Zurück zu Ihrem Sohn: Sie haben ihm als Cheftrainer der SV Kapfenberg im Alter von 15 Jahren zum Bundesliga-Debüt verholfen. Wie kam es dazu?
Gregoritsch: Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte er damals gar nicht debütiert. Wir hatten im Sturm Verletzungsprobleme und vor einem Spiel gegen Austria Wien sogar zu wenige Spieler für ein Match beim Abschlusstraining. Also habe ich ihn aus der Schule geholt, mitspielen lassen - und er hat zwei wunderschöne Tore gemacht. Zufälligerweise hat unser Präsident Erwin Fuchs zugeschaut. Er meinte: "Nimm' den Bua doch mit und lass ihn spielen! Der ist ja besser als alle anderen!" Ich wollte ihn eigentlich nicht in den Kader berufen, habe mich dann aber gefügt.
Wie ging es weiter?
Gregoritsch: Beim Spiel stand es lange unentschieden. Irgendwann habe ich meinen Sohn angeschaut und ihn gefragt: "Bist du bereit?" Er hat nur genickt. Ich habe selten einen so fokussierten Blick gesehen. Zwei Minuten nach seiner Einwechslung hat er das 1:0 geschossen. Dieses Tor war ein Dosenöffner für seine Karriere.
Sie haben Ihren Sohn insgesamt sechs Jahre lang trainiert, erst bei Kapfenberg und später in der U21-Nationalmannschaft. Wie war das für Sie?
Gregoritsch: Es ist nicht leicht, als Vater seinen eigenen Sohn zu trainieren. Ich wollte nie als sein großer Förderer gelten oder den Vorwurf bekommen, dass ich ihn bevorzuge. Vielleicht ist das manchmal sogar in die andere Richtung ausgeschlagen. Ich glaube, mein Sohn hatte es mit mir als Trainer schwerer.
Wie hat er Sie im Kreis der Mannschaft angesprochen?
Gregoritsch: Er hat nie "Papa" gesagt, sondern immer "Coach". Vor der Mannschaft wollte er auch nie unter vier Augen mit mir reden. Er wusste genau, dass das nach Familien-Klüngel ausgeschaut hätte.
Hat sich das Spieler-Trainer-Verhältnis auf das Sohn-Vater-Verhältnis ausgewirkt?
Gregoritsch: Zuhause gab es schon schwierige Situationen. Zum Beispiel, wenn ich angefressen war, dass er nicht so gespielt hat wie ich es mir vorgestellt habe. Dann hat meine Frau psychologisch auf uns beide eingewirkt.
Können Sie sich an eine konkrete Situation erinnern?
Gregoritsch: Bei einer Trainingseinheit habe ich die Mannschaft in Defensiv- und Offensivspieler unterteilt. Ich war mit den Defensivspielern auf der einen Seite des Platzes, mein Co-Trainer mit den Offensivspielern - darunter auch meinem Sohn - auf der anderen. Aus dem Augenwinkel habe ich gesehen, dass der Michi beim Torschusstraining zum Blödeln angefangen hat. Einen Ball hat er statt mit der Innenseite mit der Ferse genommen, was ich überheblich fand. Deshalb habe ich über den ganzen Platz einen Brüller losgelassen und ihn am Ende sogar in die Kabine geschickt.
Wie ging es weiter?
Gregoritsch: Wir haben ein paar Tage lang nicht miteinander geredet, bis meine Frau vermittelt hat und wir uns ausgesprochen haben. Aus heutiger Sicht war meine Reaktion völlig übertrieben. Ich wollte nur nicht den Eindruck erwecken, dass ich meinen Sohn anders behandeln würde als die anderen Spieler. Ich glaube, dass mein Sohn aus solchen Erfahrungen stärker geworden ist.
Inwiefern hat sich Ihr Sohn seit seinem Debüt 2010 verändert?
Gregoritsch: Als Typ ist er immer gleichgeblieben. Er ist lustig, warmherzig, hat eine große Sozialkompetenz und ist ein richtiger Menschen-Freund. Gleichzeitig ist der Michi sehr sensibel - obwohl das wegen seiner Körpergröße nicht so wirkt. Bis heute sind seine besten Freunde eine Gruppe von sieben, acht Burschen, mit denen er vor fast zehn Jahren maturiert hat. Verändert hat sich aber seine Einstellung zum Fußball.
Inwiefern?
Gregoritsch: Sportlich hatte er zuletzt schwierige Phasen. In der vergangenen Saison hat er die Anfänge des Schalke-Fiaskos miterlebt und derzeit bekommt er bei Augsburg kaum Chancen. Trotzdem jammert er wenig herum und sucht die Fehler bei sich selbst. Das war in jüngeren Jahren oft ein bisschen anderes. Lange hatte er aber auch kaum Erfahrungen mit Rückschlägen, weil es bei ihm immer steil bergauf gegangen ist. Er war meistens Torschützenkönig und hat einen Rekord nach dem anderen aufgestellt. Dank der Rückschläge aus der jüngeren Vergangenheit hat er sich ein besseres Einschätzungsvermögen über sich und den Fußball angearbeitet.
Tauschen Sie sich mit ihm über solche Rückschläge aus?
Gregoritsch: Manchmal kommt er wegen Problemen auf mich zu. Dann versuche ich mich in seinen Trainer reinzuversetzen und ihm die Situation aus dessen Sicht zu erklären.
Wirken sich sportliche Rückschläge bei ihm auf die Laune bei Familien-Treffen aus?
Gregoritsch: Nein, das kann er gut trennen.
Als das aktuell größte österreichische Fußball-Talent gilt Rapid Wiens Yusuf Demir, der im vergangenen Herbst unter Ihnen in der U21 debütierte. Was zeichnet ihn aus?
Gregoritsch: Sein Dribbling, seine Ballbehandlung, seine Schusstechnik und seine Ruhe vor dem Tor. Yusuf ist eine Ausnahmeerscheinung. Er vereint alles, was den Fußball sehenswert macht. Er hat Qualitäten, die man nicht trainieren kann, und spielt, wie man es als Fan sehen will. Ein bisschen erinnert er mich an den jungen Andi Herzog. Was er aber noch lernen muss, ist besser mit nach hinten zu arbeiten. Er ist ein junger Bursche, der unbekümmert drauf los spielt - aber das wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Je mehr man gelobt wird, desto mehr wird man später kritisiert. Darauf muss er sich einstellen.
Er wird bei etlichen europäischen Topklubs gehandelt, unter anderem bei Borussia Dortmund, Manchester City und der FC Barcelona. Sehen Sie den richtigen Moment für einen Wechsel gekommen?
Gregoritsch: Ich kenne Rapids Trainer Didi Kühbauer sehr gut und erachte ihn in der aktuellen Situation als den perfekten Trainer für den Yusuf. Er wäre gut beraten, noch ein bisschen bei Rapid zu bleiben.
Österreichs Top-Talent Yusuf Demir vom SK Rapid im Porträt
Zwei Spieler, die längst den Sprung ins Ausland geschafft haben, sind Wolfsburgs Xaver Schlager und Leipzigs Konrad Laimer, denen Sie mal eine "deutsche Mentalität" attestiert haben. Wie äußert sich das?
Gregoritsch: Sie geben nie auf und das ist für mich der Kern der deutschen Mentalität. Meine erste Fußballerinnerung ist die Weltmeisterschaft 1966 und seitdem ist es eine Konstante, dass die Deutschen nie aufgeben, alles für den Sieg tun und immer voll da sind, wenn es um etwas geht. All das trifft auch auf Schlager und Laimer zu - aber auch noch auf andere Spieler, die in Salzburg ausgebildet wurden. Dort wird den Spielern in jungen Jahren eine deutsche Mentalität eingeimpft. Das geht auf die Philosophie von Ralf Rangnick zurück, den ich sehr gut kenne und schätze.
Im Laufe der Jahre sind sie mit Ihrer U21 auch schon auf Deutschland und andere große Nationen getroffen. Welche Spieler oder Momente sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Gregoritsch: Raheem Sterlings Schnelligkeit ist mir in Erinnerung geblieben, aber auch ein Auftritt von Alvaro Morata, der einmal vier Tore gegen uns geschossen hat. Und dann eine Parade von Kepa Arrizabalaga: Bei einer Bogenlampe aus 25 Metern ist er circa drei Meter nach hinten geflogen und hat den Ball mit der Fingerspitze über das Tor gedreht. Das war unglaublich. Eine der besten Mannschaft, gegen die wir je gespielt haben, war die deutsche U21 von 2015 mit Jonathan Tah, Niklas Süle, Julian Weigl, Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Leroy Sane.
Gegen Deutschland ging es auch bei der EM 2019. Das 1:1 am letzten Gruppenspieltag reichte damals aber nicht zum Weiterkommen.
Gregoritsch: Trotzdem war das einer meiner schönsten Momente überhaupt. Es waren rund 8.000 österreichische Fans im Stadion in Udine und ich werde nie vergessen, wie sie nach unserem 1:1 begonnen haben, zu singen. Unsere Leistung war beeindruckend, aber leider hat es nicht gereicht. Wenn der Sasa Kalajdzic damals in der Form von heute gewesen wäre, hätte er drei Tore gemacht.