Bute. Wie schwer war die Umstellung?

Miranda: Ach, so schwer war das gar nicht. Natürlich hat sich meine Taktik geändert und ich brauchte andere Sparringspartner. Aber es war enorm hilfreich, dass ich aufgrund meines Trainings bereits in richtig guter Verfassung war. Gott hat immer einen Plan für jeden Menschen, und so sollte es bei mir eben sein.

SPOX: Was macht Bute so gefährlich?

Miranda: Er ist ein großartiger und vielseitiger Kämpfer. Seine Beinarbeit ist sehr gut, weshalb er unheimlich schnell ist. Mein Trainer Joe Goossen und ich haben uns sehr sorgfältig auf seine Stärken und Schwächen vorbereitet. Es wird ein schwerer Kampf, aber es ist nicht mein erster. Doch diesmal wird das Ergebnis ein anderes sein.

SPOX: Bute ist ein Rechtsausleger. Ein Problem?

Miranda: Überhaupt nicht. Anfangs war es zwar etwas seltsam, denn ich habe erst einmal in meiner Karriere einem Rechtsausleger gegenüber gestanden. Joe aber hat hart mit mir gearbeitet und jetzt fühle ich mich sehr sicher. Er hat mir einige Vorteile aufgezeigt, die ich versuchen werde, gegen Bute zu nutzen. Ich bin bereit!

SPOX: Bute ist ungeschlagen und hat eine etwas bessere K.o.-Quote als Sie. Macht Sie das nervös?

Miranda: (lacht) Warum sollte ich nervös sein? Das ist mein Sport. Ich steige in den Ring, um zu töten oder getötet zu werden. Wenn du dein Herz in der Umkleide vergisst, schaffst du es noch nicht mal bis zum Ring. Ich bin bereit, egal was Bute vorhat. Ich hoffe, er ist auch bereit für mich.

SPOX: Sie können den IBF-Titel gewinnen. Was ist Ihre Strategie für den Kampf?

Miranda: Wir haben monatelang sehr hart gearbeitet. Ich bin gekommen, um zu kämpfen, und genau das werde ich auch tun. Wenn Bute seinen ersten Fehler macht, wird die Welt sehen, was meine Strategie ist.

SPOX: Im Moment spricht jeder über das Super-Six-Turnier. Haben Sie den Kampf zwischen Abraham und Andre Dirrell verfolgt?

Miranda: Natürlich. Dirrell war der richtige Kämpfertyp, um Abraham zu besiegen. Respekt, dass er den perfekten Kampf geliefert hat. Aber ich habe immer gesagt, dass Abraham und Andre Ward es ins Finale schaffen, das Ward gewinnen wird. Er ist ein großer Boxer und der beste Athlet, den ich je gesehen habe. Gegen ihn hatte ich vor einem Jahr meinen schwersten Kampf, den ich auch verloren habe.

SPOX: Welcher Kampf steht bei Ihnen nach Bute an?

Miranda: Ich plane nur bis Bute und nicht weiter. Ich konzentriere mich voll und ganz auf ihn. Nach meinem Sieg werde ich schauen, welche Optionen ich habe.

SPOX: Wann kommen Sie wieder nach Deutschland? Mit Abraham haben Sie noch eine Rechnung offen...

Miranda: Ich komme liebend gerne wieder nach Deutschland und kämpfe. Ich möchte noch immer gegen Robert Stieglitz kämpfen und werde mich notfalls in seinen Hinterhof stellen, damit er nicht um mich herumkommt. Aber es ist egal, gegen wen oder wo ich als Nächstes kämpfe. Nach Bute bin ich für jeden bereit.

SPOX: Deutschland spielt eine wichtige Rolle in Ihrer Karriere. Wie gefällt es Ihnen hier?

Miranda: Das letzte Mal, als ich in Deutschland ein paar Tage verbracht habe, waren die Leute sehr freundlich. Ich kann gar nicht sagen, wie viele Menschen mich am Tag nach meinem Kampf gegen Arthur auf der Straße angesprochen und mich Champion genannt haben. Alles an Deutschland ist fantastisch. Ich bekomme Emails von Fans aus Deutschland und ganz Europa, die mir für meine Fights viel Glück wünschen. Und ich verspreche euch allen: Ich erfülle euch eure Wünsche am 17. April!

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