Schwegler erzählt von Jupp Heynckes, Julian Nagelsmann, Marco Neppe - und wie er "im tiefsten Italien" als erster Vertreter des FC Bayern Mathys Tel gesichtet hat. Außerdem: seine Gedanken zum saudi-arabischen Kaufrausch und zum Transfermarkt-Hype.
Herr Schwegler, Sie haben diesen Sommer Ihre erste Transferperiode als Leiter Profifußball der TSG Hoffenheim absolviert. Wie war es?
Pirmin Schwegler: Die Zeit war noch intensiver, als ich es mir vorgestellt hatte. Aber wenn es anspruchsvoll ist, lernt man am meisten. Es gab keinen festen Tagesablauf, kein Tag hat dem anderen geähnelt. Wir haben auch abends oft im Team noch lange diskutiert.
Was nehmen Sie persönlich mit?
Schwegler: Die Erkenntnis, dass ein Transfer erst dann durch ist, wenn die Tinte trocken ist.
Worauf achten Sie in Ihrer neuen Rolle besonders?
Schwegler: Es ist mir wichtig, authentisch zu sein, die eigene Position klar und offen zu vertreten und keine Spielchen zu spielen. Schon als Spieler habe ich Ehrlichkeit geschätzt. Manchmal sind ehrliche Worte hart, aber am Ende helfen Sie am meisten. Das versuche ich auch in meiner jetzigen Rolle so zu leben. Ich will den Jungs ehrlich sagen, wo sie stehen und woran sie arbeiten sollen.
Welcher Trainer oder Funktionär hat Sie im Laufe Ihrer aktiven Karriere besonders beeindruckt?
Schwegler: Da gibt es etliche, aber besonders imponiert hat mir Jupp Heynckes. Er schafft es auch in einem großen Team, jeden mitzunehmen. Während seiner Zeit in Leverkusen war ich ein ganz junger Spieler und ein bisschen hintendran. Einige Monate später, nach meinem Wechsel zu Eintracht Frankfurt, habe ich ihn bei Charly Körbels Geburtstag wiedergesehen. Da hat er mich gefragt, wie es meinen Eltern geht - und wusste sogar noch ihre Namen. Er hat nie oberflächlich gesprochen, sondern immer tiefgründig.
Seine größten Erfolge feierte Heynckes beim FC Bayern. Sie haben von Ende 2020 bis Anfang dieses Jahres als Scout in München gearbeitet. Warum sind Sie dann nach Hoffenheim gewechselt?
Schwegler: Dafür gab es viele Gründe. Ich habe hier eine anspruchs- und verantwortungsvolle Aufgabe bei der TSG. Und ich bin wieder näher ans Team herangerückt - was mir gut gefällt und als Scout gefehlt hat. Junge Menschen zu begleiten und zu entwickeln, macht mir Spaß.
Hoffenheim ist in der Führungsriege deutlich schlanker aufgestellt als der FC Bayern.
Schwegler: Das macht die Arbeit zwar herausfordernder, aber vielfach auch einfacher. Die Wege sind sehr kurz. Man kann schneller agieren.
Wie blicken Sie auf Ihre Zeit beim FC Bayern zurück?
Schwegler: In erster Linie verspüre ich Dankbarkeit, dass ich direkt nach meiner aktiven Karriere diese Chance bekommen habe. Die Zeit war sehr lehrreich. Ich habe in München gelernt, wie so ein großer Klub funktioniert. Eigentlich wollte ich damals eine Pause einlegen, aber ein Kollege vom FC Bayern hat nicht locker gelassen. Aus heutiger Sicht bin ich froh, dass seine Bemühungen erfolgreich waren.
Das war wohl der Technische Direktor Marco Neppe.
Schwegler: Genau, er war diesbezüglich federführend beteiligt.
Neppe tritt selten in der Öffentlichkeit auf. Wie ist die Zusammenarbeit mit ihm?
Schwegler: Die Zusammenarbeit mit Marco ist sehr angenehm. Er hat mich von Anfang an in viele Meetings mitgenommen. Im Scouting-Team habe ich mich sofort wohlgefühlt. Ich habe volles Vertrauen gespürt. Alle waren mir gegenüber total offen. Das ist nicht selbstverständlich.
Sie haben mitten im ersten Pandemie-Winter Ihren Job als Scout angetreten, Vor-Ort-Besuche waren damals kaum möglich. Hat das den Einstieg erschwert?
Schwegler: Ich kannte es ja gar nicht anders. Aber alle Kollegen haben geklagt, dass es schwieriger geworden sei. Nach einigen Monaten durfte ich dann endlich auch reisen. Ich liebe es, in Stadien zu gehen und die Atmosphäre zu spüren. So bekommt man als Scout mit, wie sich ein Spieler vor dem Spiel, in der Pause und danach verhält. Videos und Daten haben aber natürlich auch ihre Berechtigung.
Welche Spieler haben Sie für den FC Bayern federführend gescoutet?
Schwegler: Am Ende ist jeder Wechsel eine Team-Angelegenheit, es sammeln immer alle Scouts Eindrücke. Mathys Tel war beispielsweise eine Entdeckung, bei der wir als Team sehr früh schon dran waren. Bei ihm kann ich mich noch genau an die erste Beobachtung erinnern.
Erzählen Sie!
Schwegler: Das war eine meiner ersten Reisen für den FC Bayern überhaupt, es ging zu einem Freundschaftsspiel der französischen U18-Nationalmannschaft in Italien. Mathys war damals 16 Jahre alt. Die Partie wurde ungefähr drei Auto-Stunden von Rom entfernt auf dem italienischen Land ausgetragen. Mathys war uns davor bei einem Turnier in Frankreich aufgefallen, aber dort im tiefsten Italien habe ich ihn erstmals für den FC Bayern im Stadion beobachtet. Nach ein paar Spielminuten war mir klar, dass das eine sehr bedeutsame Reise werden kann. Es war das erste und einzige Mal während meiner Karriere als Bayern-Scout, dass ich schon in der Halbzeit die Kollegen angerufen habe.
Tel wechselte schließlich 2022 zum FC Bayern, bereits ein Jahr zuvor war Julian Nagelsmann als neuer Trainer gekommen. Sie kannten ihn bereits aus Hoffenheim. Wurde vorab Ihr Rat eingeholt?
Schwegler: Man hat sich damals auch bei mir über ihn erkundigt. Natürlich habe ich ihn empfohlen. Julian hat immense Qualitäten.
Was halten Sie von seiner Berufung zum Bundestrainer?
Schwegler: Das ist die richtige Entscheidung. Inhaltlich ist er top. Seine Matchpläne und die taktischen Anpassungen während eines Spiels sind herausragend gut. Er kann Euphorie entfachen vor dem großen Event nächsten Sommer. Wir sollten uns in Deutschland endlich auf die Heim-EM freuen.
Bei Nagelsmanns Öffentlichkeitsarbeit schwingt stets ein gewisser Show-Faktor mit. Sehen Sie das als Problem?
Schwegler: Er ist authentisch. Vielleicht kommt er mit seiner Art nicht bei jedem gut an, aber das muss er auch nicht. Er wird mit seiner Art vor allem bei den Jüngeren gut ankommen. Man sollte seine Persönlichkeit nicht ändern.
Im Vergleich zu Ihrer Zeit beim FC Bayern ist Uli Hoeneß mittlerweile öffentlich wieder deutlich präsenter. Wie haben Sie ihn damals erlebt?
Schwegler: Wir sind uns persönlich nicht allzu oft begegnet, aber seine Meinung hat damals auch eine wichtige Rolle gespielt. Uli Hoeneß war, ist und wird immer eng mit dem FC Bayern verbunden sein. Daran wird sich nichts ändern.
Könnten Sie sich irgendwann eine Rückkehr zum FC Bayern vorstellen?
Schwegler: Als Spieler hatte ich viele langfristige Ziele. Im Rückblick kam es aber immer komplett anders als geplant. So bin ich unter anderem in Australien gelandet, was ich nie gedacht hätte. Deshalb gibt es heute keinen feststehenden Karriereplan.
Aktuell landen viele Spieler aufgrund immenser Gehälter in Saudi-Arabien. Wie beurteilen Sie den dortigen Kaufrausch?
Schwegler: Saudi-Arabien ist auf dem Weg, ein weiterer Big Player auf dem Markt zu werden. Aus der Bundesliga gab es bisher aber noch nicht so viele Transfers dorthin, uns hat das also zumindest noch nicht unmittelbar betroffen. Vielleicht bieten solche Veränderungen auch Chancen. Als England in den vergangenen Jahren groß eingekauft hat, haben wir als Folge von dort beispielsweise viele junge Spieler nach Deutschland geholt.
Unabhängig von den Entwicklungen in Saudi-Arabien steigt das Interesse am Transfermarkt kontinuierlich an. Können Sie das nachvollziehen?
Schwegler: Natürlich ist das spannend. Die mittlerweile kursierenden Summen bewegen die Leute. Ich sehe dieses Interesse größtenteils positiv. Wir sind auch darauf angewiesen, dass über uns gesprochen und berichtet wird. Aber es ist wichtig, dass es bei der Wahrheit bleibt. Ein Beispiel: Im Sommer gab es kurz vor Transferschluss plötzlich die Nachricht, dass unser Spieler Ihlas Bebou in Köln sei - der aber lief just in diesem Moment hier bei der TSG an mir vorbei. Innerhalb kürzester Zeit wurde er mit tausenden Nachrichten bombardiert. Dann musste er zur Klarstellung ein Selfie mit unserem Vereinsgelände im Hintergrund teilen. Das ist unschön und macht etwas mit den betroffenen Menschen. Hier ist aus meiner Sicht mehr Sorgfalt gefragt.
RB Leipzigs ehemaliger Geschäftsführer Max Eberl beklagte in einem Interview neulich die Ausmaße der medialen Transfer-Spekulationen und schlug vor, dass die Klubs künftig "alle Zahlen offen auf den Tisch legen". Dies sei eine "Diskussion, die man perspektivisch auf breiter Ebene führen sollte". Wie finden Sie diese Idee?
Schwegler: Ich finde, dass die Klubs ausreichend Informationen preisgeben. Natürlich erstaunt es mich aber, wie viele Details darüber hinaus immer rauskommen.
Den vorläufigen Höhepunkt erlebte der Transfermarkt-Hype bei Harry Kanes Wechsel zum FC Bayern. Wie beurteilen Sie den Transfer?
Schwegler: Ich finde es vor allem extrem schön, dass wir jetzt so einen großen Namen in der Bundesliga haben. Es ist ein Zeichen. Stars tun der Liga gut. Das hat ebenso seine absolute Berechtigung wie unser Weg in Hoffenheim, junge Talente selbst zu entwickeln und an die Bundesliga heranzuführen.