Real hatte in der ersten Halbzeit massive Probleme mit dem frühen Vollgaspressing der Hausherren. Tadic, Neres, van de Beek und Ziyech provozierten in vorderster Front im 4-2-3-1 immer wieder Ballverluste im Spielaufbau. Ein besonders kapitaler Fehlpass von Real-Kapitän Ramos, der sein 600. Pflichtspiel für Madrid machte, führte zur ersten Großchance für Ajax, die Rechtsverteidiger Mazraoui vergab (9.).
Ajax war besonders im Zentrum unheimlich präsent und giftig. Modric und Kroos wurden noch vor der Ballannahme konsequent unter Stress gesetzt und bei Ballgewinn ging es blitznschnell über die Außen. Dabei fokussierte sich die Mannschaft von Trainer ten Hag überraschenderweise nicht auf die rechte Seite, wo der unerfahrene Reguilon von Solari erneut den Vorzug vor Marcelo bekam, sondern auf die linke Carvajal-Seite, der mit Neres, Tagliafico und Tadic seine Probleme hatte. Das hohe Pressing der Niederländer forderte jedoch seinen Tribut.
Weil Ajax viel Risiko ging, boten sich den Königlichen vereinzelt Kontergelegenheiten: Vinicius Jr. vergab jedoch nach gutem Zuspiel von Kroos die größte Möglichkeit. Ajax blieb im Verlauf der ersten Hälfte die klar bessere Mannschaft und schnürte den amtierenden Champions-League-Sieger, bei dem Nacho den verletzten Varane kurzfristig ersetzen musste, in der eigenen Hälfte ein.
Allein die Tore fehlten: Tadic traf nur den Pfosten, Ziyech scheiterte freistehend an Courtois und nach Kontrolle durch den Videobeweis wurde das 1:0 von Tagliafico korrekterweise zurückgenommen (40.). Wie dominant Ajax im ersten Durchgang auftrat, zeigte der Aktionsradius-Mittelpunkt der königlichen Startelf. Nur Vinicius Jr. hielt sich öfter in der gegnerischen Hälfte auf,
Neben dem schwachen Bale fehlte auch Benzema im ersten Durchgang etwas die Bindung zum Spiel. Nach der Pause wurde Real jedoch stärker, Modric und Kroos gelang es besser, sich aus dem niederländischen Pressing zu befreien. Benzema vergab die erste Großchance im zweiten Durchgang (51.) und schlug nur neun Minuten später eiskalt nach starkem Solo von Vinicius Jr. zu (60.).
Ajax wirkte etwas geschockt, verlor zunehmend den Zugriff im Zentrum und Real gelang es, den Ball besser zu kontrollieren. Ten Hag setzte mit dem Wechsel Dolberg für Schöne die dringend benötigten neuen Impulse, hielt jedoch am 4-2-3-1-System fest. Die Maßnahme griff: Ajax entwickelte gleich wieder mehr Zug zum Tor und kam durch Ziyech zum hochverdienten Ausgleich (75.).
Real schickte sich jedoch in der Schlussphase noch einmal an, den Spielverlauf gänzlich auf den Kopf zu stellen. Ajax-Keeper Onana verschätzte sich nach einer Carvajal-Hereingabe und Asensio staubte ab. Ajax brachte sich somit selbst um den Lohn einer courragierten und über weite Strecken mitreißenden Leistung. Real hat dank des Auswärtssieges in knapp zwei Wochen beste Aussichten auf das Weiterkommen.
Daten des Spiels Ajax Amsterdam gegen Real Madrid
Tore: 0:1 Benzema (60.), 1:1 Ziyech (75.), 1:2 Asensio (87.)
- Sergio Ramos bestritt heute sein 600. Pflichtspiel für die Königlichen. Diese Marke erreichten vor ihm nur sechs Spieler. Rekordhalter ist Raul mit 741 Pflichtspielen im Dress von Real Madrid.
- Reals Startelf war heute pro Spieler im Schnitt drei Jahre älter (27.9 Jahre) als die von Ajax (24.9).
- Außer Kapitän Sergio Ramos (67%) gewann kein Spieler Reals in der ersten Halbzeit mehr als die Hälfte seiner Zweikämpfe. Insbesondere Carvajal auf der rechten Seite hatte seine Schwierigkeiten, nur zwei seiner acht Duelle entschied er für sich (25%).
- Real Madrid trifft im 17. K.o.-Spiel in Folge in der Königsklasse. Letztmals ohne Tor in einer Partie nach der Gruppenphase blieben die Königlichen im Halbfinale 2015/16 bei Manchester City (0:0).
- Lieblingsgegner: In jedem seiner sechs Champions-League-Duelle gegen Ajax war Benzema an mindestens einem Tor direkt beteiligt. Insgesamt sammelte er in den Duellen acht Scorerpunkte (4 Tore, 4 Vorlagen) - mehr als gegen jedes andere Team in der Königsklasse.
- Neuer Vereinsrekord: Ajax trifft im neunten Champions-League-Spiel in Serie und übertrifft damit den vorherigen Bestwert der Amsterdamer aus der Saison 1996/97 (acht Partien).
- Ajax erzielte 14 der letzten 15 CL-Tore in der zweiten Halbzeit.
Star des Spiels: Sergio Ramos (Real Madrid)
War abgesehen von einem schlimmen Fehlpass während des Amsterdamer Sturmlaufs im ersten Durchgang der Fels in der Brandung. Rettete immer wieder in höchster Not und als letzter Mann. Der Real-Kapitän war der Einzige, der im ersten Durchgang mehr als die Hälfte seiner direkten Duelle gewann (71 Prozent). Ohne ihn wäre Real im ersten Durchgang wohl unter die Räder gekommen. Ein starker Auftritt in seinem 600. Pflichtspiel für Real. Sehr auffällig bei Ajax: Schöne und Neres.
Flop des Spiels: Daniel Carvajal (Real Madrid)
Bekam seine linke Seite im ersten Durchgang überhaupt nicht in den Griff und wurde als Schwachpunkt der königlichen Defensive ausgemacht. Sah ein ums andere Mal gegen Tadic und Neres sehr schlecht aus und gewann nur 33 Prozent seiner direkten Duelle. Gab Real nur selten offensive Impulse und leistete sich dazu 20 Ballverluste - die meisten aufseiten der Königlichen. War am Siegtreffer dann aber mit seiner Hereingabe direkt beteiligt, profitierte dabei aber auch von einem Fehler von Ajax-Keeper Onana.
Der Schiedsrichter: Damir Skomina (Slowenien)
Vereitelte mit seinem Gespann eine herausragende Konterchance für Ajax und pfiff Tadic nach einem langen Ball zurück. Eine glasklare Fehlentscheidung, weil Tadic im Moment des Passes von Schöne aus der eigenen Hälfte gestartet war. Drückte Minuten zuvor beim Zweikampf zwischen Carvajal und Neres am Sechzehner der Königlichen beide Augen zu. Carvajal hatte massiv die Hände zu Hilfe genommen und hätte sich über einen Freistoß aus gefährlicher Position für Ajax nicht beschweren dürfen. Kurz vor der Pause korrigierte Skomina dann seine Entscheidung auf Tor für Ajax richtigerweise nach Überprüfung durch den Videobeweis. Tadic hatte im Abseits stehend Courtois behindert. Ließ im zweiten Durchgang ab und an eine klare Linie in der Beurteilung der Zweikämpfe vermissen. Fragwürdig auch die Entscheidung beim 2:1 von Real, dass trotz eines klaren Foulspiels an de Jong und Überprüfung durch den VAR gegeben wurde. Ein durchwachsener Auftritt des Unparteiischen und seines Gespanns.