"Einer der geschicktesten Verhandler Deutschlands": Michael Reschke im Interview über Eberl, Neppe und den FC Bayern München

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Der langjährige Manager Michael Reschke kennt den FC Bayern München und die Bundesliga genau: Im Interview mit SPOX und GOAL spricht er über seinen Zögling Marco Neppe, Max Eberls Verhandlungsgeschick und Diskussionen mit Uli Hoeneß sowie Karl-Heinz Rummenigge. Außerdem hält der 66-Jährige ein Plädoyer für Transfer-Spekulationen.

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Nach vielen Jahren bei Bayer Leverkusen arbeitete Reschke von 2014 bis 2017 als Technischer Direktor für den FC Bayern. Es folgten Stationen beim VfB Stuttgart und beim FC Schalke 04, ehe Reschke 2020 zur Spielerberater-Agentur Stellar wechselte.

Herr Reschke, Ihre Ex-Klubs Bayer Leverkusen, VfB Stuttgart und FC Bayern München belegen aktuell die ersten drei Plätze in der Bundesliga-Tabelle - überraschend ist Bayern aber nur Dritter.

Michael Reschke: Zu diesem Zeitpunkt der Saison ist nicht der Tabellenplatz entscheidend, sondern die Punktebilanz - und Bayerns 17 Punkte sind sehr gut. Anders als in den vergangenen Jahren hat Bayern München diesmal allerdings mehrere Kontrahenten, die konstant auf einem ganz hohen Niveau punkten. Der Meisterschaftskampf kann somit sehr interessant werden. Nicht weil Bayern schwächelt, sondern weil die anderen besser geworden sind.

Was trauen Sie Stuttgart zu?

Reschke: Was sich in Stuttgart abspielt, ist überragend. Aber selbst die größten Optimisten glauben nicht, dass sie sich für die Champions League qualifizieren oder gar Meister werden. Wenn man den Stuttgarter Verantwortlichen jetzt Platz sechs am Ende der Saison anbieten würde, würden sie gewiss sofort einschlagen. Das wäre eine Mega-Leistung.

Der FC Bayern leidet derzeit unter einem Personalengpass in der Defensive, zuletzt wurde sogar eine Rückkehr von Jerome Boateng gehandelt. War es eine Fehleinschätzung, dass sich der Klub im Sommer nicht breiter aufgestellt hat?

Reschke: Wenn die Bayern-Verantwortlichen die Zeit zurückdrehen könnten, würden sie das sicherlich tun und einen oder zwei defensive Spieler mehr verpflichten. Sie wären jetzt froh, wenn sie den Kader im Sommer breiter aufgestellt hätten. Nun werden sie halt im Winter nachlegen. Die Saison entscheidet sich ohnehin erst im Frühling.

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Vielleicht dann schon mit Sportvorstand Max Eberl, den Sie seit vielen Jahren kennen. Was zeichnet ihn aus?

Reschke: Max ist ein absoluter Top-Mann. Ich weiß, dass Uli Hoeneß ihn sehr schätzt. Max hat ein sehr gutes Gespür für die Stimmung in einem Team, Kader-Situationen und kann auf ein komplexes internationales Netzwerk zurückgreifen. Außerdem ist er einer der geschicktesten Verhandler Deutschlands. Diese Qualitäten hat er über Jahre hinweg in hoher Verantwortung nachgewiesen. In Mönchengladbach hat er einen herausragenden Job gemacht. In Leipzig gab es bei der Trennung kein einziges negatives Wort über seine sportliche Kompetenz.

Hat Sie die Trennung überrascht?

Reschke: Ich war natürlich überrascht, dass das so schnell beendet wurde. Sein Wechsel nach Leipzig war eine schwierige Geburt mit langem Anlauf - und dann war er so schnell wieder weg. Ich bin bei seiner Verpflichtung davon ausgegangen, dass er in Leipzig eine neue sportliche Heimat findet und es ihn reizt, mit RB den Bayern Paroli zu bieten.

Aufgrund der Umstände seines Wechsels nach Leipzig und auch seines Abschieds wurde Eberl zuletzt bisweilen Charakterschwäche unterstellt, unter anderem von Fans des FC Bayern auf Spruchbändern. Wie haben Sie ihn menschlich kennengelernt?

Reschke: Max ist ein guter Typ. Man kann sich mit ihm tiefgründig unterhalten, aber auch witzig flachsen. Er ist intelligent und empathisch.

Sie nennen Eberl "einen der geschicktesten Verhandler Deutschlands". Wie äußert sich das?

Reschke: Das habe ich sowohl selbst erlebt als auch über Bande von Beratern und Klub-Vertretern gehört. Max schafft es in Verhandlungen, Menschen einzufangen. Wenn er von etwas überzeugt ist, verfolgt er ein Thema nachhaltig und mit Leidenschaft. So war es beispielsweise bei unseren Verhandlungen über Christoph Kramer. Wir haben ihn damals ganz jung von Leverkusen an Gladbach verliehen. Max wollte ihn unbedingt. Auf eine von ihm geforderte Kaufoption haben wir uns aber nicht eingelassen. Da haben wir ihm damals die lange Nase gezeigt. Aber die Gespräche waren sehr professionell. Mit seiner sportlichen Einschätzung lag Max total richtig.

Eberl beklagte in einem Interview neulich die Ausmaße der medialen Transfer-Spekulationen und schlug vor, dass Klubs künftig "alle Zahlen offen auf den Tisch legen". Dies sei eine "Diskussion, die man perspektivisch auf breiter Ebene führen sollte". Wie finden Sie diese Idee?

Reschke: Ich glaube nicht, dass das sinnvoll ist. Wir alle müssen uns immer im Klaren darüber sein, dass Fußball ein Teil der Unterhaltungsbranche ist. Genau dieses Nebulöse, Spekulative übt doch einen speziellen Reiz aus. Lasst uns weiter spekulieren! Ich finde es unterhaltsam und das gehört dazu.

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Besonders viel spekuliert wurde im vergangenen Sommer über Harry Kane, der letztlich für 100 Millionen Euro von Tottenham Hotspur zum FC Bayern gewechselt ist. Wie haben Sie den Hype um diesen Transfer erlebt?

Reschke: Transfers von besonderen Spielern üben seit jeher eine Faszination aus. Das war schon so, als Franz Beckenbauer zu Cosmos New York gewechselt ist oder Kevin Keegan zum HSV. Durch das Internet ist alles noch extremer geworden. Es ist unglaublich, was für ein Hype um den Kane-Transfer entstanden ist. Bei den Auswüchsen musste ich mich manchmal selbst kneifen. Vieles habe ich mit einem amüsierten Lächeln verfolgt. Bei Flightradar war ich aber definitiv nicht dabei. So weit geht meine Begeisterung nicht.

Seit Ihrem Abschied vom FC Schalke 04 2020 arbeiten Sie für die Spielerberater-Agentur Stellar. Nachdem sich der FC Bayern im Frühling von Sportvorstand Hasan Salihamidzic getrennt hatte, wurden Sie als möglicher Nachfolger gehandelt. Gab es ein Angebot?

Reschke: Dazu will ich mich nicht äußern. Ich bin mit meinem aktuellen Job als Head of European Football bei CAA Stellar hochzufrieden. Ich genieße es, den Fußball aus einem anderen Blickwinkel kennenzulernen. Ich war über 40 Jahre in Bundesliga-Klubs in verantwortlichen Positionen aktiv. Das hat mein Leben nicht nur geprägt, sondern weitgehend dominiert. Diese Zeit ist vorbei. Ich blicke aber gerne auf meine drei Jahre bei Bayern zurück. Die Zusammenarbeit mit Top-Leuten wie Guardiola, Ancelotti, Hoeneß oder Rummenigge war fantastisch.

Nach einem zwischenzeitlichen Rückzug sind Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge beim FC Bayern nun wieder mehr ins Tagesgeschäft involviert. Überrascht Sie das?

Reschke: Nein. Wenn man als Verein die Möglichkeit hat, auf die Erfahrung, Intelligenz, Menschenkenntnis und Kompetenz von Menschen wie Hoeneß und Rummenigge zurückzugreifen, muss man das nutzen.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit den beiden erlebt?

Reschke: Natürlich war es herausfordernd und manchmal schwierig, weil beide sehr meinungsstark sind und in Diskussionen mächtige Wucht entwickeln können. Aber überzeugenden Argumenten gegenüber sind sie immer aufgeschlossen. Ich habe viele Diskussionen mit Hoeneß und Rummenigge erlebt, bei denen sie sich trotz anfänglicher Skepsis überzeugen ließen. Beispielsweise bei den Verpflichtungen von Joshua Kimmich oder Kingsley Coman. Das waren keine Transfers, die für Bayern damals klassisch auf der Hand lagen - der eine hatte gerade mal zehn Zweitligaspiele absolviert, der andere hat bei Juventus nur minimale Spielzeit besessen. Man war verständlicherweise skeptisch, solche Spieler für verhältnismäßig hohe Summen zu verpflichten. Aber Marco Neppe und ich konnten am Ende alle Entscheidungsträger überzeugen.

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Sie haben Marco Neppe 2014 als Scout zum FC Bayern geholt, mittlerweile ist er Technischer Direktor. Wie beurteilen Sie seine Entwicklung?

Reschke: Marco hat für Bayern München sehr viele wichtige Transfers haupt- oder zumindest entscheidend mitverantwortlich umgesetzt. Nehmen wir nur Alphonso Davies, Jamal Musiala und Mathys Tel: Niemand wird beim FC Bayern widersprechen, dass Marco den Hauptanteil an diesen Verpflichtungen besitzt. Alle drei spielen in der sportlichen Zukunftsplanung eine bedeutsame Rolle. Das Investment für die drei betrug insgesamt rund 40 Millionen Euro. Heute liegt ihr gemeinsamer Transferwert bei deutlich über 200 Millionen Euro. Diese Bilanz spricht Bände. Marco hat seine Rolle öffentlich immer sehr zurückhaltend interpretiert und sich nie in den Vordergrund gedrängt. Daraus folgt zwangsläufig, dass seine Leistung öffentlich nicht entsprechend wertgeschätzt wird. In internationalen Fachkreisen besitzt er aber eine sehr hohe Reputation. Sprechen Sie mal mit Pep Guardiola oder Mauricio Pochettino über ihn!

Was zeichnet Neppe aus?

Reschke: Fleiß, Akribie, starkes analytisches Denken, Loyalität, Meinungsstärke, ein Gespür für Spieler und die Fähigkeit, auch konkrete Prognosen über sportliche Entwicklungen fällen zu können. Das hat mir bei ihm von Anfang an imponiert. Schon bei den Verpflichtungen von Kimmich und Coman war Marco in der Entscheidungsfindung mein wichtigster Dialog-Partner.

Im Sommer kam Christoph Freund als Sportdirektor zum FC Bayern, Max Eberl könnte neuer Sportvorstand werden, gehandelt wird auch Christopher Vivell. Neppes Zukunft im Klub erscheint deshalb aktuell unklar.

Reschke: Was mit Marco im Zuge einer möglichen Umstrukturierung passiert, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß, dass er bei vielen Bayern-Verantwortlichen eine sehr hohe Wertschätzung genießt. Ich kann mir vorstellen, dass Marco bei Bayern München noch über Jahre hinweg eine tragende Rolle spielt. Aber er wäre auch für andere Klubs ein hochinteressanter Verantwortlicher.

Bei der Suche nach neuen Führungskräften schaut sich der FC Bayern aktuell erstaunlich oft bei den RB-Filialen um. Wie beurteilen Sie diese Redbullisierung?

Reschke: Es liegt in der Natur der Sache, dass Bayern Spieler und Mitarbeiter verpflichtet, die sich bei anderen Klubs bewährt haben. Früher hat man sich oft bei Leverkusen bedient. Aber Bayern München verfolgt immer eine Bayern-München-Strategie. Daran wird sich nichts ändern. Wenn man Hoeneß und Rummenigge fragt, ob sie die Red-Bull-Strategie kopieren wollen, würde man nur amüsiertes Kopfschütteln ernten. Es gilt weiterhin: Mia san mia.

Michael Reschke: Seine Karriere-Stationen

ZeitraumKlub
Bayer Leverkusen1979 bis 2014
FC Bayern München2014 bis 2017
VfB Stuttgart2017 bis 2019
FC Schalke 042019 bis 2020