Ein halbes Jahr nach seinem Karriereende bei den New York Metro Stars übernahm der damals 40-jährige Matthäus im September 2001 das Traineramt bei Rapid. Er führte die Mannschaft um Keeper Payer und das erst 17-jährige Talent Ivanschitz in der Tabelle auf Rang acht, die historisch schlechteste Platzierung der Klubgeschichte.
Matthäus wurde entlassen und verklagte Rapid im Anschluss erfolglos auf Rufschädigung. Es folgten Stationen beim serbischen Top-Klub Partizan Belgrad und der ungarischen Nationalmannschaft, ehe er 2006 nach Österreich zu RB Salzburg zurückkehrte, wo er erneut auf Ivanschitz traf.
Zunächst war Matthäus als Cheftrainer im Gespräch, letztlich ergänzte er gemeinsam mit Hansi Flick das Trainerteam von Giovanni Trapattoni. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Alphatieren stellte sich kompliziert dar - und nach dem Meistertitel folgte die Trennung.
Herr Payer, Herr Ivanschitz, was fällt Ihnen als erstes ein, wenn Sie an die Zeit unter Trainer Lothar Matthäus zurückdenken?
Helge Payer: Dass er bei uns im Training meistens der beste Spieler war. Er hat oft mittrainiert und war dabei extrem ehrgeizig. Manchmal hat er es aber auch ein bisschen übertreiben. Ich kann mich an eine Situation erinnern, als mich Lothar ganz besonders hart gefoult hat. Obwohl ich eine Riesenehrfurcht vor ihm hatte, habe ich gesagt: "Heast pass' auf! Was is' mit dir?" Ich 22 Jahre alt und ein junger Hüpfer, er ein Weltfußballer - das muss man sich mal vorstellen. Aber er hat meine Reaktion verstanden und mich danach sogar dafür gelobt.
Andreas Ivanschitz: Wenn Lothar bei Trainingsspielen mitgemacht hat, haben seine Mannschaften eigentlich immer gewonnen. Ich kann mich an einige beeindruckende Tore von ihm erinnern - und auch an harte Grätschen. Da habe ich mich einerseits immer ein bisschen gewundert und andererseits gedacht: "Wow!" Er war aber nicht nur ehrgeizig, sondern auch fit. Bei den Waldläufen ist er immer vorneweggelaufen.
Worauf hat er im Training besonders geachtet?
Ivanschitz: Er hat sehr viel Wert auf die Basics gelegt: Saubere Annahme, sauberes Passspiel, sauberer Schuss. Ihm ging es um die Grundtugenden und nicht um 17 Übersteiger. Wenn man sich Highlights von ihm als Spieler anschaut, dann erkennt man genau diese Herangehensweise.
Matthäus war als aktiver Spieler Weltfußballer und Weltmeister. Hat er seine Prominenz raushängen lassen?
Payer: Gegenüber der Mannschaft nicht, aber in der Öffentlichkeit passiert das ganz automatisch, weil jeder etwas von ihm will und er damit umgehen muss. Für uns als Mannschaft war das sogar ein Vorteil, weil uns seine mediale Präsenz den Druck genommen hat.
Ivanschitz: "Matthäus hat gerne Geschichten erzählt"
Wie haben Sie ihn im zwischenmenschlichen Umgang erlebt?
Payer: Er war sehr, sehr, sehr offen und wollte jedem mit seiner Erfahrung helfen. Nicht nur fußballerisch, sondern zum Beispiel auch dabei, wie man sich als Profi generell verhalten sollte. In Sachen Einstellung, Motivation, Körperpflege. Man hat gespürt, dass es ihm am Herzen liegt, jungen Spielern etwas mitzugeben. Er hat einem immer das Gefühl gegeben, dass man ihm emotional nahe ist. Vor Auswärtsspielen ist er oft zu mir ins Hotelzimmer gekommen, nur um ein bisschen zu plaudern. Zum Einstand hat er einen Mannschaftsabend organisiert und alles bezahlt.
Ivanschitz: Er hat auch sehr gerne Geschichten von seiner Zeit als aktiver Spieler erzählt. Ich habe alles aufgesaugt, was er mir gesagt oder gezeigt hat. Gleichzeitig war er aber auch immer neugierig, worüber wir jungen Spieler quatschen.
Im Laufe der Hinrunde hat Sie Matthäus zum Stammkeeper befördert, Herr Payer. Wie kam es dazu?
Payer: Ich bin in die Mannschaft gerutscht, weil sich unsere Nummer eins Ladislav Maier verletzt hat. Obwohl ich bei einem meiner ersten Spiele, einer 0:4-Niederlage im UEFA-Cup gegen Paris Saint-Germain mit Ronaldinho und Nicolas Anelka, nicht so gut gespielt habe und kritisiert wurde, hat er mir genau wie der Torwarttrainer Funki Feurer voll vertraut und mich öffentlich als neue Nummer eins bestätigt.
Am Ende der Saison belegte Rapid den historisch schlechten achten Platz und Matthäus wurde entlassen. Was waren die Gründe dafür?
Payer: Unsere Mannschaft war total im Umbruch und es hat einfach nicht funktioniert. Eigentlich hätte Lothar zwei, drei Jahre lang etwas aufbauen sollen. Aber weil wir dermaßen schlecht abgeschnitten haben, sah der Klub offenbar keine andere Möglichkeit, als die Reißleine zu ziehen.
Die Trennung erfolgte im Streit: Letztlich verklagte Matthäus Rapid sogar erfolglos wegen Rufschädigung.
Payer: Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Ich habe ihn als Trainer gut gefunden und hätte mich gefreut, wenn es mit ihm weitergegangen wäre.
Ivanschitz: Ich musste diese Geschichte auch erst nachlesen. Das hatte ich nicht mehr präsent.
Sie haben vier Jahre später bei RB Salzburg erneut mit ihm zusammengearbeitet, Herr Ivanschitz. Damals war er Giovanni Trapattonis Co-Trainer. Inwiefern hat er sich in der Zwischenzeit verändert?
Ivanschitz: "Vielleicht hat Trapattoni Matthäus nicht gelassen"
Ivanschitz: Er hat nicht mehr so oft mittrainiert - vielleicht aber auch nur, weil ihn Trapattoni nicht gelassen hat. (lacht)
Wie haben Sie die Zusammenarbeit zwischen Cheftrainer Trapattoni und Co Matthäus erlebt?
Ivanschitz: Am Anfang war gar nicht klar, wer von beiden den Cheftrainerposten übernehmen soll. Letztlich wurde die Aufgabe Trapattoni übertragen. Man hat als Spieler schon gemerkt, dass sie sich nicht immer einig waren. Lothar ist allein schon wegen seiner Persönlichkeit sehr dominant aufgetreten, hat sich aber letztlich eingeordnet. Ich glaube, er hat viel von Trapattoni gelernt.
Teil des damaligen Trainerteams war auch der heutige Trainer des FC Bayern München Hansi Flick.
Ivanschitz: Flick war sehr ruhig und wie ein Vermittler zwischen den beiden. Mit seinem detaillierten Fußballwissen hat er aber auch guten Input gegeben.
Sie sind kurz vor Schließen des Transferfensters zu Panathinaikos Athen gewechselt. Warum?
Ivanschitz: Ich habe gemerkt, dass Trapattoni eher auf andere Spieler setzt. Als ich das Angebot von Panathinaikos bekommen habe, meinte Lothar, dass das zu 100 Prozent der richtige Schritt für mich ist. Schon bei Rapid hat er mir immer gesagt, dass ich irgendwann unbedingt den Sprung ins Ausland schaffen muss.
Matthäus hat anschließend keine erfolgreiche Trainerkarriere hingelegt. Nach seiner Station bei Salzburg trainierte er nur mehr Maccabi Netanya aus Israel und die bulgarische Nationalmannschaft.
Ivanschitz: Es hat mich sehr überrascht, dass er als Trainer keine großen Erfolge gefeiert hat. Ich habe die Zusammenarbeit mit ihm bei Rapid und Salzburg genossen und halte ihn für einen guten Trainer. Wahrscheinlich hat er sich nach seinen misslungenen Stationen selbst gesagt: Okay, es soll einfach nicht sein, dann lasse ich es eben bleiben. Das ist aber nur eine Mutmaßung. Ich hatte seit Ewigkeiten keinen Kontakt mehr mit ihm und insofern auch nie mit ihm darüber gesprochen.
Hatten Sie seit der gemeinsamen Zeit bei Rapid noch Kontakt mit ihm, Herr Payer?
Payer: Er ist genau wie ich TV-Experte. Deshalb laufen wir uns gelegentlich über den Weg und hören voneinander. Erst vor zwei, drei Monaten haben wir telefoniert.
Wie finden Sie ihn als Experten?
Payer: Sehr gut. Er spricht alles an, was er sieht - und er sieht sehr viel. Bei seinen Analysen nimmt er keine Rücksicht auf Eitelkeiten oder darauf, dass irgendwer beleidigt sein könnte.
Zum Abschluss: Was ist Ihre beste Matthäus-Anekdote?
Payer: Einmal bin ich auf dem Spielerparkplatz in mein Auto gestiegen, wollte rückwärts ausparken und habe dabei Lothars Auto gerammt. Natürlich bin ich sofort zu ihm hin und habe gesagt: "Entschuldigung Trainer, ich bin in dein Auto gefahren." Er meinte nur: "Ist doch egal, Helge. Das regelt das Autohaus schon!"
Lothar Matthäus' Trainerstationen
Zeitraum | Station |
2001 bis 2002 | SK Rapid (Österreich) |
2002 bis 2003 | Partizan Belgrad (Serbien) |
2003 bis 2005 | Ungarn |
2006 | Atletico Paranaense (Brasilien) |
2006 bis 2007 | RB Salzburg (Österreich) |
2008 bis 2009 | Maccabi Netanya |
2010 bis 2011 | Bulgarien |