Außerdem erzählt der 26-Jährige von der MT Melsungen von einem feuchtfröhlichen Abend mit Darts-Profis und seiner Bewunderung für Bundestrainer Alfred Gislason.
Herr Kastening, mit Florian Hempel hat bei der vergangenen Darts-WM ein ehemaliger Handballer für Furore gesorgt. Auch im Kreise der Handball-Nationalmannschaft wird regelmäßig Darts gespielt. Welchem DHB-Spieler würden Sie am ehesten zutrauen, mit etwas Training ins Ally Pally einzuziehen?
Timo Kastening: Also mir auf jeden Fall schon mal nicht. (lacht) Aber wenn man sich Hempel und Max Hopp anschaut, der auch eine Handball-Vergangenheit hat, scheinen Handballer eine gewisse Affinität zum Darts zu haben. Hendrik Pekeler, der ja leider nicht mehr dabei ist, und Philipp Weber sind die Besten von uns. Die zocken schon groß auf. Ob es für das Ally Pally reichen würde, wage ich mal zu bezweifeln.
Sie selbst haben 2020 bei einer Veranstaltung in Hannover ein Showmatch gegen Michael van Gerwen bestreiten dürfen. Wie haben Sie sich geschlagen?
Kastening: Schon echt schlecht, würde ich sagen. Das war aufgrund der Corona-Situation eine Drive-in-Veranstaltung, wir haben also sozusagen vor 500 Autos gespielt. Das ist nochmal etwas ganz anderes, als wenn man in der Kneipe spielt. Entsprechend war dann auch meine Performance nicht zufriedenstellend.
Bei der Veranstaltung waren neben MvG auch Hopp und Dimitri van den Bergh dabei. Mit den beiden sollen anschließend einige Biere vernichtet worden sein.
Kastening: Ja, wir haben damals in meinen Geburtstag reingefeiert. Werner von Moltke, der Geschäftsführer der PDC Europe, war auch dabei. Wir haben es, wie es sich für Handballer und Dartsspieler gehört, ganz gut krachen lassen.
Kastening: "Ein schlechtes Turnier und das Vertrauen bröckelt"
Weg vom Darts, hin zum Handball: Sie wurden durch Ihre bärenstarken Auftritte bei der EM 2020 in Österreich, Schweden und Norwegen einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Im gleichen Jahr wurden Sie zu Deutschlands Handballer des Jahres gewählt, wechselten von der TSV Hannover-Burgdorf zur MT Melsungen und sind längst fester Bestandteil der Nationalmannschaft. Wie bewerten Sie Ihre Entwicklung in den vergangenen Jahren?
Kastening: Es hat mich stolz gemacht, dass es 2020 so gut gelaufen ist und ich mich auch über die Leistungen im Verein in der Nationalmannschaft etablieren konnte. Auch nach dem Wechsel von Christian Prokop zu Alfred Gislason spüre ich Rückendeckung. Dass ich bei den Olympischen Spielen in Tokio auf Rechtsaußen alleine spielen durfte, ist als Vertrauensbeweis des Bundestrainers zu werten. Das ist aber alles Vergangenheit. Ich muss mich wie jeder andere bei jedem Turnier aufs Neue beweisen. Ein schlechtes Turnier und das Vertrauen bröckelt, das ist ganz normal im Mannschaftssport. Deshalb: Niemals aufhören und immer Gas geben.
Nicht nur Gislason schätzt Ihre Leistungen. 2019 dachte beispielsweise Sportvorstand Stefan Kretzschmar darüber nach, Sie 2020 zu den Füchsen Berlin zu holen.
Kastening: Das war eine witzige Geschichte. Kretzsche schrieb mir damals und fragte, wie lange mein Vertrag noch läuft. Ich dachte, er würde meine offizielle Vertragslaufzeit in Hannover meinen und antwortete: "Bis 2020." Er meinte dann, dass wir uns zusammensetzen sollten, woraufhin wir uns getroffen haben. Kretzsche ist ja gut vernetzt, weshalb ich glaubte, er wüsste bereits, dass ich in Melsungen unterschrieben habe. Und sein Einstieg bei den Füchsen war damals auch noch gar nicht offiziell. Wir haben uns also getroffen, über Gott und die Welt gequatscht, ehe Kretzsche zum Punkt kam. "Ich hab doch schon in Melsungen unterschrieben", antwortete ich. Und Kretzsche fragte: "Ja warum triffst du dich dann überhaupt mit mir?" Ich wollte einfach mal die Gelegenheit nutzen, mich mit Kretzsche zusammenzusetzen. (lacht)
Hatte das damit zu tun, dass Kretzschmar ein Vorbild für Sie ist?
Kastening: Als großer Fan des FC Bayern, bei dem ich Mitglied bin, war mein Vorbild als kleiner Junge immer nur Oliver Kahn, weil er alles für den maximalen Erfolg getan und das tagtäglich ausgestrahlt hat. Trotzdem ist Kretzsche jemand, der den Handball durch sein Auftreten, sein Aussehen und seine Leistung über die Grenzen der Handball-Szene hinaus populär gemacht hat. Solche Leute tun der Sportart unheimlich gut.
Kastening: "Für mich ist das zu viel Wischiwaschi"
Es gibt seit Jahren die Diskussion, dass dem deutschen Handball heute solche Typen fehlen würden. Welche Meinung haben Sie dazu?
Kastening: Egal ob es um Handball oder Fußball geht: Alle schreien so lange nach Typen, bis es welche gibt. Wenn heute einer den Mund aufmacht, bekommt er gleich eine drüber. Die Gesellschaft ist diesbezüglich sehr flach geworden, das gilt für Fans und Medien gleichermaßen. Jede Aussage und jeder Typ wird so hingehalten, wie es gerade gebraucht wird. Man muss sich entscheiden: Will man Typen und akzeptiert dann Ecken und Kanten? Oder will man eben keine Typen haben? Für mich ist das heutzutage zu viel Wischiwaschi.
Wenn man sich in Handball-Kreisen umhört, werden Sie als echter Typ beschrieben, der gleichzeitig sehr bodenständig ist. Spielt dabei Ihre Herkunft eine Rolle? Ihre Eltern führen einen landwirtschaftlichen Betrieb.
Kastening: Das Elternhaus und der Freundeskreis spielen eine große Rolle. An einem Tag bist du Handballer des Jahres, am nächsten kommst du nach Hause, gehst in den Hühnerstall und mistest dort die Scheiße aus. Da besteht keine Gefahr, abzuheben, ich kenne es gar nicht anders. Durch Erfolg oder eine Auszeichnung ändert sich weder bei mir noch bei meiner Familie irgendetwas.