Mentalcoach Boltersdorf im Interview über Özil-Rücktritt: "Rassismus-Vorwurf gibt ihm Absolution“

Joachim Löw steht nach dem frühen WM-Aus in der Kritik.
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SPOX: Aber zurück zur Nationalmannschaft. Özil ist zurückgetreten und weite Teile der Mannschaft schweigen - zumindest öffentlich. Was steckt dahinter?

Boltersdorf: Das ist ein schwieriges Thema. Ich gehe mal davon aus, dass die meisten nicht mit Özil unter vier oder sechs Augen persönlich über das Thema gesprochen haben. Bei schwachen Leistungen leidet immer der Zusammenhalt, was häufig dazu führt, dass man eher schweigt.

SPOX: Lassen Sie uns über Özils Rücktritt sprechen. Wie viel von ihm steckt in seinem Statement?

Boltersdorf: Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand das für Mesut Özil geschrieben und veröffentlicht hat und er damit nicht einverstanden war. Ich glaube aber, dass man die Statements aus einem anderen Blickwinkel sehen muss.

SPOX: Welcher wäre das?

Boltersdorf: Es gibt Fußballer, die wie andere Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, und das sind gar nicht so wenige, einen zweigeteilten Persönlichkeitsaspekt haben. Der eine Teil sagt: Ich möchte geliebt werden und zwar von allen, was dann dazu führt, dass diese Menschen sehr freundlich, nett und zuvorkommend sind und viele auch extrem höflich. Der andere Aspekt ist, dass viele gerne eine hohe Bedeutung haben. Stichwort Status. Man möchte wichtig sein, bedeutsam sein, in der Öffentlichkeit stehen, elitär sein. Wenn jemand diese Veranlagung hat und wird dann auf eine extrem kritische und negative Weise angegangen, ist so ein Mensch möglicherweise extremst enttäuscht. So eine Enttäuschung ist für solche Menschen wie eine Traumatisierung, und die Antwort kann dann ein Zurückschlagen sein. Und diese Wut wird aufgrund der Emotionalität, die sie ausgelöst hat, als völlig berechtigt empfunden. Diese Menschen fühlen sich dann absolut im Recht, nach dem Motto: ‚Was ich hier sage, ist die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit.'

SPOX: So kommt es jedenfalls rüber.

Boltersdorf: Es gibt dann kein Stopp mehr.

SPOX: Und keine Möglichkeit, die Situation noch zu klären.

Boltersdorf: Das ist auch gar nicht die Absicht, dafür bin ich als Fußballer dann auch zu groß.

SPOX: Da hat Einsicht auch keinen Platz.

Boltersdorf: Zweifel ist der bessere Begriff, nicht Einsicht. Es fühlt sich tatsächlich an wie die reine Wahrheit, weil die Emotionalität so gigantisch ist. Hier zweifelt niemand an sich selbst.

SPOX: Deshalb auch der Rassismus-Vorwurf, die ganz große Keule?

Boltersdorf: Der Rassismus-Vorwurf in dieser Situation war für Özil eine Entlastung. In dem Sinne: "Das ist ja nur passiert, weil ich Türke bin und nicht, weil ich vielleicht einen Fehler gemacht habe." Das gibt ihm Absolution.

Mesut Özils Leistungsdaten mit der deutschen Nationalmannschaft

WettbewerbSpieleToreAssists
Freundschaftsspiele30510
WM-Qualifikation20910
WM1624
EM-Qualifikation15512
EM1124
Gesamt922340

SPOX: Wie sehen Sie persönlich die Diskussion um Rassismus, Diskriminierung, Integration?

Boltersdorf: Die kulturelle Identität spielt in diesem Sachverhalt doch überhaupt keine Rolle. Ob er jetzt deutsche, türkische oder asiatische Wurzeln hat, ist völlig egal. Es kommt vielleicht eine Verschärfung in den Diskurs, weil bestimmte Leute ihre Suppe darauf kochen, dass er türkischer Herkunft ist. Das ganze Integrationsthema ist doch hier nicht Gegenstand. Was will man denn noch mehr, als jemanden, der so perfekt integriert worden ist wie Mesut Özil?

SPOX: Geht es dann nur um verletzte Gefühle und Eitelkeit?

Boltersdorf: Wenn er denn die Nationalmannschaft zumindest ein Stück weit als seine Familie und seine Heimat betrachtet hat, dann ist ihm dieser Rückhalt komplett entzogen worden; er ist ja praktisch rausgeflogen. Dass er dann so reagiert, ist emotional verständlich, auch wenn es sozial nicht klug ist.

Peter Boltersdorf ist Gesellschafter und Geschäftsführer von LUXXunited und des Institus für Leistungs-Humanismus Dozent an der Trainerakademie des Deutschen Olympischen Sportbundes Köln und der Frankfurt School of Finance & Management, Teamcoach und Motivationsberater verschiedener Mannschaften der 1. und 2. Bundesliga Fußball, der Fußballnationalmannschaft der Frauen der Niederlande, des Handballweltmeisters 2007, des Handball Juniorenweltmeisters 2009 und 2011, des Olympiakaders der Gewichtheber (Gold in Peking 2008 für Matthias Steiner), des Olympiakaders der Freistilringer sowie der "Ladies in Black" - Volleyball Frauen 1. Bundesliga (PTSV Aachen).

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