Serie A
Von Oliver Birkner
Delirium des Spieltags: Am späten Sonntagnachmittag hätte man meinen können, in Florenz wären soeben alle Steuern restlos abgeschafft worden. Ein Dschungel aus trötenden Motorrollern, hupenden Autos, tanzenden Menschen und wehenden Fahnen zierten die Straßen. Für viele Fiorentini bedeutete das historische Ereignis beinahe mehr als ein Steuererlass. Die (höflich ausgedrückt) Antipathie gegen Juventus steht im Gesetzbuch von Florenz verankert, und die Turiner nach einem 0:2-Rückstand durch vier Treffer in 15 Minuten zu schlagen, daran wird man sich noch in 20 Jahren erinnern. Es war zeitgleich der erste Heimsieg über Juve seit dem 13. Dezember 1998. "Fußball ist etwas unbeschreiblich Schönes", jauchzte Coach Vincenzo Montella, der später in der Kabine zusammen mit dem Team in Champagner badete. 70 Minuten lang war er sicher anderer Meinung, als Juventus die Partie routiniert beherrschte, 2:0 führte und das 3:0 knapp verpasste.
Dann folgten ein 15-minütiger Blackout, ein Joaquin-Tor und drei Treffer von Giuseppe Rossi, der in seiner Karriere zum ersten Mal gegen den Rekordmeister spielte. Gehörte man nicht gerade zur Juve-Familie war Pepito Tor Nummer acht im achten Ligaspiel nach zwei Jahren Verletzungsproblemen ohne Fußball zu gönnen. Ein demütiger Klasse-Stürmer ohne Allüren, der übrigens zum elitären Kreis jener Profis gehört, der bei seinen Debüts in Spanien, England und Italien auf Anhieb netzte. Der verletzte Mario Gomez erlebte das Spektakel auf der Tribüne und gestand: "Ich habe noch immer Gänsehaut, ein Wahnsinn. Jetzt weiß ich, was Fiorentina gegen Juventus für diese Stadt bedeutet." Und für diejenigen Juventini, die es noch nicht wussten, zeigte ein ekstatischer Viola-Fan dem abfahrenden Turiner Mannschaftsbus ausgiebig sein blankes, haariges Hinterteil. Als hätten sie zuvor nicht schon genug gelitten.
Goldjunge des Spieltags: Was ein einstiger Heros noch immer auszulösen vermag, war am Freitagabend im römischen Stadio Olimpico zu beobachten. Knapp zehn Minuten waren zwischen der Roma und Napoli gespielt, da setzte Rumoren in der Arena und aufgeregtes Umherlaufen etlicher Personen auf der Haupttribüne ein: Diego Maradona hatte sich per Tochter und Lebensgefährtin Rocio Oliva leicht verspätet die Ehre gegeben. Prompt starteten die rund 10.000 Neapel-Tifosi lautstark den 80-er Hit: "Oh Mamma, weißt du warum mein Herz so pocht? Ich habe Maradona gesehen und, Mamma, ich habe mich verliebt!" Nach einigen Pfiffen rangen sich dann auch die Romanisti zu Applaus durch. Freilich wird man seine zwei Scudetti und den UEFA-Cup in Neapel auf ewig nicht vergessen. Ebenso wenig wie Maradonas damaliges Veto gegen den bereits für umgerechnet fünf Millionen Euro fixierten Wechsel zu Berlusconis Milan: "Das kann ich den Neapolitanern nicht antun." Während seines jüngsten Italien-Aufenthaltes zwinkerte der Pibe de oro: "Vor Zeiten wurde man als eine Nummer zehn geboren, heutzutage bekommt die ja irgendwie jeder." Übrigens dürften sich die Napoli-Fans demnächst ja häufiger beim Sehen ihres Messias wiederverlieben - schließlich fordert der Fiskus 39 Millionen Euro von ihm, weshalb Maradona erklärte: "Deshalb trag ich in Italien keine Ohrringe oder Uhren mehr, die man mir konfiszieren kann." Sehr weitsichtig.
Und sonst?: Die im Sommer voreilig und wenig durchdachte abgesegnete Direktive "Schließung der Kurve oder des Stadions bei territorialer Diskriminierung", die kürzlich marginal entschärft wurde, nimmt auf den Rängen immer groteskere Züge an. In Rom beleidigten die Romanisti die Neapolitaner, diese dann scherzhaft sich selbst. Die Inter-Anhänger machten gleich mal einen Medley-Rundumschlag gegen Fans aus Turin, Neapel, Genua und anhand "Mailand in Flammen" ihre eigene Stadt. Ähnliche Vorkommnisse zogen sich auch durch andere Stadien. Man darf gespannt sein, was das bisweilen überforderte Verbandsgericht entscheidet. Juve-Trainer Antonio Conte kommentierte am Sonntag: "Manche Gesänge und Frotzeleien gibt es im Stadion doch seit 30 Jahren - das wird aktuell viel zu hoch gehängt. Solange Gewalt ausbleibt, ist das Skandieren beim Fußball schon okay. Wie in Florenz habe ich übrigens noch nie ein Publikum mit so melodischer Gesangsstimme gehört - Respekt! Da musste ich innerlich sogar spontan mitsingen, obwohl der Sprechchor gegen meine Eltern ging." Die alte Problematik bleibt eben, dass in Kommissionen meist Personen lungern, die lange nicht mehr für eine Karte zahlen mussten, geschweige denn jemals in einer Kurve standen.
Serie A: Diegos Weitsicht und Contes Mum