Christian Ziege im Interview: "Ich habe den Hörer gleich meinem Vater gegeben"

Von Jonas Rütten
Christian Ziege spielte in seiner Karriere für den FC Bayern, Tottenham Hotspur, den FC Liverpool und den AC Mailand
© getty
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SPOX: Wenn wir über die WM 2002 sprechen: Schicke Frisur hatten Sie da. Sind Sie froh darüber, dass es damals noch kein Facebook, Instagram oder Twitter gab?

Ziege: Ich war zumindest ziemlich überrascht von dem ganzen Hype, der darum entstanden ist, weil ich mir ehrlich gesagt gar nichts dabei gedacht habe. Wir hatten drei Tage Pause in der WM-Vorbereitung und dann waren plötzlich beim ersten Training danach alle Fotografen da. Zum Teil haben die Leute mehr über meine Frisur diskutiert als über andere, wichtigere Dinge.

SPOX: Wer hatte die Idee dazu?

Ziege: Meine Frau und ich. Ich saß zu Hause, sie hat mir aus Spaß die Haare geschnitten und in der Mitte etwas stehen gelassen. Dann haben wir gesagt: Jetzt machen wir's noch schwarz-rot-gold.

SPOX: Was hat jemand wie Oliver Kahn zu Ihrem Irokesenschnitt gesagt?

Ziege: Eigentlich nichts. Die Reaktionen gingen von Kopfschütteln über Augenverdrehen. Nach einem Tag hatte es sich dann aber auch schon wieder. So wie das eben bei fast allen neuen Dingen ist.

SPOX: Wir haben über große Spiele gesprochen, über das EM- und das WM-Finale. Welchen Platz in dieser Reihe nimmt der 27. Mai 2004 ein?

Ziege: Was war da?

SPOX: Ein Testspiel zwischen Deutschland und Malta vor der EM.

Ziege: An das Spiel kann ich mich überhaupt nicht mehr erinnern.

SPOX: Es war ein besonderes Spiel für Sie. Stichwort: Rückkehr.

Ziege: Ach so. Das war mein erstes Länderspiel nach 13 Monaten Verletzung. Ich kann mich noch erinnern, dass es eine riesige Diskussion gab, warum ich überhaupt noch nachnominiert wurde. Für mich war das tatsächlich ein Highlight.

SPOX: Die Verletzung, mit der Sie damals so lange ausgefallen sind, war am Anfang gar nicht so schlimm. Und plötzlich ging es dann nicht mehr nur um Ihre Karriere.

Ziege: Das war der Boxing Day 2002, wir haben mit Tottenham gegen Charlton Athletic gespielt. Irgendwann Anfang der zweiten Halbzeit bin ich mit jemandem zusammengestoßen, aber das war nicht mehr als ein Pferdekuss. Ich habe ja sogar noch fast zu Ende gespielt, bin aber kurz vor Schluss vom Platz geflogen. Ich ging ganz normal nach Hause, habe noch etwas gegessen und merkte dann im Laufe des Abends, dass mein Oberschenkel immer weiter anschwoll. Mein Glück war, dass mich meine Frau überredet hat, ins Krankenhaus zu fahren. Gott sei Dank, denn ein paar Minuten später konnte ich nicht mehr selbstständig aus dem Auto aussteigen.

SPOX: Was haben die Ärzte gesagt?

Ziege: Die meinten, wenn ich 30 bis 45 Minuten später gekommen wäre, hätten sie mir entweder das Bein abnehmen müssen, um mir das Leben zu retten oder es wäre generell zu spät gewesen.

SPOX: Die Horrorverletzung bedeutete das Ende Ihrer Zeit bei den Spurs. Danach ging es noch für eine Saison zu Borussia Mönchengladbach, wo Sie Ihre Karriere beendeten. Insgesamt haben Sie 66 Mal in 394 Profispielen getroffen. Ist Ihnen ein Tor besonders in Erinnerung geblieben?

Ziege: Es gibt zwei Tore, an die ich immer gerne zurückdenke. Das eine ist mein erstes Tor für die Bayern, als wir in Dortmund gespielt haben. Da bin ich eingewechselt worden und habe kurz vor Schluss das 3:2 geschossen.

SPOX: Und das andere?

Ziege: Definitv das Tor gegen Arsenal und David Seaman.

SPOX: Als Sie zum AC Milan gewechselt sind, haben Sie angeblich eine Dienstag-Tradition eingeführt. Was hatte es damit auf sich?

Ziege: Ich fand das damals eine super Idee. Jeder Spieler hat die Mannschaft mit Spezialitäten aus seinem Herkunftsland oder seiner Herkunftsregion in Italien verköstigt. Dadurch saß man öfter in einer lockeren Runde zusammen, lernte sich besser kennen und hatte eine gemeinsame Grundlage.

SPOX: Ihr ehemaliger Teamkollege Mehmet Scholl holte jüngst zum Rundumschlag gegen die neue Trainer-Generation aus. Können Sie ihn verstehen?

Ziege: Ich verstehe, was Mehmet sagen wollte. Es hat einen faden Beigeschmack, wenn in der Presse immer von der neuen, modernen Trainer-Generation gesprochen wird. Das kommt so rüber, als würden die Trainer, die früher selbst Fußball gespielt haben, nicht mit den neuesten Techniken und Methoden arbeiten.

SPOX: Die Ausbildung zum Fußballlehrer bezeichnete er als "Gehirnwäsche".

Ziege: Das ist natürlich ein hartes Wort. Es braucht selbstverständlich gewisse Vorgaben im Lernstoff, aber für uns ehemalige Profis ist es schwieriger als beispielsweise für einen Sportstudenten, der es gewohnt ist, von morgens bis abends im Schulraum zu sitzen. Dieser theoretische Block war Mehmet offenbar zu ausgedehnt. Es gibt auch zu vielen Themen 100 verschiedene Meinungen. Von diesen Diskussionen habe ich am meisten gelernt, nicht vom vorgegebenen Stoff. Klar ist allerdings auch: Wenn du die elf Monate in der Ausbildung hinter dir hast, kannst du trotzdem nicht alles zu 100 Prozent. Du lernst ja nicht automatisch, wie du eine Mannschaft führen musst.

SPOX: Besonders die Nachwuchsarbeit wurde von Scholl kritisiert. Können Sie das als ehemaliger Jugendtrainer nachvollziehen?

Ziege: Es wirkt schon alles sehr roboterartig. Jeder fragt nach Typen auf dem Platz, aber die gehen immer mehr verloren. Es gibt sehr wenige Freiheiten für die Nachwuchsspieler. Die Jungs müssen heute nur noch von Montag bis Sonntag funktionieren. Wenn das einer nicht tut und mal ausschert, gibt es sofort einen riesen Aufschrei.

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