Der möglicherweise wichtigste Schritt wurde eigentlich schon im Jahr 2022 gegangen: Bayer Leverkusen war mutig genug, um einen Weltstar als Spieler wie Xabi Alonso ohne größere Trainer-Erfahrung zum Cheftrainer in der Bundesliga zu machen. Alonso coachte davor nur für zweite Mannschaft von Real Sociedad San Sebastian sowie in der Jugend von Real Madrid.
Doch welche Momente haben die Saison 2023/24 für die Werkself so erfolgreich gemacht? SPOX zeigt es dir.
7. Juli 2023: Granit Xhaka
Der erste Streich von Bayer 04 Leverkusen war kein Spiel, sondern ein Transfer. Die Verpflichtung von Granit Xhaka erwies sich nicht nur im Nachhinein als echter Volltreffer, sie war schon zum Zeitpunkt der Verkündung ein ganz wichtiger Transfer für Xabi Alonso, der seinen verlängerten Arm für die Schaltzentrale gefunden hatte. Das präferierte Kurzpassspiel unter hohem Druck in engen Räumen war in der Saison 2022/23 keine Stärke von Exequiel Palacios und besonders nicht von Robert Andrich. Xhaka ist für diese Rolle wie gemacht und ist in jeder Spielsituation anspielbar - damit ist er nicht nur individuell ein Upgrade, sondern macht auch seine Mitspieler um Welten besser.
Granit Xhaka ist der Meister des Drucks in dieser Bundesliga-Saison - er behauptet sich laut offiziellen Bundesliga-Statistiken in 78 Prozent der Drucksituationen, Bestwert der Liga. Exequiel Palacios (63 Prozent) und Robert Andrich (62 Prozent) lagen in der Saison 2022/23 mit weitem Abstand dahinter. Palacios' Werte stiegen dank Anspielstation Xhaka auf starke 71 Prozent in der laufenden Saison. Die Verpflichtung von Xhaka war ein Coup, der ein wichtiger Schlüssel für den Saisonerfolg wurde.
19. August 2023: Dominanter Saisonstart gegen Leipzig
Eine (bis jetzt) ungeschlagene Saison funktioniert offensichtlich nur, wenn von Beginn an alles funktioniert. Obwohl Xabi Alonso sich dafür entschied, im wichtigen Spiel am 1. Spieltag gegen Leipzig mit Alejandro Grimaldo, Granit Xhaka, Jonas Hofmann und Victor Boniface gleich vier Neuzugänge in die Startelf zu stellen, lief es sofort wie am Schnürchen. Jeremie Frimpong staubte in der 24. Minute einen Abschluss von Boniface ab, der sofort als umtriebiger Stoßstürmer funktionierte.
Die Ecken von Hofmann zeigten sich elf Minuten später als gefährlich, eine Standard-Flanke fand den Kopf von Abwehrchef Jonathan Tah, der zum 2:0 einnickte. Als Leipzig dann drohte, zurückzukommen, war es Florian Wirtz, der den Grundstein für eine herausragende Saison legte und zum 3:1 traf. Am Ende klingt das 3:2 deutlich knapper, als das Spiel sich darstellte. Die Partie war eigentlich nie in Gefahr.
15. September 2023: Leverkusen kämpft auf einem Niveau mit den Bayern
Der vierte Spieltag hielt direkt das Spitzenspiel FC Bayern München gegen Bayer 04 Leverkusen bereit - in der Allianz Arena. Doch die Werkself zeigte sich als starker Gegner und erkämpfte sich ein Last-Minute-2:2. Dazu zeichneten sich zwei Muster ab, die später noch wichtig werden sollten:
- Torjäger Alejandro Grimaldo: Neun Bundesliga-Tor (elf Saisontore) sind für einen nominellen Linksverteidiger etwas ganz besonderes. Gegen den FCB traf Grimaldo zum ersten Mal, zeigte dabei seine enorme Qualität bei direkten Freistößen. Anders als Bayern, Stuttgart und Leipzig hat die Werkself keinen "Top-Torjäger" im Kader - trotz langer Ausfallzeit im Jahr 2024 ist Victor Boniface in der Bundesliga mit zehn Treffern Leverkusens bester Mann vor dem Tor.
- Resilienz: In der vierten Minute der Nachspielzeit schnappte sich Exequiel Palacios den Ball zum Elfmeter und behielt die Nerven, glich spät noch aus. Zweimal kam Leverkusen in dieser Partie nach einem Rückstand wieder - ein Trend für die Saison.
10. Dezember 2023: Comeback zur "finalen" Tabellenführung
Die Werkself hatte am 13. Spieltag nach einem umkämpften Unentschieden gegen Borussia Dortmund die Tabellenführung an den FC Bayern verloren, mussten zum Spitzenspiel gegen das Überraschungs VfB Stuttgart. Die Schwaben machten Leverkusen vor allem im ersten Durchgang das Leben schwer, gingen in der 40. Minute schließlich in Führung. Doch erneut zeigte die Werkself Resilienz. Die Halbzeit-Anpassungen von Xabi Alonso saßen und mit einem schnellen Ausgleichstor stellte Bayer 04 wieder auf Unentschieden.
Weil der FCB sich am Vortag mit 1:5 in Frankfurt abschießen lassen hat, reichte das Unentschieden gegen den VfB zur Rückeroberung der Tabellenführung. Am 15. Spieltag besiegte die Werkself dann eben diese Frankfurter Eintracht, sicherte den Spitzenplatz - und gab ihn bis heute nicht wieder her. Seit der 47. Minute gegen Stuttgart ist die Werkself durchgehend auf Meisterkurs.
13. & 20. Januar 2024: Afrika-Cup und "Laterkusen"
Mit dem Jahresbeginn 2024 sah sich Xabi Alonso vor einer riesigen Herausforderung, weil ihm mehrere Stammspieler, darunter Star-Stürmer Victor Boniface, wegen des Afrika Cup of Nations nicht zur Verfügung standen. Beim Kontinentalturnier Afrikas wirkten neben dem Nigerianer auch die beiden Stamm-Verteidiger Edmond Tapsoba und Odilon Kossounou sowie Stürmer Amine Adli mit. Patrik Schick, der als Boniface-Vertreter bei der Generalprobe am 16. Spieltag noch mit einem lupenreinen Hattrick glänzte, fand im Januar nicht in den Tritt - und die Werkself tat sich gegen formstarke Augsburg (17. Spieltag, 13. Januar) und im Leipzig-Rückspiel (18. Spietag, 20. Januar) ungewöhnlich schwer.
Doch dann kam wieder das Thema Resilienz ins Spiel - und Tore in der Nachspielzeit. Wie schon am 4. Spieltag gegen die Bayern traf Palacios gegen Augsburg in der vierten Minute der Nachspielzeit, diesmal zum 1:0-Auswärtssieg. Gegen Leipzig war es dann Piero Hincapié - in der Hinrunde noch hinter Tapsoba nur Ersatzmann, der in der ersten Minute der Nachspielzeit zum 3:2-Sieg netzte. In Anlehnung an den Begriff "Neverkusen" (das englische Pendant zu "Vizekusen") wurde der Spitzname "Laterkusen" geboren.
6. Februar 2024: Der Triple-Traum lebt
Die Werkself bekam den Titel "Vizekusen" unter vor allem für die Saison 2001/02, als Bayer Leverkusen gleich in allen drei Wettbewerben im Finale versagte (in der Bundesliga im Saisonfinale am 33. Spieltag) und sowohl Bundesliga als auch DFB-Pokal und Champions League als zweiter Sieger abschloss. Dass die Werkself über alle Wettbewerbe noch unbesiegt ist, zeigt: Dieses Jahr ist nicht nur das Meisterschaft-Trauma zu überwinden, auch das Triple-Vize-Trauma könnte in Angriff genommen werden. Zwar spielt Bayer 04 nur in der Europa League statt der Königsklasse, doch auch das "kleine Triple" wäre wohl genug, um diesen Erfolg ausgiebig zu feiern.
Der wohl wichtigste Schritt: Nach dem 1:1 im Hinrunden-Ligaspiel traf Leverkusen im Viertelfinale erneut auf den VfB Stuttgart. Die anderen Favoriten FC Bayern (gegen Saarbrücken), BVB (gegen Stuttgart) und Leipzig (gegen Wolfsburg) waren bereits ausgeschieden. Die Werkself kämpfte sich zweimal nach Rückstand gegen Stuttgart wieder zurück und traf kurz vor Schluss sogar zum 3:2-Sieg, diesmal noch knapp in der regulären Spielzeit (90.). Weil Gladbach sich später im Nachholspiel auf einem wässrigen Platz in Saarbrücken wie zuvor Bayern und Frankfurt blamierte, war Leverkusen das einzige verbleibende Bundesliga-Team im Halbfinale. Dort machte Xabi Alonsos Truppe mit Düsseldorf kurzen Prozess und steht im Pokalfinale gegen Zweitliga-Abstiegskämpfer Kaiserslautern unter Friedhelm Funkel.
10. Februar 2024: Bayer Leverkusens Machtdemonstration gegen den FC Bayern
War die Mannschaft von Xabi Alonso in der Hinrunde noch auf einem Level mit den Bayern und musste sich das 2:2 erkämpfen, lief es im Rückspiel ganz anders. Xabi Alonso überlegte sich für die Bayern mit einem 4-2-3-1 etwas ganz besonderes, bei dem FCB-Leihgabe Josip Stanisic überraschend als Rechtsverteidiger startete und Alejandro Grimaldo ins Mittelfeld vorrückte und sich nur gegen den Ball in eine Fünferkette fallen lies.
Tuchels Idee, Bayer Leverkusen mit einem 3-4-2-1 zu überrumpeln, floppte komplett. Die neu formierte Dreierkette funktionierte nicht, Winterneuzugang Sacha Boey als Linksverteidiger zu starten ging total schief und so war es ausgerechnet Stanisic, der von Boey unbemerkt in den Strafraum sprintete und die Torparty eröffnete. 3:0 schickte Alonso Tuchel am Ende nach Hause. Eine klare Machtdemonstration und die Vorentscheidung. Denn mit einem Sieg hätten die Bayern, zu diesem Zeitpunkt zwei Punkte hinter Leverkusen, die Tabellenführung zurückerobern können. Von diesem Schock erholte sich der FCB nicht, verlor in der Folgewoche 2:3 gegen Bochum und Leverkusen setzte sich mit dann acht Punkten Vorsprung endgültig ab.
7. & 14. März 2024: Nervenflattern im Europa-League-Achtelfinale
Das Los bescherte Xabi Alonso keinen tollen Achtelfinal-Gegner in der Europa League. Nach sechs relativ einfachen Siegen in der Grppenphase musste Leverkusen erneut gegen Gruppengegner Qarabag FK ran. Doch diesmal zeigte die Mannschaft aus Aserbaidschan ein gänzlich anderes Gesicht. Alonso verzichtete auf - zum ersten Mal in einem relevanten Pflichtspiel (die EL-Spieltage 5 und 6 war Leverkusen bereits Gruppensieger) - auf Mittelfeldregisseur Granit Xhaka in der Anfangsformation, was komplett schief ging. Zur Pause führte Qarabag mit 2:0, Alonso brachte nach der Pause Frimpong, Xhaka, Wirtz - und Patrik Schick. Das ganze Jahr hatte Schick noch kein Tor erzielt, doch ausgerechnet er war es, der im "Laterkusen"-Stil nach dem Anschlusstreffer von Wirtz (70.) in der zweiten Minute der Nachspielzeit den Ausgleich erzielte.
Im Rückspiel, diesmal ohne Grimaldo, dafür mit Wirtz und Xhaka, kam es nach der Pause erneut zur 2:0-Führung der Aserbaidschaner. Doch zuerst traf Frimpong zum Anschluss, dann war es erneut Schick, der zunächst in der dritten Minute der Nachspielzeit auf 2:2 und damit Verlängerung stellte, Qarabag in der siebten Minute der Nachspielzeit aber doch noch vor Ende der regulären Spielzeit mit dem 3:2 den Garaus machte. Es war ohnehin die Woche des Patrik Schick - zwischen den beiden Spielen erzielte er mit dem 3:1 in Freiburg erneut das spätere Siegtor (3:2).
Die kommenden Schritte auf dem Weg zu Meisterschaft und Triple
Weil der FC Bayern immer mehr Federn ließ, steht Bayer Leverkusen nun schon vor der Situation, dass sie am 29. Spieltag die Bundesliga-Meisterschaft fixieren können. Verlieren die punktgleichen Bayern (gegen Köln) und Stuttgart (gegen Frankfurt) am Samstag beide, wäre die Werkself sogar Sofa-Meister, bevor es am Sonntag zuhause gegen Bremen geht. Bei maximal Unentschieden beider Teams reicht Leverkusen ebenfalls ein Remis. Gewinnt einer der beiden, müsste am Sonntag der Sieg her. Gegen ein Team in der Formkrise wie Werder Bremen könnte der 14. April 2024 dann der Tag sein, an dem Bayer 04 Leverkusen den Titel "Vizekusen" offiziell ablegt und Deutscher Meister wird.
Doch vorher geht es am Donnerstagabend im Hinspiel des Europa-League-Viertelfinalsgegen West Ham United. Nach der Meisterschaft soll dann beim Rückspiel in London auch der Halbfinal-Einzug im Europapokal klargemacht werden. Das klar Ziel: Das Endspiel am 22. Mai in Dublin.
Den letzten von vielen Schritten auf dem Weg zum möglichen Triple könnte Xabi Alonso, vorausgesetzt der unwahrscheinliche Fall einer verspielten Meisterschaft tritt nicht ein und man behauptet sich in der Europa League, dann am 25. Mai 2024 in Berlin gehen, wenn Bayer Leverkusen im DFB-Pokalfinale gegen den 1. FC Kaiserslautern antritt.
Bayer Leverkusen: Restprogramm in der Bundesliga
Spieltag | Datum | Uhrzeit | Heim | Auswärts |
29 | So. 14.04.24 | 17:30 | Bayer Leverkusen | Werder Bremen |
30 | So. 21.04.24 | 17:30 | Borussia Dortmund | Bayer Leverkusen |
31 | Sa. 27.04.24 | 18:30 | Bayer Leverkusen | VfB Stuttgart |
32 | So. 05.05.24 | 17:30 | Eintracht Frankfurt | Bayer Leverkusen |
33 | So. 12.05.24 | 19:30 | VfL Bochum | Bayer Leverkusen |
34 | Sa. 18.05.24 | 15:30 | Bayer Leverkusen | FC Augsburg |