Lewis Holtby war der Sänger der sogenannten Bruchweg Boys: blondes Haar, schelmisches Grinsen und eine Trinkflasche als fiktives Mikrofon. Musikalisch unterstützt wurde er vom Eckfahnen-Gitarristen Andre Schürrle und vom Schuh-Drummer Adam Szalai.
Es waren die wilden Mainzer Zeiten, damals im Spätsommer 2010. Mit Trainer Thomas Tuchel und den unwiderstehlichen Bruchweg Boys gewann der FSV Mainz 05 die ersten sieben Saisonspiele. 20 Jahre war Holtby damals alt, bald debütierte er für die deutsche Nationalmannschaft. Er galt als Versprechen der Zukunft.
So laut Holtby damals aber in seine Trinkflasche schrie, so leise ist es mittlerweile um ihn geworden. Wo spielt er eigentlich gerade? Wie alt ist er mittlerweile? Und hey, wie geht es ihm? 30 ist Holtby und vor einigen Wochen Vater geworden. Wunderbar geht es ihm, so erfährt man es zumindest aus seinem Umfeld. Er selbst will sich medial zurückhalten, lieber Zeit mit seiner kleinen Familie verbringen, als über sich und seine Karriere zu sprechen.
Lewis Holtby und die Blackburn Rovers passen gut zusammen
Diese Karriere hat Holtby mittlerweile nach Nordengland geführt. Seit September 2019 spielt er für den Zweitligisten Blackburn Rovers, wo er nach Anlaufschwierigkeiten zum Schlüsselspieler avanciert ist. In der engen 24er-Liga rangieren die Rovers aktuell in Schlagdistanz zu den Aufstiegs-Playoff-Plätzen drei bis sechs auf Platz zehn. Holtby und die Rovers, das scheint zu passen - vielleicht auch, weil sich Spieler und Klub so ähnlich sind: Genau wie Holtby waren die Rovers mal sehr berühmt, sind zuletzt aber etwas in Vergessenheit geraten.
Im vorletzten Jahrhundert gewannen sie fünfmal den FA Cup, den damals wichtigsten Titel im englischen Fußball. Anfang der 1990er Jahre pumpte der langjährige Rovers-Fan und erfolgreiche Unternehmer Jack Walker Geld in den Klub und machte ihn 1995 zum Meister. Seitdem ging es kontinuierlich bergab, 2012 stiegen die Rovers zum bis heute letzten Mal aus der Premier League ab.
Holtby spielte damals Champions League mit dem FC Schalke 04, wohin er nach seiner Mainz-Leihe zurückgekehrt war. Dann wechselte er in die Heimat seines Vaters England, tauschte einen Stammplatz bei Schalke gegen einen Bankplatz bei Tottenham Hotspur ein. Eine Leihe zum FC Fulham später landete er 2014 schließlich beim Hamburger SV.
Lewis Holtbys unrühmlicher Abschied vom Hamburger SV
Dort erlebte Holtby all die selbstzerstörerischen Kräfte des Klubs, all die Fast-Abstiege und dann den nicht für möglich gehaltenen tatsächlichen Abstieg. In der 2. Bundesliga trug Holtby zeitweise die Kapitänsbinde. Als er bei einem Auswärtsspiel bei Union Berlin im Frühling 2019 auf der Bank hätte sitzen sollen, verweigerte er einen Kaderplatz. Später sprach er von einer "Kurzschlussreaktion", seine Entschuldigung für den Streik aber kam zu spät: Suspendierung, Abschied, Arbeitslosigkeit.
"Als ich meine Sachen in der Wohnung zusammengepackt habe, kam nach der intensiven Zeit natürlich auch Wehmut auf. Das ging mir alles sehr nah. In den fünf Jahren beim HSV steckte mein gesamtes Herzblut in dem Verein. Sowohl körperlich als auch seelisch hat mich das viel Kraft gekostet", sagte Holtby später der SportBild. "Nach den fünf Jahren beim HSV musste ich erst einmal durchpusten. Das war eine harte Phase, in der es mir nicht besonders gut ging."
Lewis Holtbys schwieriger Start bei den Blackburn Rovers
Über zwei Monate trainierte er im Sommer 2019 individuell und zeitweise auch beim Regionalligisten Rot-Weiss Essen unter seinem Ex-Trainer vom HSV Christian Titz. Die Transferperiode verstrich und nichts passierte, ehe sich Mitte September die Blackburn Rovers meldeten. Zweite englische Liga, Tabellenmittelfeld.
Holtby unterschrieb für zwei Jahre und sagte: "Die Spiele in dieser Liga sind eine neue und aufregende Herausforderung für mich." Zunächst aber waren sie vor allem eine frustrierende Herausforderung. Trainer Tony Mowbray ließ so spielen, wie er meist dreinschaut: grimmig. Lang und hoch flog der Ball über den Platz und oft landete er nicht beim nur 1,76 Meter großen Holtby. Er verwaiste auf den Flügeln, als falsche Neun oder als Zehner - sofern er nicht ohnehin verletzt fehlte.
"Arte et Labore" lautet das Motto des Klubs, das er stolz im Wappen trägt: "Durch Kunst und Arbeit". Mit Arte hatte das damalige Spiel der Rovers aber wenig zu tun, es ging vorrangig um Labore. Die Mannschaft landete auf Platz zehn, dann dachte Trainer Mowbray um.
"Seit seiner Ankunft hat er noch nie so gut gespielt wie jetzt"
Zur neuen Saison integrierte er einen Hauch Arte, stellte auf ein 4-3-3-System um und beorderte Holtby auf die Acht. Innerhalb kürzester Zeit avancierte er dort zum Schlüsselspieler, zum lautstarken Kommando- und präzisen Passgeber. Der Ballbesitzanteil der Mannschaft stieg im Vergleich zur Vorsaison deutlich an und Holtbys Ballbesitzanteil in der Mannschaft ebenfalls. "Seit seiner Ankunft hat er noch nie so gut gespielt wie jetzt", lobte Mowbray neulich beim Lancashire Telegraph.
"Ich habe immer gesagt, dass ich ein zentraler Mittelfeldspieler bin - und keine falsche Neun, kein Flügelspieler und auch kein Zehner", sagte Holtby daraufhin bei BBC Radio. Dazu sollte man sich unbedingt ein Schulterzucken vorstellen und ein gemurmeltes: Hätte man halt mal gleich auf mich gehört!
"Ich kann Aktionen kreieren und verstecke mich nicht vor dem Ball", erklärte Holtby, der seiner Mannschaft weniger mit Scorerpunkten (ein Tor, kein Assist), als vielmehr mit seiner Ball- und Passsicherheit hilft. Tadellos funktioniert das Zusammenspiel mit seinem Landsmann und Mittelfeldkollegen Tom Trybull (von Norwich City ausgeliehen) oder mit Flügelstürmer Harvey Elliott, dem ebenfalls geliehenen 17-jährige Riesentalent vom FC Liverpool.
Lewis Holtby sieht sich langfristig in Norddeutschland
Arbeitslose Spieler wie Holtby, Leihspieler wie Trybull oder Elliott: Schon daran lässt sich aber ablesen, wie es um die finanzielle Situation der Rovers steht. Im Sommer gab der Klub lediglich rund eine Million Euro für neue Spieler aus und damit ligaweit mit am wenigsten.
"Das ist ein ambitionierter Klub, der zurück in die Premier League will", sagte Holtby bei seiner Ankunft. Wirklich realistisch ist dieses Ziel aber nicht. Ein einstelliger Tabellenplatz wäre ein Erfolg, ein Aufstieg eine Sensation.
Im kommenden Sommer läuft Holtbys Vertrag aus. Wie es dann weitergeht? Passt die Perspektive, kann sich Holtby schon auch einen Verbleib vorstellen. Langfristig aber sieht er sich in Deutschland. Am besten im Norden in der Nähe Hamburgs, wo er einst wehmütig seine Sachen packte - und irgendwann mit seiner kleinen Familie heimisch werden will.