Felix Götz (Sportchef Spox.com)
Eine halbe Stunde war gespielt, als ich von einem Kumpel eine kurze WhatsApp-Nachricht bekam, die den unbegreiflichen Wahnsinn verdeutlichte: "Steht es bei euch auch 5:0?"
Zu diesem Zeitpunkt - wir saßen mit sieben Mann in München bei meinem Bruder im Wohnzimmer - war der Jubel längst einer leisen Ungläubigkeit gewichen. Mir persönlich taten die brasilianischen Fans einfach nur noch leid. Die tränenüberfluteten Gesichter lösten in mir Unbehagen aus, das Ergebnis fühlte sich in dieser Höhe schlichtweg falsch an.
Als ich zwei Jahre später bei den Olympischen Spielen in Rio war, wurde mir klar, welch große Wunden das 1:7 bei vielen Brasilianern hinterlassen hat. Jedes Mal, wenn ich mich als Deutscher zu erkennen gab, wurde ich umgehend auf dieses Spiel angesprochen.
Brasiliens Revanche bei den Olympischen Spielen 2014
Viele Brasilianer erzählten mir, wie sie das Desaster beim Mega-Public-Viewing an der Copacabana erlebt haben. Der für Deutsche unvorstellbare Optimismus der Carioca sorgte dafür, dass der Gedanke, Brasilien könnte das Halbfinale verlieren, überhaupt nicht existierte. Alle richteten sich auf eine lange Party-Nacht ein - stattdessen nichts als Tränen.
Dementsprechend hatte das Olympische Fußball-Finale 2016 für die Brasilianer einen enormen Stellenwert. Schon vor der Partie knisterte es direkt vor und im Stadion gewaltiger, als ich es je bei einem Fußballspiel erlebt habe. Die Atmosphäre war extrem aufgeheizt, Revanche für 2014 war angesagt.
Ich erinnere mich an den Rat einer Hotelangestellten, als ich mich auf den Weg ins Maracana machte: "Pass auf, falls Deutschland schon wieder gewinnen sollte. Einige Menschen könnten verrückt werden."
Ich gebe es ganz offen zu: Als das DFB-Team das Endspiel im Elfmeterschießen verloren hatte, atmete ich erleichtert auf. Diesmal fühlte es sich richtig an.
Oliver Mehring (Social Media Spox.com)
Vom Public Viewing im schwarz-rot-goldenem Fahnenmeer hatte ich mich bereits nach der EM 2008 verabschiedet, sodass ich auch bei diesem Spiel ganz gemütlich mit ein paar Freunden in einer Freiburger Studenten-WG zusammensaß. Gemeinsam Thai kochen, ein bisschen Wein - Mensch, was waren wir kultivierte Studenten.
Nicht jeder im Raum interessierte sich wirklich für den Rummel, der sich an der Leinwand abspielte, die von einem semi-geilen Beamer beleuchtet wurde. Zumal die wackelige DSL-Leitung den Livestream gerne mal ins Stottern brachte. Das führte schließlich zu einem ziemlich kuriosen Schauspiel: Spätestens mit dem dritten Tor waren sich nicht mehr alle im Raum sicher, ob das wirklich das reguläre Livebild war. Immer wieder trafen die Herren im schwarz-roten Trikot, immer wieder lagen sich Müller und Co. jubelnd in den Armen. Es gab Diskussionen, wir luden den Stream neu, noch ein Tor.
1:7 - Mitleid mit Brasilien
Spätestens zur Halbzeit saßen nur noch Fragzeichen im Raum: "Ist das jetzt wirklich passiert?" Wir waren peinlich berührt. Die Nummer war so verrückt und gleichzeitig so entspannend, dass wir anfingen, Durak (ein russisches Kartenspiel) zu zocken, um uns nebenbei die Zeit zu vertreiben.
Der Wein floss, die Gespräche drehten sich um die traurigen Brasilien-Fans, die immer wieder von der Kamera eingefangen wurden. Die Wucht des Sieges sorgte für eine eigenartige Atmosphäre. Die Folge: Wir starten ein kleines Trinkspiel und prosteten jedem deprimierten Gesicht zu, das auf der Leinwand erschien. Jubel brach aus, als die Brasilianer zumindest den Ehrentreffer erzielten. Dann war der Wein aus. Das Spiel irgendwann auch. Ich hatte einen im Tee. Schland, 7:1, geil!